Selbsttest: Wenn KI an ihre Grenzen kommt Online-Kauf bei Fielmann: Hält der Filialist, was er verspricht?

Der Fielmann Online-Brillenkauf ist ausschließlich für Einstärkenbrillen möglich.

© Screenshot www.fielmann.de/brillen

Erstveröffentlicht in der DOZ 10I23

Es war ein Satz in der Pressemitteilung zu den Halbjahreszahlen der Fielmann AG, der unsere Aufmerksamkeit weckte. „Nach der Pilotierung unserer eigenen Messtechnologie für Korrektionsbrillen in Österreich im ersten Quartal 2023 bietet Fielmann seit dem zweiten Quartal 2023 auch seinen deutschen Kunden den Online-Brillenkauf in Fielmann-Qualität.“ Dass sich dahinter nicht die Online-Refraktion versteckt, wurde schnell klar. Dennoch Grund genug, diesen Online-Brillenkauf einmal genauer unter die Lupe zu nehmen und einen Selbsttest zu initiieren.

Die Rahmenbedingungen

Der Fielmann Online-Brillenkauf ist nur für Einstärkenbrillen möglich. Bei der Sphäre liegen die Grenzen bei ± 6 Dioptrien, beim Zylinder bei ± 4 Dioptrien. Die Pupillendistanz wird (bei Bedarf) über einen sogenannten „PD Scan“ durchgeführt, zur Bestimmung der individuellen Einschleifh öhe dient die eigens entwickelte Technologie „Data Fit“. „Die Messungen basieren auf vielen Millionen historischen Brillen-Aufträgen aus den Niederlassungen. Über unsere KI-basierte Technologie werden diese Daten im ,Data Fit‘ verwendet“, heißt es auf Nachfrage der DOZ, da im eigentlichen Bestellprozess zur Einschleiföhe keine Angaben gemacht werden – doch genau zu diesem Punkt später mehr.

Da sich die Anzahl der Fehlsichtigen in der Redaktion der DOZ in Grenzen hält, fiel die Wahl auf denjenigen mit den höchsten Werten – und damit mich. Meine Brillenwerte wurden erst wenige Wochen zuvor kontrolliert, insofern waren diese noch aktuell. Allerdings erwies sich in der Vergangenheit die Wahl der Fassung immer als äußerst schwierig, weil ein Großteil der Modelle einfach zu hoch sitzt. „Großer Zinken und hoher Nasenrücken“ – so scherze ich oft selbst, wenn es an die Fassungsauswahl geht. Kein Gesicht, in das man einfach eine Fassung setzt und irgendwie jede gut aussieht. Deshalb war auch die Spannung, ob beispielsweise die virtuelle Anprobe ein realistisches Bild abgeben würde, entsprechend groß.

Die Fassungsauswahl

Ganze 56 Seiten an Herrenbrillen hat Fielmann auf der Webseite aufgeführt, summa summarum also 1.114 Fassungen. Viel zu viel natürlich, um diese alle durchzuschauen. Also werden zunächst die verschiedenen Filtereinstellungen zur Hilfe gezogen. Brillen für Herren -> Check; virtuelle Anprobe verfügbar -> Check; Brillenform: Browline, Eckig, Panto, Pilot, Rund -> Check; Fassungstyp: Vollrand -> Check; Farbe: braun, grau, havanna, schwarz, silber, transparent -> Check; Gesichtsform: … Die erste Frage kommt auf: Ist mein Gesicht eher eckig oder rund, eher herzförmig oder oval? Eckig und rund treffen es wohl am besten – also ebenfalls Check. Bleiben „nur“ noch 485 Fassungen. Jede Fassung im Detail in Augenschein zu nehmen, fällt somit flach. Vielmehr wandern im ersten Schritt alle Fassungen, die zumindest rein optisch infrage kommen könnten, auf die Favoritenliste – und so reduziert sich die Auswahl weiter auf 69.

Die Fassungsanprobe

„Sie tragen eine Brille? Lassen Sie sie gern auf. Nur Sonnenbrillen müssen abgenommen werden.“ Das ist der erste Satz, der standardmäßig bei jeder virtuellen Anprobe bei Fielmann erscheint. Bereits 2018 hatte Fielmann Anteile am Augmented-Reality-Spezialisten FittingBox S.A. erworben. 2019 ging schließlich die 3D-Brillenanprobe live. Der Vorteil gerade für stärker Fehlsichtige: Man kann den Sitz und die Form der Brille durch das Aufbehalten der eigenen deutlich besser erkennen. Nach den ersten Anproben aber wird klar, dass eine Anprobe von 69 Fassungen rein zeitlich zur Herausforderung wird – zumal, wenn wie in unserem Test, es über das Handy mitunter zwei Anläufe braucht, ehe die 3D-Anprobe auch startet. Also wird erst einmal die grobe Fassungsauswahl weiter verkleinert. Die weitere Auslese ist bei vielen Fassungen dann schon nach wenigen Sekunden erledigt: Wie erwartet, sitzen die meisten Brillen viel zu hoch und teils weit über der Augenbrauenlinie. Letztlich bleibt nur eine Handvoll an Fassungen übrig, von denen schließlich zwei (eine Tom Ford als Korrektionsbrille und eine Oakley als Korrektions-Sportsonnenbrille) für den Testkauf im Einkaufswagen landen.

Der Bestellprozess

Weiter geht es zur Glasauswahl. Da die aktuellen Sehwerte zur Hand sind, kann ich gleich auf den Button „Jetzt Sehstärke eingeben“ klicken. Nicht fehlen darf an dieser Stelle folgender Verweis Fielmanns: „Sie haben das Gefühl, Ihre Sehstärke hat sich seit Ihrem letzten Sehtest verändert? Dann kommen Sie gern in eine Fielmann-Niederlassung und wir prüfen Ihre Augen umfänglich – natürlich kostenlos.“ Zunächst wird die Sphäre über ein Dropdown-Menü ausgewählt, im Anschluss der Zylinder und die Achse – jeweils mit dem Verweis, wo im Brillenpass diese Werte zu finden sind. Gleiches gilt auch für die Pupillendistanz. Doch statt hier auf die Werte des Brillenpasses zu vertrauen, nehme ich natürlich die Möglichkeit wahr, die Pupillendistanz online zu messen. „Reicht die Beleuchtung? Schalten Sie sonst bitte das Licht ein. Stimmt die Perspektive? Schauen Sie bitte gerade in die Kamera, nicht schräg von oben oder unten. Nehmen Sie für die Messung bitte Ihre eigene Brille ab“, sind drei Hinweise, die vor dem Start der Messung mit auf den Weg gegeben werden. Die eigene Brille aber braucht man für diesen Schritt nun wirklich nicht. Durch das nach vorn und hinten bewegen des Kopfes bringt man sich im Anschluss so in Position, dass der Bildschirm rund um den Kopfausschnitt grün erscheint und ein Countdown von 3 auf 0 herunterzählt. Rund 60 Zentimeter liegen zwischen Laptop-Kamera und Gesicht, über das Handy ist es sogar nur rund die Hälfte der Distanz. Das Ergebnis ist jedoch bei beiden Messungen nahezu identisch. Zwar wird bei insgesamt vier Messungen einmal eine PD von 32,0 mm auf beiden Seiten angegeben, die anderen drei Messungen aber ergeben jeweils einen Wert von 31,5 mm rechts und links. Aber was ist mit der Konvergenz, werden Sie an dieser Stelle zu Recht fragen? Wir auch. Antwort Fielmann: „Ja, die Konvergenz wird berücksichtigt, da sie einen großen Einfluss auf das Ergebnis hat.“ Alles im Hintergrund natürlich, die Technik macht’s möglich. Und tatsächlich liegen die Werte sehr nah an der Realität (31,0 mm rechts; 31,6 mm links).

Nach der finalen Glasauswahl, bei der mir aufgrund meiner hohen Werte erwartungsgemäß die dünnsten und leichtesten Kunststoffgläser empfohlen werden, und der Wahl der Extras (Blaulichtfilter gegen 25 Euro Aufpreis, Sonnenbrillentönung inklusive), wandern beide ausgewählten Brillen in den Warenkorb. Was folgt, ist allerdings ein Dämpfer: Da der Warenkorb mit über 700 Euro bestückt ist, kann die Bestellung nicht abgeschlossen werden. Heißt, entweder beide Brillen separat bestellen oder aber eine Fassung gegen eine andere, eigentlich schon aussortierte, austauschen. Ich entscheide mich für Variante zwei.

Das Warten

Nach Abschluss der Bestellung beginnt das Warten. Fünf bis zehn Werktage soll es dauern, ehe die Brillen ankommen soll. Schon jetzt ist klar, dass es für die eigentlich geplante September-Ausgabe knapp werden wird. Schon nach wenigen Tagen kommt die erste Mail. Betreff : „Wichtige Information zu ihrer Bestellung!“ Der Inhalt verheißt nichts Gutes für den ohnehin engen Zeitplan: „Aufgrund von Lieferengpässen verzögert sich die Bearbeitung Ihrer Bestellung. Für die Verzögerung entschuldigen wir uns bei Ihnen. Wir informieren Sie, sobald Ihre Bestellung auf dem Weg zu Ihnen ist.“ Zwei Tage später eine Mail von DHL. Das Paket wurde elektronisch angekündigt. Hoffnung. Wieder nur zwei Tage später eine erneute Nachricht von Fielmann: „Wichtig: Ihre Lieferung verzögert sich weiterhin. Der andauernde globale Rohstoff - und Fachkräftemangel führt weiterhin zu einem Ungleichgewicht in der globalen Warenversorgung. Dies wirkt sich leider auch auf Ihre Bestellung aus. Zum aktuellen Zeitpunkt können wir nicht sagen, wann Sie mit der Lieferung rechnen können. Wir tun unser Möglichstes, um Ihre bestellten Produkte so schnell wie möglich verfügbar zu machen. Wir informieren Sie, sobald die Sendung auf dem Weg zu Ihnen ist.“ Ernüchterung. Die September-Ausgabe ist spätestens jetzt gestorben, aber zumindest fühle ich mich gut informiert und werde nicht im Ungewissen gelassen. Nach 13 Tagen schließlich halte ich das Paket mit beiden Brillen in den Händen. „Bei Ihren Brillenwerten handelt es sich nicht um Lagergläser, daher hat sich die Bestellung verzögert. Bei Lagergläsern gehen die Brillen meist schon am Tag nach der Bestellung in den Versand“, erfahre ich später von Tobias Plöger, Abteilungsleiter Kommunikation und Public Relations bei Fielmann.

Der erste Eindruck

Gespannt öffne ich die Box – und bin positiv überrascht. Beide Etuis sind jeweils mit einem gebrandeten Gummiband an einem Karton befestigt, durch Aussparungen gut und sicher verstaut. „Willst du mit mir gehen sehen?“, ist auf einem Aufkleber und einer beigelegten Karte zu lesen, auf der Rückseite der Karte gibt es Informationen zum möglichen Rückversand und zur Anpassung in einer Niederlassung. Natürlich interessieren mich sofort zwei Sachen: Wie ist der Sitz der Brillen, die ich bislang ja nur virtuell auf der Nase hatte? Und wie ist der erste Seheindruck? Bei der Tom Ford ist der Sitz überraschend gut, auch der erste Seheindruck wirkt nicht unnatürlich oder störend. Anders bei der Oakley-Fassung: Diese vermittelt zwar auch einen ordentlichen Seheindruck, sitzt allerdings überhaupt nicht wie gedacht, viel zu hoch, sodass ich von unten deutlich das ungefilterte Licht als störend empfinde.

Die Anpassung

Da bei der Sportsonnenbrille in puncto Sitz ohnehin keine großen Anpassungen möglich sind, geht es lediglich mit der Tom Ford zur Anpassung in eine Fielmann-Niederlassung. Bewusst erwähne ich beim Check-in, dass ich die Brille online bestellt habe und diese gern anpassen lassen möchte. Nach kurzer Zeit kommt eine Mitarbeiterin und passt die Brille an. Was mich etwas wundert: Die Gläser werden ansonsten nicht kontrolliert oder danach gefragt, ob ich mit diesen zurechtkomme – auch wenn ich zuvor keine Beschwerden geäußert habe. Nach rund einer Viertelstunde verlasse ich die Niederlassung wieder.

Der Sachverständige

Trotz des auf den ersten Blick nicht zu beanstandenden Seheindrucks bei den Brillen will ich es genau wissen und vereinbare einen Termin bei einem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für das Augenoptikerhandwerk und fahre zu Torsten Dautzenberg. Dieser ist in die Fußstapfen seines Vaters Adi getreten, der ebenfalls seit vielen Jahren als Sachverständiger tätig ist. Beide führen ein Geschäft in Herzogenrath-Kohlscheid in der Nähe von Aachen. Torsten Dautzenberg werden einige sicher auch aus dem Sat.1-Optiker-Check aus dem Januar kennen (siehe auch DOZ 03|23), als er zusammen mit dem Sachverständigen Wolfgang Hirt Brillen von Testkäuferinnen bei verschiedenen Filialisten begutachtete. Zunächst lässt sich Dautzenberg alles ganz genau erklären und die Brillen zeigen. Relativ schnell fallen ihm bei der Sportsonnenbrille unnatürliche Schlieren auf, die beim Blick aus einem bestimmten Winkel auf die Brille zu erkennen sind. Die Vermutung: ein Fehler in der Beschichtung. Etwas später, bei einem Check in der Fielmann-Zentrale, stellt sich heraus, dass es sich wohl tatsächlich um einen Beschichtungsfehler vonseiten des Herstellers handelt.

Zunächst begutachtet Dautzenberg die Gläser mit dem Scheitelbrechwertmesser, um die Ist-Werte zu bestimmen, im Anschluss ermittelt er die Soll-Werte gerade in Bezug auf Pupillendistanz und Einschleifhöhe (siehe Tabelle 1). Das Ergebnis des Sachverständigen: Bei der Sportsonnenbrille liegt die PD rechts mit +1,4 mm außerhalb der Toleranz von 1 mm, bei der Achse rechts gibt es eine Abweichung von drei Grad (Toleranz: 2 Grad). Bei der Tom Ford ist die Einschleifhöhe rechts um 4,3 mm zu tief (Toleranz 1 mm).

Die Reaktion von Fielmann

Natürlich konfrontieren wir Fielmann mit den Ergebnissen. Bei den Schlieren verweist man nach interner Prüfung der Sportsonnenbrille auf einen Beschichtungsfehler (siehe oben), aber ebenso auf die Zufriedenheitsgarantie. „Wir akzeptieren jede Reklamation ohne Wenn und Aber. Dies gilt übrigens nicht nur in einer bestimmten Frist. In diesem Fall tauschen wir die Gläser selbstverständlich kostenlos aus. Auf Wunsch ist immer auch eine Rückerstattung des Kaufpreises möglich“, sagt Plöger. Bei der beanstandeten Abweichung der Pupillendistanz allerdings widerspricht Fielmann dem Gutachter. „Unsere eigenen Messungen mit einem plan angelegten Maßstab haben eine PD von 31,5 mm ergeben, was deutlich in der Toleranz liegt.“ Allerdings wurden selbstverständlich die Zentrierdaten beim Sachverständigen in meinem Beisein ebenfalls mit einem plan angelegten Messtool ermittelt.

Etwas diffiziler ist da schon die Norm-Abweichung bei der Einschleifhöhe der Tom-Ford-Brille. Denn um die Bestimmung der Einschleifhöhe bei Fielmann zu verstehen, muss man etwas tiefer ins Datennetz eintauchen. Anhand von neun Millionen Brillenkäufen pro Jahr befüttere man die hinter „Data Fit“ liegende Künstliche Intelligenz mit unzähligen Daten. Daraus ergebe sich im Anschluss für jede Fassung eine individuelle Durchschnittseinschleifhöhe, die bei über 99 Prozent der Kundinnen und Kunden zu einem „hervorragenden Ergebnis ohne Reklamation“ führe. Bewusst würde man die Einschleifhöhe dabei etwas tiefer ansetzen, da erfahrungsgemäß die meisten Kunden bei der Hauptblickrichtung eher leicht nach unten schauten. Die Abweichung von mehr als 4 mm, wie in meinem Fall, sei allerdings eher auf meine persönlichen anatomischen Begebenheiten zurückzuführen. Womit ich zu den weniger als einem Prozent Menschen gehöre, die eben nicht die Fielmann-Datennorm erfüllen.

Das Fazit

Keine der beiden von uns bestellten Brillen konnte der Prüfung des Gutachters standhalten – auch wenn der persönliche Seheindruck zunächst keine Beanstandung nach sich gezogen hätte. Die Messung der Pupillendistanz allerdings war sowohl per Laptop als auch per Handy sehr nah an den Ist-Werten. Beim Sitz der Brille gab es bei der Tom Ford-Brille eine positive Überraschung, ebenso negativ allerdings war der optische Eindruck bei der Oakley-Sportsonnenbrille. Ob der Online-Brillenkauf letztlich eine wirkliche Zeitersparnis war, ist zudem fraglich. Fassungsauswahl und Anprobe nahmen viel Zeit in Anspruch, auf der anderen Seite konnte ich beides jederzeit und überall erledigen. Ganz auf den Besuch einer Niederlassung verzichten konnte ich aufgrund der Brillenanpassung nicht. Auch wenn es ein subjektiver Test mit nur zwei bestellten Brillen war, haben wir die Online-Brille in Fielmann-Qualität an ihre Grenzen gebracht. Denn anscheinend helfen bei einem Kunden wie mir auch nicht die Millionen Daten historischer Brillen-Aufträge, Künstliche Intelligenz und Algorithmen, sondern nur eine persönliche Versorgung im stationären Geschäft.