„Empathie ist der Schlüssel zum Erfolg“

Handling weicher Kontaktlinsen kundengerecht vermitteln

Das kleine, weiche Runde auf das große Runde bringen, das kann sowohl Anpassern als auch Linseneinsteigerinnen und -einsteigern so einiges abverlangen. Letztere tun sich beim ersten Mal häufig schwer. Ein Quäntchen Geduld und eine gute Anleitung durch die Expertinnen und Experten aber können Neuträger langfristig ans Produkt und ans Geschäft binden.
Kontaklinsen aufsetzen

Das erste Mal eine Kontaklinse aufsetzen - bei der Anpassung und Beratung ist viel Fingerspitzengefühl gefragt.

© Skamper
Karl Amon

Karl Amon weiß, dass viele Drop-outs durch Handhabungsfehler passieren - nicht so bei Amon + Sebold.

© Karl Amon

Folgende Situation: Eine Kundin will von der Brille auf weiche Kontaktlinsen (KL) umsteigen. Beratung und Anpassung liefen schon einmal vielversprechend. „Lediglich“ das Auf- und Absetzen der KL muss noch erlernt und geübt werden. Funktioniert dies auf Anhieb, kann die Kundin sofort mit dem Linsentragen beginnen. Gestaltet sich der Start aber eher holperig, drohen nicht nur Auswirkungen auf das Trageverhalten, sondern auch auf die Kundenbindung. So sind laut der Studie „Retention rates in new contact lens wearers“, die Sulley A et al. 2018 publizierten, Probleme bei der Hand­habung für 25 Prozent der Drop-outs aus der Kontaktlinse verantwortlich.

Manchmal entscheidet bereits die Wortwahl des Anpassers gegenüber seinen Kunden über Erfolg oder Misserfolg des Kontaktlinseneinstiegs. Möchte beispielsweise eine sensible Kundin die KL „in“ ihr Auge setzen, um sie am Ende wieder „aus“ dem Auge herauszuholen? Oder möchte sie die KL lieber „auf-“ und „ab“-setzen? Es kommt auf die professionelle Kommunikation an, wissen Doreen Essert und Karl Amon. Essert ist als Augenoptikermeisterin und Optometristin (ZVA) verantwortlich für die KL-Abteilung bei Markus Nikolai Optic in Frankfurt am Main und kann auf viele Jahre als Anpasserin in mehreren Fachgeschäften verweisen. Amon, Dipl.-Ing. (FH) Augenoptik, Master of Vision Science and Business sowie Stifter des „Karl Amon Optometry Awards“, ist Geschäftsführer von Amon + Sebold Optik in Aschaffenburg. Das Fachgeschäft zeichnet sich unter anderem durch circa 3.700 aktive KL-Abokunden aus.

Doreen Essert

Doreen Essert ist überzeugt, dass die intensive Beschäftigung mit den Kundinnen und Kunden zum Erfolg führt.

© Markus Nikolai Optic

Anleitung muss zum Kundentyp passen

Je nach Kundentyp, befinden die Experten, sei man unterschiedlich in der Anleitungskompetenz gefragt. Sie definieren dabei folgende Problemfelder, die bei der ersten Schulung von Kontaktlinseneinsteigern öfter auftauchen:

Kundin/Kunde …

… ist schnell abgelenkt: Möglicherweise hat die Kundin Teile der Erklärung nicht aufgenommen und deshalb beim KL-Handling etwas falsch umgesetzt. Hier können das erneute Erklären der Handhabe und viel Geduld helfen. Beide Anpasser arbeiten daher überwiegend auf Terminbasis, um die notwendige Ruhe zu ermöglichen.

… ist sehr ängstlich: Die Erklärungen laufen ins Leere, wenn ein Kunde unter Druck steht. Eine erste Trockenübung ohne KL kann dabei helfen, Ängste in Bezug auf Komplikationen oder Sorgen um die Augengesundheit abzubauen. „Es ist wichtig, unausgesprochene Ängste bereits vorher zu erkennen. Neben den klassischen - wie vor dem Verschwinden der KL oder Schmerzen - ist es oft auch die Angst vor der Blamage: Wie stelle ich mich an? Hier ist Einfühlungsvermögen nötig“, weiß Essert.

… kneift das Auge zu schnell zu oder bekommt es kaum auf: Hält man das Lid direkt unter dem Wimpernrand nach oben, kann es sich nicht mehr schließen. Die Kundin sollte hier unbedingt mit abgetrockneten Fingern vorgehen, um aus dieser Haltung nicht abzurutschen. „Kneifer“-Kunden sind oft verspannt und sollten vor dem Üben mehrmals tief durch­atmen, um ihre Muskeln zu entspannen. „Wir machen den Kunden immer klar, dass der Lidschluss etwas Natürliches ist und wir ihn zur Fremdkörperabwehr brauchen“, berichtet Amon. Das allein entspanne die Menschen oftmals schon. Könne die Neuträgerin die KL nicht zentral auf der Hornhaut platzieren, sollte die KL mit Blickrichtung nasal, ein wenig nach temporal versetzt, auf die Bindehaut gesetzt werden, empfiehlt Essert: „Ist die KL platziert, schiebt man sie Richtung Hornhautmitte oder zentriert sie durch seitliche Blickauslenkungen.“

… hat lange Fingernägel: Beim Ein- und Absetzen der Linse müssen die Nägel nach oben von der Hornhaut weg zeigen, da sonst Verletzungsgefahr besteht. Auf- und Absetzhilfen wie der Soft Lens Handler sollten Amon zufolge dabei allerdings eher die Ausnahme sein. Denn „jeder Kontaktlinsenträger sollte seine Linsen jederzeit absetzen können, da Hilfen nicht immer zur Hand sind“. Helfen könne ebenso,  die KL nach unten zu ziehen, sodass sie sich schließlich selbst herausschiebe beziehungs-
weise falte.

… ist ungeduldig: Mögliche Konsequenzen sind hier: Fehlversuche und Frustration auf Seiten der Neuträger, weil notwendige Anwendungsschritte übersprungen werden oder die KL falsch herum auf der Fingerkuppe liegt. Gerade ungeduldige Menschen überspringen gerne Schritte, um schneller zum Aufsetzen der Linse zu kommen. In der Hektik wird dann oft nicht überprüft, ob die KL überhaupt richtig herum auf dem Finger sitzt.
Mit Blick auf knifflige Situationen im Umgang mit Neuträgern betont Amon: „Empathie ist der Schlüssel zum Erfolg! Wir sagen den Interessenten, dass es nicht selbstverständlich ist, sich das jeden Tag ,anzutun‘, sind geduldig und zeigen Verständnis.“ Nach 30 Minuten Üben empfiehlt der Optometrist einen Folgetermin, da ansonsten die Motivation erfahrungsgemäß sinke. „Übungstermine“ kann bei Amon + Sebold jeder Mitarbeiter übernehmen, da alle entsprechend geschult sind. Bei generellen Handhabungsschwierigkeiten könne laut Essert zudem die Wahl der KL unter Berücksichtigung ihrer Eigenschaften wie Modulus oder Haftung am Finger positiven Einfluss nehmen.

Kontaktlinsenbereiche bei Markus Nikolai Optic

Der Arbeitsbereich von Doreen Essert bei Markus Nicolai Optic.

© Markus Nikolai Optic

Umgebung kann Sicherheit vermitteln

Ebenso entscheidend für das Unterrichten des Handlings ist die Umgebung, in der es stattfindet. Ein separater Bereich bietet Anfängerinnen und Anfängern hier mehr Schutz als ein exponierter und damit einsehbarer Platz im Geschäft. Ähnliches gilt auch für die Situation zu Hause. Dort sollte der KL-Neueinsteiger das erste Aufsetzen der Linsen mit Ruhe an einem geeigneten Sitz- oder Stehplatz durchführen und nicht in der Morgenhektik. Saubere Anpassräume beim Augenoptiker verstehen sich von selbst: Staub, schmutzige Spiegel, geöffnete Pflegemittelflaschen ohne Öffnungsdatum und die KL-Blister der Vorgänger am Waschbecken sind hier fehl am Platz.

Die Erfahrung zeigt, dass KL-Neuträgerinnen das Handling der Kleinstsehhilfen am effektivsten durch Nachahmung erlernen: Im ersten Schritt demonstriert der Anpasser das Vorgehen; im zweiten Schritt schreiten die Neuträger selbst zur Tat. Manchen Kunden hilft es, wenn sie als Vorbereitung auf den eigentlichen Akt zunächst mit gewaschenen Händen ihre Bindehaut berühren, eine Linse in die Hand nehmen und daran ziehen können. Essert: „Damit kann man das Vertrauen in die Materialeigenschaften stärken.“ Für viele Nichtträgerinnen ist die Scheu, das eigene Auge zu berühren, das vermutlich größte Hemmnis. Überzeugt man sie, dass nur eine dünne, anschmiegsame, weiche KL auf dem Tränenfilm schwimmen wird, ist diese Hürde schon genommen. Zudem rät die Expertin dazu, YouTube- Videos mit Handlingstipps anzuschauen, um zu wissen, wie sich Kunden informieren.

Innanensicht Amon und Sebold

In den Kontaktlinsenräumlichkeiten bei Amon und Sebold legt man großen Wert auf eine angenehme Atmosphäre zum Wohlfühlen.

© Amon und Sebold

Das volle KL-Erlebnis

Legt man Kunden beim Anpassen eine Broschüre vor, können sie die Schritte des Handlings mitverfolgen. Bei Amon + Sebold ist diese selbstentwickelt und Bestandteil der Handlingroutine. Heike Hädrich, Head Professional Affairs DACH von Alcon Vision Care, empfiehlt zudem, den Neuträgern für alle Fälle eine „Notfallnummer“ mitzugeben. Außerdem rät sie dazu, dem Kunden die KL beim ersten Mal auf- und abzusetzen, damit er gleich „das volle Erlebnis KL“ erfahre. Ebenso würden Tuto­rials, das BleibTREU-Programm sowie das Seminar zum KL-Handling von Kunden als hilfreich empfunden. Hat der Kunde seinen Einstieg ins Handling geschafft, sollte  seine Anpasserin ein paar Tage später telefonisch nachhaken und die Handhabung bei der Nachkontrolle überprüfen.

In dem gesamten Prozess kann sich der Augenoptiker als Sehexperte positionieren, mit einfühlsamer Beratung und Anleitung die Kundenbindung erhöhen und einem Drop-out aus der Tauschlinse entgegenwirken. Amon bestätigt: „Wir haben oft Kunden, die bereits anderswo oder im Selbstversuch am Handling gescheitert sind.“ Auch Essert bekräftigt: „Ich bin mir ganz sicher, dass ein Großteil der KL-Interessierten durch eine empathische Anpasserin, die sich intensiv mit dem Kunden beschäftigt, zum Erfolg kommt.“

In Corona-Zeiten seien „Kontaktlinsen durch das Maskentragen ohnehin klar im Vorteil“, schiebt Amon hinterher. So setze man in Aschaffenburg fast jedem Kunden bei der Brillenwahl eine KL auf. Interessiert sich dieser dann für die Kleinstsehhilfen, wird anschließend das Absetzen geübt. Ähnlich verfährt man bei Markus Nikolai Optic. Dort erhalten Kunden statt eines Antibeschlagsprays für die Brille jetzt eine Kontaktlinse.

Autorin: Claudia Büdel

Optometristin (HwK), staatlich geprüfte Augenoptikerin und Augenoptikermeisterin. Als Kontaktlinsenanpasserin arbeitet sie mit fast allen Arten von Kontaktlinsen. Im Bereich „Education and Development“ war sie ebenfalls für einen Kontaktlinsenhersteller tätig.