Warum erstellt ein Augenoptiker einen Nachhaltigkeitsbericht?

People, Planet, Profit: eine neue Sichtweise auf unser Handeln

Lange Zeit köchelte das Thema Nachhaltigkeit in der Augenoptik auf Sparflamme vor sich hin. Sicher, es gibt Ausnahmen: So berichtete die DOZ schon über Sven Empen, der 2010 mit seinem Ladenbau nach dem Cradle-to-cradle-Prinzip den Umweltpreis Baden-Württemberg gewann. Oder über Carina Freytag-Hafen, die ein Recyclingsystem für Kontaktlinsen-Blister entwickelte. Doch unter dem Eindruck von Dürren, Fluten, Stürmen wächst das Bewusstsein für „Sustainability“ in der Branche rasant. Die DOZ stellt Akteure vor, die in puncto Nachhaltigkeit mit außergewöhnlichen Aktionen und Ideen Zeichen setzen.
Nachhaltigkeit Zertifikat

(1) Seit 2017 gilt in Deutschland eine Berichtspflicht für Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern oder 40 Mio. Euro Umsatzerlös.

© Shutterstock / Blan-k

Wer wissen möchte, wie hoch der Stromverbrauch von Optik Burkart in Weil am Rhein im Jahr 2016 war und aus welchen Quellen der Strom stammte, braucht nur in den „Bericht zur gesellschaftlichen Verantwortung der Optik Burkart GmbH“ zu schauen und findet die Antwort auf Seite 7. Wer sich fragt, wie hoch die Krankenquote des Traditionsbetriebs war und welche Maßnahmen dazu beitragen, die Gesundheit der Mitarbeiter positiv zu beeinflussen, blättert oder scrollt weiter zu Seite 12. Und wer interessiert daran ist, ob im Rahmen der Geschäftstätigkeit gefährliche Abfälle anfallen, welche Indikatoren das Unternehmen zur Messung der Kundenzufriedenheit heranzieht oder wie sich die Belegschaft ehrenamtlich engagiert, wird auf den weiteren Seiten ebenfalls fündig.

All das und noch mehr steht in diesem Nachhaltigkeitsbericht (1), der „einen Überblick über die Auswirkungen unserer Geschäftstätigkeit auf die Umwelt und die Menschen bereitstellt“, und es steht öffentlich und zum Download zur Verfügung. Man muss also nicht nach Weil fahren und die Geschäftsräume betreten, um herauszufinden, wie Optik Burkart „tickt“. Man müsste nicht einmal mit Inhaber Siegfried Burkart sprechen – aber es hilft ungemein, um der Frage nachzugehen, warum ein eher kleiner Betrieb mit drei Filialen einen Report erstellt, der viel Zeit und Aufwand kostet, aber vermutlich kaum eine Brille mehr verkauft. Und das alles zu einer Zeit, in der die Umwelt- und Klimaproblematik noch lange nicht so dramatisch ins Bewusstsein drängte, wie es jetzt, fünf Jahre später der Fall ist.

Siegfried Burkart zäumt zur Erklärung das Pferd von hinten auf. „Das tiefgründigere Nachdenken über die innerbetrieblichen Prozesse, die wir oft selbstverständlich durchgeführt haben, ergab eine häufig neue Sichtweise auf unser Handeln“, berichtet der Augenoptikermeister. „Zu sehen, wo wir bei dem Thema Nachhaltigkeit im Moment stehen, also der Status quo, und welche Möglichkeiten der Weiterentwicklung und Verbesserung wir anstreben können, war für mich extrem wertvoll – auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht.“ Allerdings sei ein gewisses nachhaltiges Grundrauschen im Betrieb vorhanden gewesen: „Wenn man wie wir auf Langlebigkeit der vertriebenen Qualitätsprodukte und auf Dauerhaftigkeit der Kundenbeziehungen setzt sowie einen respektvollen Umgang untereinander und mit Kunden pflegt, ist die Nachhaltigkeit schon gegenwärtig, nur vielleicht noch nicht festgeschrieben.“ Dieses Festschreiben allerdings, die Initialzündung zum Erstellen des Nachhaltigkeitsberichts, gibt Burkart zu, sei nicht seine Idee gewesen, sondern die eines Kunden.

Siegfried Burkart

War schon gut organisiert, entdeckte im Report aber trotzdem Ideen und Verbesserungsmöglichkeiten: Siegfried Burkart

© Optik Burkart

Report erzeugt vor allem Transparenz

Dieser Kunde heißt Dr. Werner Sohn, ist von Hause aus Physiker, Professor mit Lehraufträgen an internationalen Universitäten und zudem Inhaber einer Beratungsfirma für Corporate Social Responsibility (CSR; am besten übersetzt mit „unternehmerische Verantwortung für die Gesellschaft“). Als solcher war er vor einigen Jahren an Burkart herangetreten mit der Idee, als womöglich erster deutscher Augenoptikberieb einen Nachhaltigkeitsreport zu erstellen: „Damit könntet ihr eine Vorreiterrolle einnehmen.“ Ob das mit dem Vorreiten geklappt hat, sei mal dahingestellt (dazu später mehr), was aber geklappt hat, ist das mit dem Aha-Effekt: „Die Daten waren alle da, manchmal auch nur in Burkarts Kopf, und der Bericht hat sie einfach erst mal sortiert und nachvollziehbar aufbereitet“, erzählt Sohn. CSR sei eben ein Managementansatz zur Unternehmensführung mit Komponenten aus Ökonomie, Ökologie und dem Umgang mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten – „da kann auch ein gut organisierter Burkart noch Ideen und Verbesserungsmöglichkeiten drin entdecken“. Für einen Inhaber oder Geschäftsführer erzeuge ein solcher Report also vor allem Transparenz: „Wo bin ich gut? Wo bin ich noch nicht so gut? Was mache ich vielleicht noch gar nicht?“

Zusammengetragen haben Burkart und Sohn die nötigen Daten, Zahlen und Fakten nach den Vorgaben der „Global Reporting Initiative“. Die GRI ist ein Anbieter von Richtlinien, sogenannter Standards, für die Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten, der 1997 von einer Gruppe von Unternehmen in Partnerschaft mit dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen gegründet wurde. Weltweit beteiligen sich Umwelt-, Menschenrechts- und andere Anspruchsgruppen an der ständigen Weiterentwicklung der GRI-Standards. Sie umfassen 120 Hauptthemen, sogenannte Indikatoren, die dann anhand von einem oder mehreren KPI-Kennzahlen (Key Performance Indicator) quantifiziert werden. 2016 hatte Sohn für Optik Burkart aus rund 200 KPIs die zum Unternehmen passenden ausgewählt, die sich am rechten Rand des Reports mit GRI-Kennungen wie „G4-10 Belegschaftsstruktur“ wiederfinden. Das würde den Vergleich mit anderen berichtenden Augenoptikbetrieben ermöglichen – so es denn andere gäbe.

Gemeinschaftliches Kochen bei Optik Burkhart

Wer (zusammen) kocht, kündigt nicht: Nachhaltige Mitarbeitermotivation beinhaltet bei Optik Burkart auch Gemeinschaftserlebnisse.

© Optik Burkhart

„Nachdem wir den Bericht für Optik Burkart abgeschlossen hatten, habe ich 40 oder 50 Betriebe aus den Top-100-Optikern angeschrieben“, erzählt Werner Sohn, „aber da haben sich gerade mal zwei Gespräche draus ergeben – und aus denen ist dann auch nichts geworden.“ Möglicherweise hätten die Inhaber Bedenken gehabt, ihre internen Zahlen an die Öffentlichkeit zu geben oder befürchtet, mit ihren Bemühungen um nachhaltiges Wirtschaften noch nicht weit genug zu sein. „Aber das ist unbegründet“, erläutert der Berater, „ich muss mir im Rahmen eines Nachhaltigkeitsberichts ja nicht die neunschwänzige Katze auf den Rücken hauen, sondern lasse die Bereiche weg, in denen ich noch nicht fit bin.“ Danach könne man sich dem Thema widmen und im Folgereport in einigen Jahren dann mit einer positiven Startbotschaft platzieren. „Das ist beim CSR-Reporting nämlich erlaubt.“

Wer jetzt ein bisschen angefixt ist und doch einmal bei Optik Burkart in Weil hereinschauen möchte, findet einige der oben angesprochenen Möglichkeiten der Weiterentwicklung und Verbesserung schon länger umgesetzt. Bereits mit dem Report hatte Siegfried Burkart die Leuchtmittel in allen Filialen auf LED umgerüstet und den Stromverbrauch so um mehr als 50 Prozent gesenkt. „Damit hat sich diese Maßnahme innerhalb von zwei Jahren amortisiert ... bei isolierter Betrachtung des Stromverbrauchs“, erzählt der 60-Jährige. Den Zusatz „bei isolierter Betrachtung ...“ macht der kleine Haken an der Umrüstung nötig, den vor der Maßnahme niemand so richtig auf dem Schirm hatte: Die geringere Abwärme der LED-Lampen hat die benötigte Heizenergie gesteigert, „was allerdings schwer exakt zu quantifizieren ist.“ Solche Wechselwirkungen oder Seiteneffekte bei CSR-Maßnahmen sind nicht ungewöhnlich. „Meist sind sie positiv, denn ein geringerer Ressourcenverbrauch etwa bedeutet häufig auch geringere Kosten“ kommentiert Sohn, „aber solche Effekte wie bei Burkart überraschen einen dann doch immer wieder“. Zumindest die Bilanz der modernen Einschleifmaschinen, die das Schleifwasser zur Wiederverwertung aufbereiten, ist eindeutig: Sie sparen Wasser, weil dieses im Schnitt zehn Mal wiederverwendet wird, und schonen die Umwelt, weil das anfallende Mikroplastik nicht in den Abfluss geleitet wird.

Werner Sohn

Möchte nicht, dass sich seine Kunden „im Rahmen eines Berichts die neunschwänzige Katze auf den Rücken hauen“: Werner Sohn

© Werner Sohn

Doch die Umwelt ist ja nur eine Säule des Dreiklangs „People, Planet, Profit“. Im Bereich der Mitarbeiter ist Optik Burkart stark, das lässt sich im Report eindrucksvoll nachvollziehen, und der Stolz des Inhabers klingt im ansonsten eher nüchternen Text durch: „Die Fluktuationsrate bei den Mitarbeitern betrug 8,3 Prozent – das ist deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 13 Prozent und im Grenzgebiet zum Hochlohnland Schweiz nicht leicht zu erreichen.“ Dass Männer und Frauen bei Optik Burkart für gleiche Arbeit gleich bezahlt werden, die 24 Mitarbeitenden im Schnitt an vier Tagen pro Jahr an einer Weiterbildung teilnehmen, die Geschäftsleitung darüber hinaus regelmäßig das Feedback der Beschäftigten einfordert und bei guten Verkaufszahlen Teamprämien auszahlt, macht das Gesamtpaket „Mitarbeiterzufriedenheit“ rund. „Wir haben einen gemeinsamen Wertekanon erarbeitet, einen ,Code of Conduct‘, der Respekt gegenüber Kollegen genauso voraussetzt wie gegenüber Kunden und anderen Menschen, die mit unserem Betrieb zu tun haben“, bestätigt Siegfried Burkart.

"Was will denn der jetzt?“ Oder: Keine Antwort ist auch eine Antwort

Der wirkt im Gespräch eigentlich nur einmal leicht zerknirscht: als das Thema „Lieferkette“ zur Sprache kommt. Zwar betont der Augenoptikermeister, dass er seine Lieferanten nach klaren Prinzipien auswähle – soziale und ökologische Herstellungsverfahren spielten dabei eine wichtige Rolle neben Qualität und modischer Ausgestaltung der Produkte. Dass er sich „über die Produktionsbedingungen bei den Herstellern informiere und darauf abziele, attraktive Produkte mit einem möglichst niedrigen ökologischen Fußabdruck ins Angebotsportfolio zu nehmen“ wie es im Bericht stehe, gelte de facto nur für die größeren Lieferanten: „Die berichten selbstständig, und die auditieren – also besuchen – wir auch regelmäßig“, erzählt er. Um klare Auskünfte von den kleineren Herstellern zu erhalten, habe er vor einiger Zeit eine Umfrage zu den Produktionsbedingungen verschickt. „Da habe ich per Fragenkatalog zu ausgewählten Themen nachgehakt“, erzählt Burkart. Die Resonanz sei allerdings überschaubar gewesen: Es kamen vier Rücksendungen. „Die anderen haben wahrscheinlich gedacht: Was will denn der jetzt?“ Die Marktmacht eines Kleinbetriebs habe sich in diesem Fall eher als Ohnmacht herausgestellt, „aber keine Antwort ist ja auch eine Antwort“.

Am Ende bleibt der Eindruck: Siegfried Burkart ist einer, der sich auf den Weg gemacht hat. Vielleicht ein bisschen früher und ein bisschen konsequenter als mancher andere, mit großer Ernst- und Gewissenhaftigkeit. Sein Fazit: Aufbruchstimmung sei derzeit an vielen privaten und beruflichen Ecken zu spüren, das müsse man befeuern. „Egal wie klein oder groß der Beruf oder das Unternehmen ist - jeder kann etwas tun, es müssen kleine und große Mosaike zusammenkommen!“ Wie weit Siegfried und Optik Burkart auf diesem Weg vorangekommen sind, wird der Folgereport zeigen, der mit Werner Sohn schon vereinbart ist.

Der Artikel wurde in der Oktober-Ausgabe der DOZ veröffentlicht.

Autor: TomTheilig