Gute Gründe für den AOK-­Vertrag

Kundin wird von einer Augenoptikerin beraten
Nach dem AOK-Vertrag haftet der Augenoptiker stets für die Funktionstüchtigkeit der abgegebenen Sehhilfen. Und zwar auch dann, wenn die Brille exakt nach einer ärztlichen Verordnung gefertigt wurde.
© Heike Skamper

Mit Wirkung zum 1. Dezember 2017 ist der sogenannte AOK-Vertrag in Kraft getreten. Binnen weniger Tage sind viele hunderte Augenoptikbetriebe der zwischen dem Zentralverband der Augenoptiker und Optometristen (ZVA) und dem AOK-Bundesverband1 erzielten Vereinbarung beigetreten. Dies kann als Beleg für ein positives Verhandlungsergebnis gesehen werden. Damit würde man es sich aber zu einfach machen, zumal es durchaus – wenn auch vereinzelt – Kritik an dem AOK-Vertrag gibt. Dabei richten sich die Einwände sowohl gegen den Vertragsabschluss an sich als auch gegen einzelne Vertragsregelungen. Die Analyse des Vertrags zeigt: Es gibt wesentlich mehr Licht als Schatten.

Nach mehr als 13 Jahren „Funkstille“ mit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG), in Kraft getreten am 11. April 2017, einiges grundsätzlich geändert. Zwar war durch das Gesetzgebungsverfahren schon länger bekannt, dass es gesetzliche Änderungen geben würde. Für die Augenoptik waren diese allerdings alle recht belanglos, da seit dem 1. Januar 2004 die Sehhilfen weitestgehend nicht mehr zum Leistungsangebot der gesetzlichen Krankenkassen gehören. Doch dann kam am Ende alles anders als gedacht.

Nach der Anhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundetags am  30. November 2016 wurden hinter den Kulissen und nicht öffentlich Beratungen durchgeführt und Änderungsanträge formuliert. Mit dabei war ein Antrag auf eine Leistungsausweitung bei Sehhilfen, die ohne öffentlichen Diskurs übernommen wurde. Dies „bescherte“ der Augenoptik die Regelung, dass seit Inkrafttreten des HHVG Erwachsene einen Anspruch auf eine Sehhilfe haben, wenn der verordnete Fern-Korrekturausgleich für einen Refraktionsfehler von mehr als sechs Dioptrien bei Myopie oder Hyperopie oder mehr als vier Dioptrien bei Astigmatismus beträgt.

Durch diese Gesetzesänderung steht die Augenoptik wieder mehr im Blickpunkt der gesetzlichen Krankenversicherungen. Es gibt wieder mehr Versicherte, die einen Anspruch auf eine Sehhilfe zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung haben. Da die Rahmen- beziehungsweise Versorgungsverträge in der Augenoptik seit Jahren bis Jahrzehnten nicht mehr an die aktuelle gesetzliche Lage angepasst wurden, teilweise sogar überhaupt keine Verträge mehr existieren, sahen die Krankenkassen – und hier als erste die AOK – einen Bedarf, neue Versorgungsverträge zu schließen.

Warum hat der Verband überhaupt einen Vertrag abgeschlossen?

Im AOK-Vertrag konnte eine praxisgerechte
Konkretisierung des Gesetzestextes vorgenommen
werden: Folgeversorgungen sind in der
Regel per Berechtigungsschein durch den Augenoptiker
möglich.
© Heike Skamper

In diesem als Frage getarnten Vorwurf steckt die Behauptung, dass es heute keinen Vertrag mit der AOK geben würde, wenn der Verband nicht einen solchen geschlossen hätte. Dies ist jedoch falsch. Die gesetzlichen Krankenversicherungen haben sich in den vergangenen Jahren – dies zeigt ein Blick in andere Hilfsmittelbereiche – noch nie gescheut, (notfalls) auch Verträge mit einzelnen, filialstarken Unternehmen zu schließen. Verzichtet der Verband auf Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen, gibt er Gestaltungsmöglichkeiten auf. Hinzu kommt, dass die Branche seit dem 11. April 2017 neue Versorgungsverträge dringend braucht. Denn das HHVG weitet nicht nur den Anspruch der Versicherten auf Sehhilfen aus, sondern hat auch noch eine ganze Reihe von Pflichten  für alle Leistungserbringer im Hilfsmittelbereich im Gepäck. Dabei verzichtete der Gesetzgeber auf Übergangsvorschriften. Die gesetzlichen Pflichten gelten also sofort.

Für die Augenoptik war dies besonders fatal: Die Produktgruppe 25 – der Teil des Hilfsmittelverzeichnisses, der die Produkteigenschaften der Sehhilfen definiert, die zu Lasten der GKV abgegeben werden – stammt aus dem Jahr 1997 und hat mit der heutigen Versorgungswirklichkeit so gut wie nichts mehr zu tun. Die Festbeträge sind eigentlich schon seit Jahrzehnten zu niedrig, sodass eine kostendeckende Versorgung nicht möglich ist. Die Hilfsmittelrichtlinie, das Regelwerk des Gemeinsamen Bundesausschusses, das die im Gesetz allgemein beschriebenen Versorgungsansprüche konkretisiert, musste wegen der gesetzlichen Ausweitung der Versorgungsansprüche ebenfalls angepasst werden. Und zu guter Letzt die Versorgungsverträge mit den Krankenkassen: Diese stammen ganz überwiegend noch aus dem letzten Jahrtausend. Teilweise sind die Vertragspartner durch Fusionen von Krankenkassen nicht mehr existent. Verschiedene Versorgungsverträge wurden abweichend von den vertraglichen Regelungen gelebt, sodass Juristen sich streiten können, ob die geschlossenen Versorgungsverträge von damals faktisch aufgehoben oder abgeändert worden sind.

All dies zeigt bereits, das große Regelungsbedürfnis nach Inkrafttreten des HHVG. Hinzu kommen noch vier gesetzlich vorgegebene Themen, die Abschlüsse neuer Versorgungsverträge notwendig machen.

Dokumentation der Beratung:

Durch das HHVG wurde den Leistungserbringern die Pflicht aufgelegt, den Versicherten eine aufzahlungsfreie Leistung anzubieten und die Beratung des Versicherten zu dokumentieren. Wie genau dies zu geschehen hat, sagt das Gesetz nicht. Konkrete Festlegungen und damit Rechtssicherheit bietet nun der Versorgungsvertrag.

Präqualifizierung:

Nach dem Wortlaut des Gesetzes müssen seit dem 11. April 2017 alle Leistungserbringer präqualifiziert sein, wenn sie zu Lasten der GKV liefern wollen. Und das, obwohl es noch im März 2017 Verlautbarungen des GKV-Spitzenverbandes gegeben hatte, dass Augenoptikbetriebe mit der alten Kassenzulassung weiterhin liefern dürfen, wenn sich keine wesentlichen Änderungen im Betrieb ergeben haben. Daher dürfen im Prinzip nur präqualifizierte Betriebe zu Lasten der Krankenkassen liefern. Im AOK-Vertrag wurde eine Übergangsfrist bis zum  30. Juni 2018 vereinbart, die derzeit noch nicht präqualifizierten Betrieben Zeit gibt, sich noch präqualifizieren zu lassen.

Mehrkostenangabe:

Ebenfalls durch das Gesetz werden alle Leistungserbringer verpflichtet, den Krankenkassen mitzuteilen, in welcher Höhe der Versicherte private Zuzahlungen geleistet hat. Seit dem 1. Januar 2018 sind die technischen Voraussetzungen für die Übermittlung geklärt. Mit der AOK konnte eine einfache Verständigung erreicht werden, sodass die Angaben direkt auf dem Berechtigungsschein beziehungsweise der ärztlichen Verordnung gemacht werden können.

Versorgungsberechtigung des Augenoptikers:

Im Gesetz heißt es, dass der Fernkorrekturausgleich „verordnet“ sein müsse. Der Gemeinsame Bundesausschuss, Ärzte- und Patientenvertreter sowie eine ganze Reihe von Krankenkassen haben dies so ausgelegt, dass Sehhilfen nur dann zu Lasten der GKV abgegeben werden können, wenn diese zuvor ärztlich verordnet wurden. Im AOK-Vertrag konnte eine praxisgerechte Konkretisierung des Gesetzestextes vorgenommen werden: Folgeversorgungen sind in der Regel per Berechtigungsschein durch den Augenoptiker möglich.

Weitere wichtige Vertragsinhalte

Über die genauen Vertragsinhalte ist bereits viel informiert worden, daher sollen im Folgenden nur die wichtigsten Inhalte herausgegriffen werden. Teilweise sind diese nur in Zusammenhang mit der beschriebenen Gemengelage von neuem Gesetz und veralteten sonstigen Regelungen zu verstehen. Dies gilt insbesondere für die Tatsache, dass der AOK-Vertrag nur die Versorgung mit Brillengläsern auf Basis der aktuellen Rahmen-bedingungen regelt und für Schieltherapeutika, Kontaktlinsen und vergrößernden Sehhilfen nur die Abrechnungsmodalitäten bei der Lieferung zum Festbetrag enthält.

Versorgung mit Brillengläsern

Das Gesetz sieht vor, dass die Krankenkassen den Versicherten mindestens eine aufzahlungsfreie Versorgungsmöglichkeit zur Verfügung stellen müssen. Auch ist gesetzlich geregelt, dass die Krankenkassen keine Vertragspreise oberhalb der festgelegten Festbeträge vereinbaren dürfen. Da eine Lieferung zum Festbetrag / Vertragspreis nur bei Brillengläsern vorstellbar ist, wurden nur die Brillengläser zum Gegenstand des Vertrages. Den Versicherten bleibt es unbenommen, zusätzliche Veredelungen oder höherwertige Materialien zu wählen. Diese Kosten müssen dann jedoch vom Versicherten privat getragen werden. In diesen Fällen entfällt die Lieferpflicht zum Festbetrag / Vertragspreis, da der Versicherte die Mehrkosten privat trägt. Da dies in mehr als 90 Prozent der Fälle geschieht, war eine derartige Regelung akzeptabel.
Die Situation bei Kontaktlinsen und vergrößernden Sehhilfen ist eine andere. Daher wurden diese nur nachrichtlich in den Vertrag mit aufgenommen, was in der Praxis bedeutet, dass eben keine Lieferung zum Festbetrag vorgesehen ist.

Regelung zur Gewährleistung

AOK-VertragNach dem AOK-Vertrag haftet der Augenoptiker stets für die Funktionstüchtigkeit der abgegebenen Sehhilfen. Und zwar auch dann, wenn die Brille exakt nach einer ärztlichen Verordnung gefertigt wurde. Aus pragmatischen Gründen wurde diese Regelung in den Vertrag aufgenommen. Denn der Augenoptiker hat bereits jetzt gegenüber seinem Kunden für eine funktionsfähige Sehhilfe einzustehen, auch wenn das Problem gegebenenfalls auf einer suboptimalen ärztlichen Verordnung beruht. Daher gehen die Betriebe vermehrt dazu über, die Werte des Rezeptes direkt zu überprüfen, sei es durch Prüfung auf Vollständigkeit, auf Plausibilität oder direkt durch eine Prüfung auf dem Refraktionsstuhl. Der AOK-Vertrag bietet hier den Vorteil, dass Änderungen bei Korrektionswerten direkt durch den Augenoptiker vorgenommen werden können. Es genügt das Ausfüllen eines Berechtigungsscheins und die Sehhilfe kann mit den geänderten Werten gefertigt, abgegeben und abgerechnet werden. Rücksprachen mit dem Augenarzt sind in der Regel nicht mehr notwendig. Dabei bleibt es den Augenoptikern unbenommen, vom Versicherten für eine Refraktionsbestimmung ein Entgelt zu verlangen, sollte die Prüfung der ärztlichen Werte ergeben, dass eine erneute Refraktion angezeigt ist.

Allerdings muss sich der Augenoptiker jederzeit seiner Verantwortung gegenüber seinem Kunden bewusst sein. Änderungen von augenärztlichen Verordnungen müssen mit Bedacht vorgenommen werden. Verordnungen bei Kindern sowie bei krankhaften Zuständen des Auges sollten nicht beziehungsweise nur nach Rücksprache mit dem Augenarzt erfolgen.

Bürokratische Versorgung

Es ist unbestritten, dass der Aufwand für die Versorgung von gesetzlich Versicherten beziehungsweise die Abrechnung der Leistungen zu Lasten der GKV unverhältnismäßig aufwändig sind. Die Klagen vieler Betriebe dazu sind absolut nachvollziehbar und berechtigt. Wenn man den Anteil des Krankenkassenumsatzes am Gesamtumsatz der Branche oder der einzelnen Betriebe sieht, der durchschnittlich bei nur etwa 1,2 Prozent liegt, steht der Aufwand oft in keinem Verhältnis zum Ertrag.
Das Problem liegt jedoch nicht im Abschluss eines Versorgungsvertrags. Das Problem ist das Gesetz, das viele Auflagen macht und nicht nach Berufsgruppen differenziert. Für den Gesetzgeber spielt es keine Rolle, ob der Branchenumsatz mit den Krankenkassen bei 1,2 Prozent oder bei 80 Prozent und mehr liegt (wie bei anderen Berufsgruppen). Die gesetzlichen Regelungen gelten in der gleichen Art und Weise bei allen „sonstigen Leistungserbringern“, zu denen auch die Augenoptiker gezählt werden, ohne weiter zu differenzieren.

Dreizehn Jahre (fast) ohne Krankenkassen haben dazu bei-getragen, dass der Aufwand im Zusammenhang mit den gesetzlichen Krankenkassen nahezu in Vergessenheit geraten ist. Betriebe, die in diesem Zeitraum neu gegründet wurden, kennen das Prozedere beinahe überhaupt nicht. Dass das Thema Krankenkassen überhaupt jemals wieder virulent würde – damit hat keiner gerechnet. Daher stoßen die neuen Regelungen – teilweise zu Recht – auf Unverständnis.

Von kleineren Betrieben hört man, dass sie aufgrund der aufwändigen Anforderungen kein Interesse haben, Verträge mit den Krankenkassen abzuschließen. Informationen aus verschiedenen Bundesländern haben ergeben, dass teilweise nur 40 bis 50 Prozent der Betriebsstätten dem AOK-Vertrag beigetreten sind. Die großen Filialunternehmen lassen sich den Krankenkassenumsatz jedoch in der Regel nicht entgehen – sie sind überwiegend Vertragspartner der AOK. Es wäre fatal, wenn sich im Laufe der Zeit immer häufiger kleinere Betriebe aus der Versorgung von gesetzlich Krankenversicherten verabschieden würden. Dann wäre auch keine flächendeckende Versorgung der Versicherten mehr gewährleistet.

Erster Schritt zum Bürokratieabbau

Der Abschluss des Versorgungsvertrags mit der AOK ist der erste Schritt, um die gesetzlich angeordnete Bürokratie einzudämmen. So sollen möglichst wenige Versorgungsverträge geschlossen werden. Um den Aufwand der Betriebe möglichst gering zu halten, ist es erklärtes Ziel des ZVA, dass gegenüber allen Krankenkassen – unabhängig vom jeweiligen Vertrag – stets die gleichen Prozedere und die gleichen Formulare zum Einsatz gelangen. Komplett ohne einzuhaltende Vorgaben geht es nicht, denn die Gesetze sind zu beachten.

Versorgungsverträge werden geschlossen, um die Abwicklung der Versorgung der Versicherten und die Abrechnung mit den Krankenkassen zu regeln und auf eine aktuelle gesetzliche Grundlage zu stellen. Der Zentralverband der Augenoptiker und Optometristen ist hierbei bestrebt, den Aufwand für die Betriebe möglichst gering zu halten. Jeder Betrieb soll die Möglichkeit haben, ohne übertriebenen Aufwand GKV-Versicherte zu versorgen und die Leistungen abzurechnen. Nach einer Umstellungs- und Gewöhnungsphase wird sich die Abwicklung der Versorgung und die Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen wieder einspielen.

In der nächsten Zeit stehen noch einige Anpassungen an, zum Beispiel wird die Produktgruppe 25 (Sehhilfen) derzeit vom GKV-Spitzenverband überarbeitet. Auf dieser Grundlage werden dann neue Festbeträge angesetzt. Dass die derzeitigen Festbeträge bei weitem zu niedrig sind, hat sich herumgesprochen, sodass mit einer Anhebung zu rechnen ist. Wann eine Neufestsetzung erfolgt, kann derzeit noch nicht mit Sicherheit gesagt werden. Es ist allerdings davon auszugehen, dass dies nicht vor 2019 erfolgt. Ein weiteres Thema ist die Anpassung der Hilfsmittelrichtlinie an das Gesetz.

Es wird also noch eine Weile dauern, bis alle Regelungen in Sachen gesetzliche Krankenversicherung aktuell sind und zusammenpassen. Der Zentralverband der Augenoptiker und Optometristen wird alles in seiner Macht stehende unternehmen, dass die berufspolitischen Aspekte berücksichtigt werden und der Aufwand für die Betriebe begrenzt bleibt. Es bleibt spannend!

Autorin: Sigrun Schmitz, Abteilungsleiterin Betriebswirtschaft und Krankenkassen beim Zentralverband der Augenoptiker und Optometristen, fasst für die DOZ die ersten Erfahrungen in Bezug auf den AOK-Vertrag zusammen.


1 ZVA und der AOK-Bundesverband haben den Vertrag im Namen der Augenoptikerinnungen, Landesinnungen und Landesinnungsverbände beziehungsweise im Namen der regional zuständigen AOK geschlossen. Ein inhaltsgleicher Vertrag für Baden-Württemberg wurde zwischen dem Südwestdeutschen Augenoptiker-Verband und der AOK Baden-Württemberg vereinbart.