Interview mit Verkaufstrainer Martin Groß

Betriebsalltag: Tipps für den (Zusatz-) Verkauf

„Wenn die [Verkäufe der] Furnituren schlecht sind, ist alles scheiße, egal wie sehr man sich bemüht“ – diese Bewertung liest man auf dem Arbeitgeber-Bewertungsportal Kununu über den Umgang der Firma Deichmann mit Schuhpflegemitteln. Und wie steht Ihr Betrieb zum Thema Zusatzverkäufe? Über deren Relevanz und wie man sie steigern kann, hat die DOZ mit dem Verkaufstrainer (und Augenoptiker) Martin Groß gesprochen. Ein Interview mit einer durchaus kritischen Stimme und konkreten Tipps.
Verkaufstrainer Martin Groß

Als gelernter Augenoptiker und Verkaufstrainer berät Martin Groß Augenoptik-Betriebe zu den Schwerpunkten Verkaufspsychologie und Kundenkommunikation.

© privat

Erstveröffentlicht in DOZ 01|23

Eigentlich haben wir ein Interview darüber vereinbart, wie wichtig Zusatzprodukte für augenoptische Betriebe sind und wie Augenoptikerinnen deren Verkauf steigern können. Doch Mental- und Verkaufstrainer Martin Groß beginnt das Gespräch mit den Worten „Null, die Dinger sind nur nervig“. Im weiteren Verlauf stellt sich dann heraus: Nicht jedes Zusatzprodukt ist ein Zusatzprodukt und sollte den Kunden als solches kommuniziert werden. Beim Verkaufen – egal ob Zusatzprodukt oder nicht – kommt es auf die innere Einstellung, den richtigen Zeitpunkt und viele weitere Faktoren an, die Groß mit Praxisbeispielen erläutert. Für Schnellleser zunächst die Ergebnisse des Gesprächs auf einen Blick, das gesamte Interview finden Sie im Folgenden.

Praxis-Tipps für den Betriebsalltag:

  • Kopfsache: Verinnerlichen Sie „Ich bin ein Glücksbringer, der dem Kunden etwas Gutes tut“
  • Der Kunde fällt nur eine Kaufentscheidung: Verkaufen Sie Produkte miteinander, nicht nacheinander
  • Konzeptionelle Angebote: Schnüren Sie Pakete
  • Produkt erklären: Führen Sie dem Kunden die Anwendung des Produkts vor
  • Selbsttest: Drücken Sie dem Kunden das Produkt zum Testen in die Hand
  • Authentisch bleiben: Nutzen Sie keine klassischen Verkaufsfloskeln, sondern eigene Worte
  • Selbstbewusstsein gibt Sicherheit: Überzeugen Sie den Kunden durch Eigenüberzeugung
  • Klare Kaufempfehlung: Betonen Sie die Zufriedenheit anderer Kunden

DOZ: Bei einer von uns durchgeführten Umfrage unter Augenoptikerinnen und Augenoptikern kam heraus, dass für die große Mehrheit Zusatzprodukte auch heute noch ins Fachgeschäft gehören. Was meinen Sie dazu?

Zusatzverkäufe machen in unserer Branche kaum mehr Sinn. Wurden damals zum Beispiel Etuis zu einer Brille dazu verkauft, liefern die meisten Hersteller sie heute direkt mit. Zudem dürfte der Anteil am Gesamtumsatz, den Betriebe mit Zusatzprodukten erwirtschaften, unter einem Prozent liegen. Auf dem augenoptischen Markt gibt es kein Zusatzprodukt, das sich finanziell lohnt. Einige wenige Produkte erzielen zwar Umsatz, aber kaum Gewinn.

Sehen Sie das denn auch bei Kontaktlinsenpflegemitteln so?

Nein, denn diese fallen für mich nicht unter Zusatzprodukte, sondern zu jenen, die unbedingt notwendig für Verbraucher sind. Ein Kontaktlinsenträger braucht Pflegemittel, um seine Linsen vernünftig instand zu halten, sie sind also ein Bedarfsprodukt.

Laut zwei aktuellen Studien vertrauen immer weniger Menschen Verkäufern, obwohl andererseits das Vertrauen für knapp 90 Prozent der deutschen Konsumenten eine große Rolle beim Einkauf spielt. Keine rosigen Aussichten also – erst recht nicht, wenn man mehrere Produkte verkaufen möchte …

Das liegt unter anderem an der ureigenen Aversion der Menschen gegen Verkäufer, es beginnt also bei der inneren Einstellung. Das Wort „Verkaufen“ ist in der Gesellschaft allgemein negativ konnotiert, denkt man nur an die Synonyme „über den Tisch ziehen“ oder „jemandem etwas aufschwatzen“. Und wenn ein Verkäufer selbst diese innere Einstellung hat, wird es schwierig. Oftmals hört man von Augenoptikern, dass sie nicht als Verkäufer „abgestempelt“ werden möchten – das Problem fängt also schon im Kopf an. Wir Augenoptiker sind auf den Verkauf angewiesen, haben aber eine negative Einstellung dazu. Das kann nicht funktionieren.

Ein guter Verkäufer verkauft einem Eskimo bekanntlich einen Kühlschrank …

Von diesen Floskeln halte ich nichts, denn natürlich verkauft ein guter Verkäufer einem Eskimo einen Kühlschrank – oder wie will ein Eskimo seinen Joghurt bei minus 20 Grad Außentemperatur bei plus 8 Grad lagern? Ein guter Verkäufer verkauft seine Produkte, weil sie Sinn machen und tut dem Kunden damit etwas Gutes. Und ganz besonders Augenoptiker tun ihren Kunden etwas Gutes, indem sie ihnen höhere Lebensqualität durch gesundes Sehen verkaufen. Denn hat der Kunde mit Trockenen Augen einen Vorteil, wenn er Augentropfen benutzt? Ja. Zudem macht Kaufen wissenschaftlich belegt glücklich – also ist ein Verkäufer ein Glücksbringer. Kunden sollten immer lösungsorientiert betreut werden und dazu gehört es auch, Produkte konzeptionell anzubieten – nicht erst beim Bezahlen an der Theke.

Kunden kaufen bei Gewinnern, nicht bei Angsthasen

Also spielt der Zeitpunkt, wann auf ein Zusatzprodukt während des Verkaufsprozesses aufmerksam gemacht wird, auch eine Rolle?

Auf jeden Fall. Jeder kennt die Situation: Sie stehen an der Kasse eines Schuhgeschäfts und der Verkäufer fragt, ob Sie noch Pflegemittel benötigen. Entweder man nimmt dankend an oder aber – und das ist meist der Fall – man ist genervt von der Frage und vielleicht sogar bereit zu lügen und zu sagen: „Nein danke, ich hab‘ noch welches“. Das liegt daran, dass der Kunde dem Verkäufer nur eine Kaufentscheidung gibt. Wenn er sich also bereits für ein Produkt entschieden hat, kauft er nicht noch ein zweites oder drittes. Beim Klamottenshoppen ist das etwas anderes, da ist der Kunde in Einkaufslaune und von vorneherein bereit, mehrere Teile zu kaufen. Anders als bei Brille, Kontaktlinse oder Hörgerät – das sind beratungsintensive Halbfertigprodukte, die man gezielt aufgrund von Bedarf einkauft. Verkauft der Augenoptiker also eine Brille und kommt am Ende des Verkaufsprozesses mit „Ach ja übrigens, wir hätten hier noch …“ – ist die erste Kaufentscheidung des Kunden längst gefallen und die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass er ein zweites Produkt kauft.

Man sollte die Produkte also miteinander verkaufen, nicht nacheinander …

Richtig, zum Beispiel mithilfe von Kontaktlinsen- Abos, die Pflegemittel beinhalten beziehungsweise einkalkulieren. Ebenso Reinigungssprays: Die sollten nicht als Zusatzprodukt mit einem Pappaufsteller an der Theke positioniert und beiläufig erwähnt werden. Ein Paket, das ein Spray zusätzlich zur Brille als Geschenk vermittelt oder beinhaltet und den entsprechenden Aufpreis einkalkuliert, macht zum Beispiel Sinn.

Weitere Tipps, wie man einen Kunden von einem Produkt überzeugt?

Wir kaufen mit allen Sinnen und begehren was wir sehen. Das heißt: Über Gespräche allein entsteht keine Begehrlichkeit. Verkäufer kommen nicht weit, wenn sie ihren Kunden nur mit Worten vorschwärmen, wie toll ihr Produkt ist. Stattdessen sollte man den Kunden das Produkt fühlen und testen lassen. Nehmen wir das Beispiel Augenspray: Der Augenoptiker benutzt ein Musterfläschchen, führt dem Kunden die Anwendung vor – „Augen zu, sprühen, zweimal blinzeln, fertig“ – und drückt ihm den Tester in die Hand. Dieser fühlt und testet dann das Produkt, sowohl haptisch als auch auf den Augen. Das hat einen viel größeren Effekt, als wenn das Produkt neutral im Regal steht.

Auf was sollte man bei der verbalen Kommunikation achten?

Keine standardisierten Verkaufsfloskeln nutzen, die wirken mechanisch und unecht, vielmehr tun es Formulierungen wie „Tun Sie sich etwas Gutes, es sind Ihre Augen“. In meinen Workshops gebe ich den Teilnehmenden Formulierungsvorschläge, die sie durch lautes Aussprechen trainieren und dabei ein Gefühl dafür bekommen, wie sie es in ihren eigenen Worten sagen würden. Suggestivfragen, wie sie von Versicherungsvertretern oft verwendet werden, tragen übrigens zum negativen Bild des Verkäufers bei, denn man nimmt diese negativen Formeln wahr. Denn wer sagt schon nein zu der Frage „Wollen Sie nicht im Alter gut abgesichert sein?“ Wenn ein Verkäufer seinen Job mit Leidenschaft und Begeisterung macht, ist die Wortwahl aber zweitrangig. Ist der Verkäufer von einem Produkt überzeugt, überzeugt er auch den Kunden. Und wenn er es aus Eigenerfahrung oder auf Basis anderer Kundenerfahrungen weiterempfehlen kann, umso besser. Verkaufen ist reine Psychologie, und wenn ich nicht hinter einem Produkt stehe, transportiere ich das entweder durch Worte oder durch Körpersprache.

Selbstbewusstsein stärkt ja bekanntlich die Überzeugungskraft…

Jeder von uns braucht einen Entscheidungshelfer und der Verkäufer sollte diese Rolle einnehmen, anstatt passiv auf die Entscheidung des Kunden zu warten. Allein die Körperhaltung beim Warten gibt dem Kundenunterbewusst das Gefühl, dass sein Gegenüber selbst nicht vom Kauf überzeugt ist. Der Kunde kommt also in den Laden, will etwas kaufen und möchte darin bestätigt werden – und hier braucht es einen selbstbewussten Verkäufer. Kunden kaufen bei Gewinnern, nicht bei Angsthasen.

Wie erkenne ich, wann der Kunde kein Interesse (mehr) hat?

Verkaufen ist immer auch Psychologie und die psychologische Verkaufskurve besagt: Ist der höchste Punkt mit der maximalen Motivation erst einmal überschritten, sagt der Kunde meist nicht direkt, dass er nichts kaufen möchten, sondern er beginnt zu nörgeln oder macht das Produkt schlecht. Ausreden wie „Ich überlege es mir noch“ oder „Schreiben Sie mir einfach die Modellnummer auf, ich schlafe eine Nacht drüber“ werden dann eingesetzt. Ab diesem Punkt ist es so gut wie unmöglich, den Kunden zurückzugewinnen – deshalb ist es wichtig, den Moment als diesen zu erkennen. Wenn ein Verkäufer immer wieder nachbohrt, verärgert er den Kunden und verstärkt dadurch sein negatives Image.

Die Ausbildung, die die Berufsschulen vermitteln, ist noch dazu psychologisch falsch

Stichwort „Verkaufen ist Psychologie“: Laut der DOZ-Umfrage werden Mitarbeiter kaum für den Verkauf von Zusatzprodukten sensibilisiert oder trainiert. Hier helfen Sie mit Trainings nach, aber Verkaufspsychologie kann man natürlich nicht an einem Tag studieren …

Wir werden verkäuferisch nicht ausgebildet, leben aber vom Verkauf. Das ist ein Problem, das ich seit Jahrzehnten anprangere. In der Augenoptik-Branche sind 90 Prozent nicht entsprechend ausgebildet. Die Ausbildung, die die Berufsschulen vermitteln, ist noch dazu psychologisch falsch.

Inwiefern falsch?

Nehmen wir zum Beispiel die Fragetechniken in Verkaufsgesprächen: Den Schülern wird beigebracht, bei der Anamnese ausschließlich offene Fragen zu stellen, etwa „Wie kann ich mir Ihren Arbeitsalltag vorstellen?“. Ein Laie weiß nichts mit der Frage anzufangen – es wird also so geschult, als ob ein Augenoptiker gegenübersitzt, der weiß, worauf die Frage abzielt. Andere Formulierungen wie „Was machen Sie beruflich?“ können in den falschen Hals geraten oder „Wie verbringen Sie Ihre Freizeit“ geht den Augenoptiker per se nichts an. Allgemein nimmt die Verkaufspraxis einen zu kleinen Teil der Ausbildung ein, sodass die Angst vor dem Verkaufen bestehen bleibt. Wenn ein Einsteiger trotzdem den Mut fasst und den Kunden auf Zusatzprodukte anspricht, dann aber auf Absagen stößt – im schlechtesten Fall auch noch unfreundlich formuliert – macht er das zweimal und dann nie wieder, weil er sich nicht wohl dabei fühlt. Letztlich wird dem Nachwuchs in der Ausbildung nur das Bild des Handwerkers vermittelt, nicht das des Verkäufers – das muss sich ändern.