FACHTHEMEN
DOZ
09 | 2017
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sein. Als Reaktion muss ein Abbremsen,
Beschleunigen oder Ausweichen des ei-
genen Fahrzeugs erfolgen. Die Reaktion
muss der Situation angemessen sein.
Mehr als 80 Prozent aller Informationen,
die das Gehirn von der Außenwelt erhält,
erreichen es über die Augen. Zwei Drittel
der Verarbeitungskapazitäten des Gehirns
sind mit dem Sehen in allen seinen Facet-
ten befasst. Sehschwächen oder Sehstö-
rungen wirken sich beeinträchtigend auf
die Kognition ein, da keine brauchbaren
Informationen in den „Kognitionsapparat“
gelangen. Gutes Sehen allein ist nicht
ausreichend für eine sichere Teilnahme
am Straßenverkehr. Wichtig ist richtiges
Reagieren auf Veränderungen in der Um-
welt. Ohne gutes Sehen ist jedoch kein
richtiges Reagieren möglich.
An der Verarbeitung der Informationen
über die Außenwelt wirken Gedächtnis-
strukturen mit, sodass auch Erinnern und
Wiedererkennen von Objekten und Situ-
ationen auf die kognitiven Prozesse Ein-
fluss nehmen. Durch Erfahrung können
Mängel der Sinnesorgane oder Altersver-
änderungen des Gehirns teilweise kom-
pensiert werden. Daher bewegen sich die
meisten Autofahrer in einem bekannten
Umfeld wesentlich sicherer als in einem
unbekannten Milieu. Zur Erfahrung zählt
auch, dass Menschen mit Sehproblemen
ihr Fahrzeug bei ungünstigen äußeren
Verhältnissen (schlechtes Wetter, Dunkel-
heit, hohes Verkehrsaufkommen) stehen
lassen und die Fahrt zu einem günstigeren
Zeitpunkt unternehmen.
Da die Kognition an sensorische Pro-
zesse gekoppelt ist, wirken sich Verän-
derungen der Sinnesorgane auf die Kog-
nition aus. Gut dokumentiert ist dies für
Seh- und Hörstörungen, die die geistigen
Fähigkeiten einer Person stark beeinflus-
sen können. Fast die Hälfte der individu-
ellen Unterschiede der Intelligenzleistun-
gen älterer Menschen sind auf Defizite
dieser beiden Sinnessysteme zurückzu-
führen. [11] Nach der Aufmerksamkeits-
Belastungs-Hypothese muss das Gehirn
einen großen Teil seiner Ressourcen zur
Kompensation dieser sensorischen Defi-
zite einsetzen. Dadurch stehen weniger
Kapazitäten der Kognition zur Planung
und Umsetzung von Reaktionen auf verän-
derte Umweltbedingungen zur Verfügung.
Insbesondere in komplexen Situationen
wie beispielsweise dem Straßenverkehr
in unbekannter Umgebung kann dann
eine angemessene Reaktion nicht mehr
erwartet werden. Eine nicht oder nur un-
zureichend korrigierte Fehlsichtigkeit er-
fordert vom Gehirn größere Anstrengun-
gen, um aus dem unscharfen Netzhautbild
die Information zu extrahieren, die für die
sichere Bewältigung der jeweiligen Situa-
tion im Straßenverkehr erforderlich sind.
Können visuelle Defizite mit optischen
Hilfsmitteln korrigiert werden, lassen sich
die kognitiven Leistungen mit geringem
Aufwand deutlich verbessern. Dies führt
im Straßenverkehr zu verbesserten Reak-
tionen und damit mehr Sicherheit. Eine
regelmäßige Überprüfung des Sehens
erscheint daher in diesem Zusammen-
hang sinnvoll.
Altern und Kognition
Neben dem Sehen schränkt vor allem das
Altern die Kognitionsprozesse im Gehirn
ein. Eine Verlangsamung der Kognitions-
prozesse gilt als Leitsymptom altersbe-
dingter Veränderungen des Gehirns. Op-
tische und anatomische Faktoren können
zur Verlangsamung der Kognition bei-
tragen.
Die Geschwindigkeit, mit der visu-
elle Reize im visuellen System verarbei-
tet werden, wird von der Helligkeit des
Netzhautbildes bestimmt. Je heller das
Netzhautbild, desto schneller erfolgt die
Verarbeitung der Sehreize. Die Netzhaut-
helligkeit eines 60-jährigen Menschen
beträgt nur noch etwa ein Drittel der Hel-
ligkeit, die bei einem 20-Jährigen vor-
liegt. Grund hierfür sind zum einen der
altersbedingt geringere Pupillendurch-
messer (senile Miosis) und zum anderen
Trübungen der Augenmedien. Die Latenz-
zeit, die Zeit von der Absorption des Lichts
in der Netzhaut bis zur Wahrnehmung, ist
dadurch verlängert.
Altersbedingt gehen Mitochondrien,
in denen die notwendige Energie für
die biochemischen und physiologischen
Prozesse des Körpers gewonnen werden,
verloren, sodass dem Organismus weni-
ger Energie für lebensnotwendige Pro-
zesse bereitgestellt werden kann. Hiervon
ist das Gehirn, als dem Organ mit dem
höchsten Verbrauch an Energie, beson-
ders nachhaltig betroffen. Des Weiteren
verschlechtert sich auch die Durchblutung
und damit auch die Sauerstoffversorgung
des Gehirns mit zunehmendem Alter. Die
Folge dieser beschriebenen Altersverän-
derungen des Gehirns ist eine Verlangsa-
mung aller Hirnfunktionen.
Zunehmend Bedeutung erlangen mul-
tifokale Intraokularlinsen und Kontakt-
linsen zur Korrektion der Alterssichtigkeit.
Die optische Abbildung dieser Linsen ist
aus prinzipiellen optischen Gründen im-
mer schlechter als die einer monofokalen
Linse. Die Lichtverteilung auf der Netzhaut
ist wesentlich komplexer als bei monofo-
kalen Linse, weshalb die Segmentierung
der retinalen Lichtverteilung in Objekte
Abb. 17: Multifo-
kale Intraokular-
linse im Auge. Die
im Vergleich zu
einer monofokalen
Linse komplexere
retinalen Lichtver-
teilung multifokaler
Linsen erschwert
die Wahrnehmungs-
prozesse im Gehirn.
Die Anpassung der
kognitiven Prozesse
an die veränderte
Sehsituation (Neuro-
adaptation) wird mit
zunehmendem Alter
schwieriger.




