Brauchen „Silver Ager“ und „Generation Z“ unterschiedliche Ansprachen?

Kundenansprache: Keine Frage des Alters, sondern eher der Werte

Generationenkonflikt: Da, wo verschiedene Altersgruppen aufeinandertreffen, kann es auch mal kompliziert werden. Jeder bringt andere Lebenserfahrungen mit, jeder andere Werte. DOZ-Autorin Henriette Sofia Steuer hat sich am Beispiel von zwei weit auseinander liegenden Generationen die Frage gestellt: Müssen sich Kundenansprache und Storekonzept ans Kundenalter anpassen? Und sind Trends in diesem Bereich generationsgebunden?
Generation Z und Silver Ager
© Shutterstock / Dmytro Zinkevych, FXQuadro • Illustration: AdobeStock / klyaksun • Montage: Uli Fritzel

Erstveröffentlicht in der DOZ 09I21

„Alles eine Frage des Alters!“ Den Spruch kennt man, aber ist da heutzutage eigentlich noch was dran? Lassen sich Zielgruppen im Einzelhandel in Kategorien wie Alter oder Generation denken? Das Zukunftsinstitut stellt im Zuge seiner Trendforschungen im Retail Report 2021 fest, dass die meisten Einzelhändler und -händlerinnen weltweit bisher tatsächlich in Altersgruppen denken und ihre Unternehmen wie auch Stores im Schwerpunkt auf mode- und familienaffine Käuferinnen zwischen 19 und 36 Jahren ausrichten. Eine Studie des Consulting-Unternehmens Hitachi hat passend dazu exemplarisch für Großbritannien ermittelt, dass 74 Prozent aller physischen Geschäfte auf die eben genannte Käufergruppe abzielen. Die gewünschten Kunden umfassen damit gerade einmal zwei Generationen: Generation Y (geboren in den frühen 1980er bis zu den späten 1990er Jahren) – die sogenannten Millennials – und Generation Z oder „Generation Greta“ (Jahrgang 1996 bis 2010). Beider Selbstverständnis gründet sich hierzulande auf einem vereinten Deutschland inmitten der Europäischen Union, einer globalen Weltwirtschaft sowie einem immer digitaler werdenden Lebens- und Arbeitsumfeld.

Vor allem die neugierigen Millennials standen bislang im Fokus der Einzelhändler und boten Anlass, technisch aufzurüsten und sich kreative Store- und Servicekonzepte auszudenken. Auf dem Fuße folgt bereits die nächste Generation als Konsumgruppe: Generation Z kennt ein Leben ohne Smartphone nicht und setzt die Technik (mit der sich manch einer noch schwertun mag) als Grundbaustein voraus, während sie sich längst damit befasst, wie eine lebenswerte und gerechte Welt aussehen sollte.
 

Inkorrekte Aktionen werden abgestraft

Wer diese Generation im Einzelhandel überzeugen will, muss Themen, die bislang womöglich nur der Imagepflege dienten, zum Pflichtprogramm erklären: Nachhaltigkeit, Sicherheit, Ökologie, Gleichberechtigung, Transparenz und Diversität stehen bei der Generation Greta ganz oben auf der Agenda. Theresa Schleicher stellt dennoch im Retail Report 2020 fest: „Obgleich die Konsumenten der Gen Z authentische und nachhaltige Produkte und Marken überdurchschnittlich bevorzugen, kauft noch immer eine Vielzahl bei großen, bekannten Marken.“ Dafür unterliegen selbige Unternehmen einer kritischeren Beobachtung durch Generation Greta und werden bei sozial, ethisch und ökologisch inkorrekten Aktionen oder Werbekampagnen harsch über Social Media & Co. abgestraft. So sah sich H&M einem regelrechten Shitstorm ausgeliefert, als im Onlineshop ein farbiger Junge mit einem T-Shirt samt Aufschrift „Coolster Affe im Urwald“ zu sehen war. Das Bild wurde nach nur einer Woche gelöscht und H&M sah sich zu einer offiziellen Entschuldigung gezwungen.

Der renommierte Jugendforscher Klaus Hurrelmann beobachtet außerdem, „dass sich die Jugendlichen seit einiger Zeit politisieren. Wir wissen aus unseren Studien, dass die unter 20-Jährigen interessierter an Politik sind als die Generationen vor ihnen. Das Thema Umweltschutz hat an Bedeutung gewonnen.“ Eine daraus erwachsende Konsequenz: Der Besitz vieler Dinge hat an Anziehungskraft verloren. Der Minimalismus und das damit verbundene Verständnis, dass Erfahrungen mehr wert sind als Gegenstände, spielt in dieser Altersgruppe eine entscheidende Rolle. Shopping ist für Generation Z gleichbedeutend mit Freizeit, Lifestyle und Erlebnis, für das sie (nebenbei bemerkt) durchaus bereit sind zu zahlen. Dabei wollen laut einer Studie der Unternehmensberatung Accenture 60 Prozent der jungen Leute weltweit lieber in Läden vor Ort einkaufen als im Internet. Soweit ein gutes Zeichen an den stationären Handel!

Doch bei all diesen durchaus positiven Beobachtungen verrät ein Blick auf das große Ganze den eigentlichen Fehler im System, denn die „Jugend“ ist nicht die Mehrheit! In der Bestrebung, trendaktuell, digital und zeitgemäß zu sein, scheinen viele Einzelhändlerinnen nur den Blick Richtung Generation Z für lohnenswert zu halten. Tatsächlich ist diese Betrachtungsweise aber alles andere als zeitgemäß, denn sie schließt einen Großteil der Weltbevölkerung aus. Tatsache ist: Nicht die Jugend, sondern der demografische Wandel ist der Schrittmacher im Wettbewerb um Kundinnen.
 

Die einzige wachsende Konsumentengruppe: Ältere

Das Statistische Bundesamt hat dazu festgestellt, dass die Anzahl der über 67-Jährigen in Deutschland von 2018 bis 2040 von 15,9 auf 21,4 Millionen anwachsen wird und damit bald etwa jeder Vierte über 67 Jahre alt ist. Der Retail Report 2021 fasst eindrucksvoll zusammen: „Ältere Menschen sind die einzige wachsende Konsumentengruppe in den entwickelten Ländern. Unternehmen mit Produkten und Leistungen für ältere Menschen eröffnen sich große Wachstumschancen.“ Die Generation der Babyboomer (Jahrgang 1956 bis 1965) – die sogenannten Silver Ager – bilden damit die Mehrheit aller potenziellen Kunden. Sie sind zwar kaufkräftig, fühlen sich aber oft nicht von derzeitigen Storekonzepten und Marketingkampagnen angesprochen …

Doch wer sind diese Silberrücken im Bezug auf den Einzelhandel? Im Retail Report heißt es: „Die Jahrgänge, die sich nun der offiziellen Ruhestandsgrenze nähern, entstammen einer Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg in eine Phase radikaler Erneuerung geboren wurde. Kommunikation, Mobilität, Technologie, internationaler Austausch, all das ist für sie normal und selbstverständlich.“ Die Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse hat 2019 bereits festgestellt, dass die Babyboomer besonderen Wert auf Qualität legen und 70 Prozent der über 50-Jährigen heute bereit sind, dafür mehr zu zahlen. Darüber hinaus achtet diese Generation beim Konsum auf den fairen Handel und die umweltfreundliche Produktion der Produkte. „Hinzu kommen neue Lebensmuster“, berichtet der Retail Report „Jeder Vierte wird 2040 hierzulande voraussichtlich in einem Single-Haushalt leben; mehr als zehn Prozent der Menschen, die alleine wohnen, werden über 60 Jahre alt sein. Viele werden bis ins hohe Alter arbeiten – nicht weil sie müssen, sondern weil sie wollen – und damit eine hohe Kaufkraft aufweisen. Diese ‚Silberne Revolution‘ verändert in den kommenden Jahrzehnten Märkte, Branchen und Konsum.“

Dabei ist festzustellen, dass die Silver Ager dank fortschrittlicher Medizin und gesundheitsförderlichem Verhalten älter werden, länger fit bleiben und sich deutlich jünger fühlen, als sie eigentlich sind. Mitunter verhalten sie sich sogar überraschend jugendlich, wenn beispielsweise die 35-jährige Tochter die Mutter beim Essen bitten muss, das Handy wegzulegen. Theresa Schleicher kommt zu dem Schluss: „Viele dieser vermeintlich Alten und Schwachen sind weniger hilfsbedürftig, als die Gesellschaft erwartet.“ Diese Generationen würden Themen wie Fitness und Gesundheit umtreiben, ihnen seien Werte wie Familienzugehörigkeit und die Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens wichtig. „Das sind letztendlich Aspekte, die den Zeitgeist aller Generationen widerspiegeln und alle Menschen unabhängig vom Alter berühren“, sagt Trendforscherin Schleicher, „damit eröffnen Konzepte, die sich an den Interessen und Werten dieser älteren Lebensstile orientieren, einen neuen, zeitgeistigen, generationenübergreifenden und zukunftsorientierten Markt.“

Welche Lebensstile, -welten und -gefühle passen zum eigenen Unternehmen?

Damit steht fest: Altersgruppen definieren nicht mehr automatisch Zielgruppen. Vielmehr gilt es sich zu überlegen, welche Lebensstile, Lebenswelten und Lebensgefühle zu den eigenen Unternehmenswerten passen. Das Ergebnis dieser Überlegungen erzeugt ein klares Bild einer Peergroup, einer Gruppe Gleichgesinnter, die sich unabhängig von ihrem Alter von denselben Themen, Werbekampagnen und Angeboten begeistern lassen und damit eine generations- und geschlechterübergreifende Wertegemeinschaft bilden. Wer es außerdem noch schafft, in der Kundenansprache einen Ton zu treffen, der möglichst niemanden ausschließt (Religion, Hautfarbe, etc.) hat das Level des sogenannten Cross Generational Commerce erfolgreich erreicht.

Klingt kompliziert? Wer sich daran wagt, wird feststellen: Ist es nicht. Aber es lässt sich auch nicht leugnen, dass je nach Lebensabschnitt andere Themen und Werte in den Fokus rücken und so Peergroups Überhang von bestimmten Altersgruppen haben können. Interessant zu wissen: Theresa Schleicher stellt fest, das die Konsumenten in den Altersgruppen 55+ sich hauptsächlich in drei Peergroups tummeln: die Gruppe der Free Ager, der Golden Mentors und der Forever Youngster. Die Free Ager verfügen im Kern über eine positive Grundeinstellung zum Leben, haben einen Blick für die Schönheit des Alters, streben nach dem Einklang von Körper und Seele und haben keinerlei Interesse an Verjüngungsangeboten oder altersfokussierten Vermarktungen. Golden Mentors haben sich dem lebenslangen Lernen verschrieben, geben ihre Erfahrungen gerne als Mentoren weiter, stellen ihre Familie an oberste Stelle und konsumieren qualitativ hochwertige Produkte. Für die dritte Gruppe, die Forever Youngster, hat ihre Gesundheit Priorität; sie wollen möglichst lange fit bleiben und investieren viel in Erlebnisse, Gesundheitsartikel, Sportausrüstung und regionale Bio-Lebensmittel. Diese drei Peergroups werden künftig die Einzelhandelsszene aufmischen und dafür sorgen, dass Händler an Themen wie Gesundheit, Qualität und lokale Erzeugnisse nicht mehr vorbeikommen.

Das französische Start-up My Label hat sich das Thema der Interessengruppen zur Abwechslung mal von der Konsumentenseite aus angesehen. Im Ergebnis entstand eine App, die Nutzern über das Einscannen des Barcodes schnell Auskunft geben kann, ob das entsprechende Produkt zu den eigenen Wertvorstellungen passt. Das Silver Ager diese App interessant finden können, lässt sich lebhaft vorstellen; aber die silberne Generation hat weit mehr Ideen zum Einzelhandel der Zukunft!
 

Besser beschildert, einfacher zu erreichen

In einer Studie des Marktforschungsunternehmens Nielsen wurde schon 2014 erkennbar, dass die Babyboomer klare Vorstellungen von einer guten Verkaufsraumgestaltung haben: Laut ihren Aussagen müssten Produkte besser beschildert werden und in den Regalen einfacher zu erreichen sein. Außerdem brauche es mehr Parkmöglichkeiten für Menschen mit Gehbehinderung, eine leichtere Zugänglichkeit der Stores und mehr Ruheoasen auf der Verkaufsfläche. Vieles leuchtet ein. Im Grunde muss ein Ladenbau her, der konsequent barrierefrei ist, ohne danach auszusehen. Das ist zweifelsohne eine Herausforderung. Wer sich an die Aufgabe dennoch heranwagt, kann nur davon profitieren. Seit 2010 befasst sich der Handelsverband Deutschland intensiv mit dem Thema und vergibt seither das Qualitätszeichen „generationenfreundliches Einkaufen“. Im Zuge des Zertifizierungsverfahrens wird der jeweilige Händler mit seinem Ladenlokal auf Aspekte wie Zugangsmöglichkeiten, Serviceleistungen, Ausstattung der Geschäftsräume und ähnliches geprüft. Immerhin, über 8.000 Einzelhändler haben ein solches Zertifikat (mehr Infos dazu finden Sie auf www.generationen
freundliches-einkaufen.de).

Ein Store, der zwar nicht zertifiziert ist, aber sich dennoch für jedes Alter eignet, ist der Cubitts Store in Brighton. Jede Fassung wird bei dem Hersteller von Hand gefertigt und so gebaut, dass sie ein Leben lang getragen und im Fall der Fälle leicht repariert werden kann. Für die Gestaltung der gerade 55 Quadratmeter großen Filiale orientierten sich die Innenarchitekten am nostalgischen Charme englischer Seebäder und Kioske aus den 1970er Jahren. Qualität und Langlebigkeit waren beim Innenausbau – passend zur Philosophie des Unternehmens – die zentralen Parameter: Helle blaue Wände, geometrische Aluminiumregale und Schränke aus Kirschholz werden hier zu einem gelben Betonbodenanstrich und Vintage-Möbelklassikern aus den 1960er und 1970er Jahren kombiniert.

Ein zeitgemäßes Geschäft kennt kein „jung vs. alt“

Im Kontrast zum lichtdurchfluteten, farbenfrohen und undogmatisch-beschwingten Auftritt von Cubitts, der sicher auch den Free Agern gefallen könnte, steht der Augenoptiker Amoon Optical in Peking. Der ungleich größere Store ist – unschwer zu erkennen – für eine andere Peergroup bestimmt. Diese Verkaufsfläche könnte auf die Golden Mentors abzielen, denn bei Amoon geht es mit den offenen Werkstatt-Arbeitsplätzen um Transparenz, Produktvielfalt und Wissensvermittlung. Das Design des Ladens spielt nicht mit Farben oder Stilistiken, sondern mit Licht und Reflexionen. Die Storebeleuchtung wird in diesem Ladenlokal aktiv durch den Glanzgrad der verbauten Oberflächen von Glas und Spiegel über Messing und poliertem Holz bis hin zu grobkörnigem Putz unterstützt und erhält so eine Portion bühnengleiche Dramaturgie. Highlight des Stores ist eine auf Schienen gelagerte Pflanz­gefäß-Installation mit ebenfalls mobilen Glaselementen, mit der man je nach Bedarf den hinteren Bereich der Ladenfläche abtrennen kann.

Anhand beider Stores lässt sich gut erkennen: Generationenübergreifende Augenoptiker-Geschäfte können anspruchsvoll und dabei ganz unterschiedlich ausgestaltet sein, ohne in ihrer Nutzung eine Altersgruppe auszuschließen oder gar ein Geschlechter­klischee zu bedienen zu müssen. Ein zeitgemäßer Store kennt damit kein „jung vs. alt“. Einzelhändlerinnen, die sich künftig die Inklusion aller Altersgruppen auf die Fahnen schreiben und die Majorität der Konsumenten als das wahrnehmen, was sie sind – nämlich Silver Ager –, können das Rennen nur gewinnen.


Autorin: Henriette Sofia Steuer ist studierte Innenarchitektin und freie Journalistin im Bereich Architektur, Retail und Marketing. Sie befasst sich unter anderem journalistisch mit der Frage, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die Gesellschaft hat und berät Industrieunternehmen zu zeitgemäßer Kommunikation.