Selbsttest: Der Blick durch die rosarote Brille

Helfen Spezialgläser bei migränebedingtem Kopfschmerz?

Rund zehn Prozent der Bevölkerung leiden unter der neurologischen Erkrankung Migräne. Dieser meist einseitige Kopfschmerz beeinträchtigt einen Teil der Betroffenen so sehr, dass ihr Alltag stark eingeschränkt wird. DOZ-Volontärin Lisa Meinl ist Migräne-Patientin und führte einen Selbsttest mit den Acunis-Gläsern durch, die Hersteller Eschenbach Optik zur Anwendung bei extremer Lichtempfindlichkeit entwickelt hat. Dabei sollen die Gläser den Anteil des Lichts filtern, „der als besonders unangenehm empfunden wird“. Ob das funktioniert, lesen Sie hier.
Chamäleon mit Migränebille

Chamäleons besitzen in der Retina deutlich mehr Zapfen als Stäbchen, diese können eine Dichte von bis zu 756.000 Stück pro mm² aufweisen. Beim Menschen sind es hingegen nur 190.000 pro mm². Außerdem können sich bei diesen Tieren auf den Zapfen Öltropfen ablagern, die das Licht dämpfen und somit eine ähnliche Wirkung haben wie eine Sonnenbrille.

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Erstveröffentlicht in der DOZ 10I23

„Das ist ja gar nicht so rosa wie vermutet“, war mein erster Gedanke, als ich durch die Migränegläser blickte. Je nach Tönungsstärke nahm ich Veränderungen wahr, doch nicht wie erwartet. Jetzt stellt sich die Frage, warum teste ich diese Gläser überhaupt? Ich bin seit Jahren Migräne-Patientin, Kopfschmerzen sind mein täglicher Begleiter. Vom Arzt bekam ich nur die lapidare Aussage: „Sie sind Migräne-Patientin, nehmen Sie eine Tablette“. Na toll, dachte ich mir schon damals – und bin mit dieser Gemütslage einer Betroffenen sicherlich nicht alleine. Ob es nicht auch andere Möglichkeiten gebe, etwas gegen die Migräne zu unternehmen, wollte ich also wissen. Antwort: „Nein, da gibt es nichts. Warten Sie nicht zu lange, bis Sie die Tablette nehmen, machen Sie alles dunkel und ruhen sich aus“. Aber was soll der Arzt auch aus medizinischer Sicht wohl anderes sagen? Die Trigger oder auch Schlüsselreize für das Auftreten einer Migräne sind so individuell wie der Patient selbst. Hinzu kommt: Migräne ist nicht gleich Migräne. Neben der häufigsten Form, der „normalen“ Migräne, also der Variante ohne Aura (Wahrnehmungsstörungen), gibt es unter anderem die Migräne mit Aura sowie die retinale Migräne (um nur eine kleine Auswahl der vielen verschiedenen Arten zu nennen).

8 Mio. Migränepatienten in Deutschland

Circa acht Millionen Migränepatienten gibt es alleine in Deutschland. Auslöser können neben Stress und Übermüdung auch eine falsche Ernährung oder so etwas Banales wie ein Wetterumschwung sein. Ebenso wie die Ursachen können auch die Auswirkungen sehr vielfältig sein. Während der eine „nur“ Kopfschmerzen hat, wird beispielsweise bei der nächsten Patientin die Migräne von Übelkeit, Erbrechen oder Sehstörungen begleitet. Bei manchen Menschen können die Symptome so schlimm sein, dass sie nur in dunklen Räumen liegen können oder auch Hilfe beim Laufen benötigen.

Da ich auf den in den Migränemedikamenten enthaltenen Wirkstoff Triptan allergisch reagiere, waren bis zu drei Ibuprofen-Tabletten mit einer Dosierung von je 800 mg oft die einzige Möglichkeit, den Tag irgendwie zu überstehen. Doch das Ibuprofen half nur bedingt und machte den Schmerz lediglich etwas erträglicher. Meine Hausärztin verschrieb mir zusätzlich Novalgin-Tropfen, also ein allgemeines Schmerzmittel und zusätzlich Magenschutztabletten, da die Nebenwirkungen der Ibuprofen auf den Magen schlugen. So wurde ich mit einer Kombination versorgt, die zwar endlich gegen die Schmerzen half, aber wohl auch jede Elefantin umgehauen hätte. Eine Alternative sollte her – und ich begann mit der Recherche. Doch egal ob Tigerbalsam (rot und weiß), Aromaöle oder Behandlungen gegen verspannte Schultern - nichts brachte die gewünschte längerfristige Linderung.

Lisa Meinl Migränegläser

Im Selbsttest: Anders als erwartet wirken die violetten Gläser eher wie eine normale Sonnenbrille.

Schließlich stieß ich auf die rosa gefärbten Brillengläser, die einige Hersteller vor rund zwei Jahren launchten und die gegen Migräne helfen sollen. Der erste Gedanke: wow, das ist mal eine Farbe! Aber nach all den Versuchen und den immer noch vorhandenen Schmerzen, die ohne den Medikamentencocktail nicht in den Griff zu bekommen waren, dachte ich mir: „Was habe ich schon zu verlieren“? Also entschloss ich mich zum Selbsttest mit den Acunis-Vorhängern von Eschenbach Optik in den drei vorhandenen Transmissionsgraden 25, 50 und 75 Prozent.

Kunde soll wählen, welche Tönung er benötigt

Den Start machte die hellste Farbtönung mit dem Absorptionsgrad von 25 Prozent. In dem kurzen Moment nach dem Aufsetzen wurde alles um mich herum etwas wärmer und freundlicher. Doch diese Wahrnehmungsveränderung legte sich schnell und es gab subjektiv keinen Unterschied mehr. Leider äußerte sich das auch an meinen Kopfschmerzen. Zwar hatte ich an diesem Tag keine Migräne, jedoch etwas stärkere Kopfschmerzen. Egal, ob beim Fernsehen, im Haus oder draußen, die Vorhänger sorgten für keine Linderung. Erst beim Absetzen des Vorhängers registrierte ich wie der die leichte Änderung in die kühleren und ursprünglichen Farben. Etwas anders stellte sich die Sache aber beim nächsten Migräneschub dar: Selbst die leichte Tönung sorgte für eine deutlich veränderte Farbwahrnehmung – und sorgte sogar für Linderung. Der Grund: die rosafarbenen Brillengläser wurden speziell für den Einsatz bei migränebedingter Lichtempfindlichkeit entwickelt. Bei Eschenbach sollen sie insbesondere die Transmission des Wellenlängenbereichs um 484 Nanometer reduzieren, der bei migränebedingter Photophobie als besonders unangenehm empfunden wird und weswegen sich Betroffene meist zügig in Innenräume zurückziehen. Bei Schweizer, einem weiteren Hersteller von Migräne-Gläsern, geht die Range sogar bis 530 Nanometer. Aufgrund des genannten Rückzugs in Innenräume bei einer Migräne Attacke hat Schweizer nur eine 22- und 37-prozentige Tönung im Portfolio, Eschenbach geht mit der 50- und 75-prozentigen Eintönung hier noch einen Schritt weiter.

Deutliche Entlastung und surrealer Farbunterschied

Diesen Schritt weiter ging auch ich und testete die 50-Prozent-Tönung im eigenen Garten. Egal, ob bei Sonne oder diesig-bewölktem Wetter: Die Farben waren auch mit dem neuen Vorhänger klar zu erkennen, die Welt aber wurde etwas pinker und insbesondere machte sich eine deutliche Entlastung für die Augen bemerkbar. Dabei spielte es keine Rolle, ob normale Kopfschmerzen oder eine Migräne sich breit machten, der positive Effekt war in beiden Fällen vorhanden. Der stärkste Farbunterschied war auf der Haut zu erkennen. Diese wirkte so rot, als wenn man sich einen Sonnenbrand eingefangen hätte. Die dunkelste Tönung mit 75 Prozent war bei Sonnenschein angenehm, da sie die Sonnenbrille ersetzt, doch die Farben wirkten sehr ungewohnt und das Glas verfärbte alles stark ins Violette. Dies verursachte ein eher unangenehmes und surreales Gefühl. Auch in einem dunkel gehaltenen Büro, in dem nur der Computer Licht abgibt, veränderte die kräftige Farbtönung die Wahrnehmung – die im Vergleich zum Test bei Sonnenschein im Garten aber deutlich geringer ausfiel.

Migränefilter Unterschiede

Das erste Bild zeigt die objektive Sicht der Kamera ohne Acunis-Gläser, die drei folgenden die Sicht mit den Tönungsstufen 25, 50 und 75 Prozent. Im Vergleich zur subjektiven Wahrnehmung sind die Farben objektiv deutlich intensiver.

Für Augenoptiker und Augenoptikerinnen ist es simpel zu erfahren, wann der Kunde für die Gläser infrage kommt. „In erster Linie ist es wichtig, in der Anamnese zu erfragen, ob die Kundin unter migränebedingter Lichtempfindlichkeit leidet“, empfiehlt Nicolà Streitt, Augenoptiker und Sehhilfen-Experte bei Eschenbach Optik. Neben der Migräne ist auch die Stärke der Lichtempfindlichkeit relevant. Grundsätzlich gilt deshalb folgende Faustformel: Je blendempfindlicher ein Kunde ist, desto stärker wählt man die Tönung. „Um die bestmögliche Filtertönung für sich zu finden, sollten die Betroffenen die Gläser am besten auch zu Hause ausprobieren“, rät Streitt. Somit ist es nicht entscheidend, ob ein stechender, pochender oder schraubstockartiger Kopfschmerz vorliegt, die Ausprägung der Photophobie spielt die entscheidende Rolle. Die Gläser veränderten die Wahrnehmung während der Migräne, die von einer erhöhten Blendempfindlichkeit begleitet wurde, mehr als bei den normalen Kopfschmerzen ohne Blendungsempfinden. So nahm ich während der Migräne im dunkel gehaltenen Büro eine deutlichere Entlastung der Augen wahr.

Migräne-Gläser (meist) nur tagsüber verkehrstauglich

Neben dem Test zu Hause und im Büro wollte ich schließlich wissen, ob man mit den Migräne-Gläsern auch am Straßenverkehr teilnehmen kann. Schließlich kann man den Zeitpunkt einer Migräne-Attacke meist nicht beeinflussen. Die Wahrnehmung von Schildern, Ampeln oder auch die anderer Fahrzeuge wurde nicht gravierend verändert oder gestört – auch wenn sich die Farben ins Pink-violette veränderten. Schilder mit helleren Farben wie Gelb oder Weiß wirken mit den beiden starken Tönungen dunkler und kräftiger, waren aber weiterhin gut zu identifizieren. Bei der leichtesten Tönung fand wieder nur eine minimale Veränderung statt. Wichtig an dieser Stelle: Nur die Gläser der Firma Schweizer mit der 22 prozentigen Tönung sind nachtfahrtauglich. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass das Migräne-Comfort-Glas 37 von Schweizer sowie die drei Acunis-Gläser von Eschenbach Optik in 25, 50 und 75 Prozent ausschließlich bei Fahrten am Tag genutzt werden dürfen. Da die Migräne-Probleme allerdings in erster Linie bei Tag auftreten, sollte diese Einschränkung die Betroffenen nicht sonderlich stören.

Übersicht Migränegläser

Übersicht über die angebotenen Migränegläser der Firmen Eschenbach und Schweizer

„Eine Kundin hat beim Testen der Acunis-Gläser tatsächlich vor Freude geweint, da das Sehen mit den Migräne-Gläsern für sie so viel entspannter war. Und diese Kundinnen und Kunden empfehlen uns weiter“, erzählt Augenoptikermeister und Geschäftsführer Thomas Knapp von Optik Knapp in Gernsbach (Baden-Württemberg). Er ist einer der Augenoptikbetriebe, die Acunis-Gläser verkaufen. In seinem Betrieb seien die Vorhänger sehr beliebt, da die Kundinnen diese bei Bedarf einfach auf ihre Brille setzen können. Christopher Penzel, Augenoptiker und Geschäftsführer des Betriebs Optik Penzel, berichtet: „Nach der Anamnese geben wir unseren Kundinnen und Kunden meist die Acunis-Testbox mit nach Hause. Sie enthält die drei verschiedenen Filterstärken als Vorhänger und so können unsere Kundinnen diese ganz in Ruhe im Alltag testen.“ Schließlich sei der Test unter Realbedingungen mit den verschiedenen Filterstärken entscheidend für den Kunden. „Die Tönungsstärken sind sehr angenehm und auch meine Kopfschmerzen, die ich öfter hatte, sind weniger geworden“, freut sich Penzels Mitarbeiterin Anette Vogeley, die die Acunis-Brillengläser selber täglich trägt.

Fazit: individuelle Wahrnehmung entscheidend

So unterschiedlich die Migräneformen, deren Trigger und Auswirkungen sind, so individuell ist auch die persönliche Wahrnehmung. Das zeigt sich auch im Selbsttest der Migräne-Gläser. Die Unterschiede in der Wahrnehmung waren davon abhängig, ob es sich um „normale“ Kopfschmerzen oder Migräne handelte. Der Effekt der Gläser, egal welcher Tönung, war in meinem Fall stärker während der Migräne-Anfälle. Persönlich würde ich die 50-prozentige Tönung wählen: Sie dämpft das Licht stärker, lässt die Umwelt in wärmeren Farbtönen erscheinen und lieferte im Gegensatz zu den leichten Tönungen immer einen positiven Effekt während der Migräne. Die 75-prozentige Tönung hingegen war mir in manchen Situationen zu dunkel und das Sehen wirkte teilweise zu verfälscht oder unwirklich. Die hellste Variante war hingegen in den meisten Fällen zu schwach in der Tönung beziehungsweise hatte keine Wirkung. Jedoch musste ich bei den Tests feststellen, dass die Tönungen an verschiedenen Tagen unterschiedlich auf mich wirkten. Somit zeigt sich, wie wichtig es ist, die Gläser in den akuten Situationen und im alltäglichen Umfeld ausprobieren zu können.


Info: Kantenfilter und deren Einsatzgebiete

Neben den rosa bis violett gefärbten Migränegläsern bieten Kantfiltergläser mit ihren speziell getönten Linsen Hilfe für Menschen mit schwerwiegenden Augenerkrankungen und damit einhergehendem Verlust des Großteils ihres Visus. Durch die jeweilige Transmissionskurve (und Färbung) werden unterschiedliche Wellenlängen herausgefiltert, der Kontrast und Visus soll dadurch wieder leicht verbessert werden.

In der Regel werden Kantenfilter, die unter anderem bei Eschenbach oder Schweizer erhältlich sind, bei einer der folgenden Erkrankungen/ Indikationen eingesetzt: Altersbedingte Makuladegeneration (AMD), Achromatopsie, Photochemotherapien, Albinismus, Zapfen-Stäbchen-Dystrophie, Iriskolobom, Retinitis pigmentosa.

Es gibt keine Vorgaben oder Regeln, welches Glas für welche Augenerkrankung am sinnvollsten ist. Somit sollten Sie Ihre Kundinnen und Kunden die Gläser bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen testen und somit selber entscheiden lassen, welches die beste Wirkung hat. Die Farbgebung der Kantenfiltergläser reicht von Gelb über Rot und Orange bis Braun. Diese Farben filtern das kurzwellige blaue Licht heraus, wodurch der Kontrast erhöht und das Streulicht reduziert wird. Die Hersteller stellen Musterkoffer zur Verfügung, die verschiedene Farbvarianten als Glas oder Vorhalter enthalten. Außerdem gibt es auch XL-Fassungen, die über die eigene Brille gezogen werden können.

Nicht alle Gläser sind dabei verkehrstauglich. Auch wenn die Betroffenen in vielen Fällen einen solch schlechten Visus haben, dass sie ohnehin nicht mehr aktiv am Straßenverkehr teilnehmen können und dürfen, sollten Augenoptiker dennoch im Beratungsgespräch darauf hinweisen.