DOZ
09 | 2017
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Wahrscheinlichkeit einer Progression der
Myopie berücksichtigt werden.
Es wurde nachgewiesen, dass Myo-
piekontrolle zeitlich am effektivsten bei
Kindern unter zwölf Jahren ist, jedoch
erleben wir momentan ein Fortschreiten
der Myopie bis ins junge Erwachsenenal-
ter, insbesondere während des Studiums
oder wenn viel Naharbeit verlangt wird.
Dies bedeutet also, dass Kurzsichtige eine
potenziell höhere finale Myopie erreichen,
als es noch vor ein paar Jahrzehnten der
Fall war, da ihr Fortschreiten sich über
einen längeren Zeitraum erstreckt.
Auch junge Erwachsene
könnten von einer
Kontaktlinsen-Behandlung
profitieren.
Die klinische Einschätzung über das Al-
ter, in dem die Behandlung eingestellt
wird, muss dabei bildungstechnische An-
forderungen sowie einen geringfügigen
Effekt auf die visuelle Qualität beim Au-
tofahren berücksichtigen. Alterssichtige
mit multifokalen Kontaktlinsen sind beim
Autofahren nicht (oder nur bedingt) ein-
geschränkt, dementsprechend könnte das
Fortfahren der Behandlung mit maßge-
schneiderten Kontaktlinsen selbst in der
Altersgruppe der Anfang-20-Jährigen als
angemessen betrachtet werden.
Pharmakologische
Ansätze
Das Antimuskarinikum Atropin hat in
Studien vielversprechende Ergebnisse
gezeigt und wird in Asien mittlerweile zur
Myopiekontrolle häufig genutzt. Niedrig
dosiertes Atropin von 0,01 Prozent stellt
eine Chance dar, da bei dieser geringen
Dosis Probleme wie Photophobie, ver-
ringerte Akkommodation und Rebound-
Effekte deutlich seltener beziehungsweise
schwächer ausgeprägt sind. [33-34]
Dennoch hat diese geringe Dosis nach-
weislich beinahe den gleichen Effekt wie
1,0 Prozent Atropin. Obwohl niedrig do-
siertes Atropin ein vielversprechendes
Mittel zur Myopiekontrolle ist, muss dies
einhergehen mit einer präzisen optischen
Korrektion der Myopie. Sobald niedrig
dosiertes Atropin in Europa allgemein
und kommerziell verfügbar wird, sollte
ein ganzheitlicher Ansatz sowohl phar-
mazeutische und optische Beratung als
auch Beratung zur Lebensart in Form ei-
nes koordinierten Behandlungsplans für
Myopie bei Kindern enthalten. An dieser
Stelle kann erwähnt werden, dass niedrig
dosiertes Atropin bei der Myopiekontrolle
mit Kontaktlinsen nachweislich zu einer
höheren Effizienz und einem reduzierten
Fortschreiten gegenüber nur einer der
Methoden allein führt. Weitere Studien
werden in näherer Zukunft wahrscheinlich
mehr Aufschluss geben.
Kommunikation und
Zusammenarbeit
Kommunikation spielt immer eine Schlüs-
selrolle für die Zusammenarbeit und
das Verständnis der Beweggründe der
klinischen Einschränkungen aktueller
Praktiken in der Myopiekontrolle. Die
Nutzung von Online-Prognose-Tools wie
www.myopiacare.org kann dabei helfen,
den Eltern zu demonstrieren, wie das Ri-
siko ihres Kindes ohne eine Behandlung
sein könnte und die Kommunikation ver-
einfachen. Die Eltern müssen von Beginn
an und während der Behandlungsphase
realistische Vorstellungen von einem
möglichen Erfolg haben. Jeder Mensch
spricht unterschiedlich auf die Behand-
lung an und es ist wichtig, Erwartungen zu
steuern, da die Entwicklung von Myopie
und ihr Fortschreiten nicht verhindert
oder vollständig kontrolliert werden kön-
nen. Deshalb ist es maßgeblich, dass die
Betroffenen oder die Eltern über die Ein-
schränkungen und Vorteile der verschie-
denen Behandlungsmethoden aufgeklärt
werden. Einige Kinder entwickeln unge-
achtet jeden Eingriffes eine starke Myopie
und das Ausmaß, in dem das Fortschreiten
reduziert wird, kann unvorhersehbar sein.
Bei der Durchführung einer Myopiekon-
trolle muss sichergestellt werden, dass
eine entsprechende Zustimmung einge-
holt wird.
Keine dieser Möglichkeiten zur Steue-
rung von Myopie wird derzeit direkt durch
die Krankenkassen unterstützt.
Die Ursachenforschung zum Fort-
schreiten von Myopie ist multifaktoriell,
weshalb der Autor der Meinung ist, dass
ein evidenzbasierter, ganzheitlicher An-
satz vonnöten ist. Dieser sollte die Bera-
tung zum Lebensstil, Outdoor-Aktivitäten,
optische Korrektion (weiche Mehrstärken-
Kontaktlinsen oder Ortho-K), Brillen und
potenziell auch pharmakologische Strate-
gien beinhalten. Diese sollten nicht ein-
zeln betrachtet werden, sondern vielmehr
als eine vereinte Behandlung basierend
auf den Bedürfnissen des einzelnen Kun-
den.
Augenspezialisten haben eine klinische
Sorgfaltspflicht, die Gesundheit des gan-
zen Menschen zu schützen, anstatt nur
dem Fortschreiten der Myopie zu folgen.
Die Zukunft
In den letzten zehn Jahren wurde nachge-
wiesen, dass es möglich ist, die Myopie-
Progression zu steuern. Fachverbände
bieten mittlerweile Richtlinien für die
Behandlung an. Die beschriebenen Ver-
fahren stellen unterschiedliche Ansätze
dar. Während das Wissen und die Belege
dafür, was funktioniert, stetig wachsen,
werden diese sicherlich auch in Zukunft
angepasst. Weitere Forschungen werden
sich auch die Ernährung näher ansehen.
Da der Einfluss von Tageslicht schon sehr
klar scheint, werden Vitamin D und Lutein
als Nahrungsergänzungsmittel möglicher-
weise eine Rolle spielen. Erste Ergebnisse
mit Koffein sehen vielversprechend aus
und es wird sich herausstellen, ob sich
diese bestätigen lassen. Die Verbreitung
der Problematik der Myopie-Progression
wird schneller in die Öffentlichkeit kom-
men, wenn sich mehr Augenspezialisten
mit dem Thema beschäftigen und die Be-
troffenen in der Praxis ansprechen. Neue
maßgeschneiderte Kontaktlinsendesigns
und pharmakologische Produkte werden
auf den Markt kommen (müssen). Die
FDA aus den USA hat dazu im September
2016 verschiedene weltweit anerkannte
Spezialisten und die Industrie zu einem
Meeting eingeladen. Idealerweise sollte
ein Weg gefunden werden, Augentropfen
mit antimuscarinergen Eigenschaften in
Umlauf zu bringen. Diese Wirkstoffe in die
Versandlösung weicher Mehrstärken-Ein-
tageslinsen (CD) zu integrieren, könnte
dabei eine mögliche Variante sein.
n
Pascal Blaser, M Sc.
und Nick Dash BScHons(Optom)
MCOptom, Dip SVA
Die Literaturangaben stehen auf
www.doz-verlag.de zum Download bereit.




