Branche im Wandel der Zeit

Hoyas EyeGenius vereint 60 Tests, um eine umfangreiche Augenuntersuchung durchzuführen.
Hoyas EyeGenius vereint 60 Tests, um eine umfangreiche Augenuntersuchung durchzuführen.
© Hoya

Mitte des vergangenen Jahrhunderts waren nahezu alle Wirtschaftszweige geplagt von der Mangelwirtschaft der Nachkriegszeit. Heute, gute sechs Jahr- zehnte später, leben wir in einer Welt des Warenüberschusses und der Massenproduktion. Dank moderner Fertigungstechniken und großen Kapazitäten bei der Lagerlogistik erhält der Konsument das Produkt seiner Wahl oft innerhalb weniger Stunden. Inwieweit kann und muss der stationäre Augenoptiker hier mithalten und welche Folgen zeichnen sich durch den wachsenden Onlinehandel für den Verbraucher ab? Auch immer mehr Augenoptiker und Optometristen profitieren vom digitalen Fortschritt und nutzen das Internet längst für den Vertrieb von Auslaufmodellen, Pflegemitteln, Austauschlinsen oder für die Gewinnung neuer Kunden über soziale Netzwerke oder der eigenen Website und mobiler Applikation. Es ist also nicht alles schlecht an dieser neuen digitalen Welt.

Die Brille wird lange schon nicht mehr als einfache Sehhilfe angesehen. Viel­mehr ist sie heute ein modisches Lifestyle­produkt. Digitale Leseproben (Tablets) und Simulationen mit videogestützten Kamerasystemen (Virtual­ und Augmented Reality­Brillen) ermöglichen es dem Kun­den bereits vor dem Kauf, die Produkte zu erleben und zu erproben. Das ist gut so, denn er möchte heutzutage schließlich umworben und erobert werden. Dem Au­genoptiker ermöglicht der Einsatz moderner Messinstrumente die individuellere Bestimmung des bestmöglichen Seh­erlebnisses. Solide Hand­werkstechnik und Fach­wissen können jedoch nicht durch autonome Technik ersetzt wer­den. Digitale Werkzeuge kommen an verschiedenen Stellen des Brillenerwerbs zum Einsatz, aber nach wie vor beginnt alles mit der  Sehstärkenprüfung und endet mit der optimalen Anpassung der gefertigten Brille oder Kontaktlinse.

Erfassung sensibler Kundendaten

Im Zuge der Anamnese und der optome­trischen Untersuchung ist eine Erfassung kundenrelevanter Daten unabdingbar. Hierzu gehören neben personenbezoge­nen Daten des Kunden ebenfalls me­dizinisch relevante Faktoren, die durchaus Einfluss auf die Refraktion haben. Kunden kön­nen mit Hilfe computerge­stützter Systeme bereits im Wartebereich oder sogar schon bequem von Zuhause aktu­elle Daten zu ihrem Sehstatus ange­ben. Dieses Vorgehen verbessert das Zeitmanagement des Augenoptikers und reduziert Über­ragungsfehler. Zudem ermöglicht die di­gitale Erfassung eine filialübergreifende Nutzung der Kundendaten und schont die Lagerkapazität der  Geschäftsräume.

Neben Autorefraktometern heute verstärkt wellenfrontoptimierte Messinstrumente zum Einsatz, beispielsweise der DNEye Scanner von Rodenstock (Foto: Rodenstock
Der DNEye Scanner von Rodenstock. (Foto: Rodenstock)

Ermittlung individueller Parameter

Neben den klassischen Autorefrakto­metern  zur  Bestimmung  der objektiven Korrektion und Hornhauttopographie kommen heute verstärkt wellenfront­ optimierte Messinstrumente zum Einsatz (z. B. DNEye Scanner von Rodenstock, i.Profiler von Zeiss). Sie ermöglichen, Feh­ler höherer Ordnung zu ermitteln, um Defizite beim mesopischen und skotopi­schen Sehen zu minimieren. Die Vermes­sung der Hornhaut kann mögliche Ano­malien aufdecken und zur medizinischen Abklärung beitragen. Sofern erkannt wird, dass Sehprobleme nicht von Refraktions­fehlern hervorgerufen werden, können Reklamationen reduziert und letztlich die Kundenzufriedenheit  gesteigert werden.

Messinstrumente für die subjektive Refraktion

Jedes objektiv ermittelte Messergebnis sollte im Rahmen der Augenüberprü­fung mit den individuellen Ansprüchen des Kunden abgestimmt werden. Hierzu kommen neben Projektortafeln in vielen Geschäften computergestützte Sehzei­chentafeln zum Einsatz. Sie sichern neben einer gleichmäßigen Ausleuchtung ein auf die Länge des Untersuchungsraumes angepasstes Auflösungsvermögen der Sehzeichen. Die „monokulare Refraktion unter binokularen Bedingungen“ verän­dert die Augenglasbestimmung seit 2014; die 3D­-Refraktion möchte seitdem eine Augenglasbestimmung unter natürliche­ren Bedingungen sicherstellen. Zudem erleichtern eine Reihe an Screening­ Tests (Farbsinn­ und Kontrastsehtafeln, einfache Tests zur Tiefenschärfe) dem Fachmann die Handhabung während der Refraktion. Eine weitere Marktneuheit darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben: EyeGenius von Hoya vereint 60 Tests, um eine umfangreiche Augenuntersu­chung durchzuführen. Spezielle Kinder­sehzeichen erleichtern die Arbeit mit dem Kundennachwuchs. Neu ist die eigens konzipierte Messreihe zur Ermittlung der bestmöglichen prismatischen Korrektion bei einer Fixationsdisparation. Der Kunde ist direkt in den Messablauf eingebunden, dadurch kann ein optimaler binokularer Sehstatus erreicht werden. Diese Tech­nik soll eine bessere Verträglichkeit von Einstärken­ und Gleitsichtgläsern erzie­len und zur deutlicheren Minderung von asthenopischen Beschwerden beitragen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit dieses interaktive System auch das Kundener­lebnis steigert.

Moderne Video- zentriergeräte und Gesichtsscanner

Computergestützte Videozentriergeräte haben seit mehr als einem Jahrzehnt Einzug in die Geschäftsräume gehalten. Sie versprechen reproduzierbare Mes­sergebnisse mit Messunsicherheiten, die geringer ausfallen als 1/10 Mil­limeter. Dank technischer Weiter­entwicklungen, sind diese Geräte auch bereits für den mobilen Gebrauch auf Tablets zu fin­den und ermöglichen somit den Einsatz auf kleinster Ladenfläche. Die neue Fer­tigungsmöglichkeiten des 3D-­Drucks erlauben es, Bril­len nach anatomischen Ge­gebenheiten und individu­ellen  Kundenansprüchen zu gestalten. Im Rahmen dieser Entwicklung gibt es viele Start­up-­Unternehmen, die den stationären Augenoptiker unter­ stützen, individuelle Kundenwünsche in einzigartige Fassungen umzusetzen. Ein Beispiel: Ted Prin aus Hamburg – im Zuge der Brillenanpassung ist es mög­lich, neben der Stegweite auch die Fas­sungsscheibenlänge und Höhe anzupas­sen. Im Zuge der Datenerfassung nutzen Unternehmen wie Framepunk (Berlin) zusätzlich einen Gesichtsscanner, um die Dimensionen der späteren Fassung zu ermitteln und dem Kunden im Zuge der digitalen Anprobe bereits zu einem Kauf­erlebnis zu verhelfen.

Zur Silmo in Paris präsentierte Hoya vergangenes Jahr Yuniku, eine 3D­-Druck basierte Technik zur Erstellung maßge­schneiderter Brillenmode. Ziel soll es sein, dem Kunden zu einem optimalen Seherlebnis zu verhelfen und hierbei in­dividuelle anatomische Gegebenheiten in der Fassungsproduktion umzusetzen. Zur Opti in diesem Januar wird Yuniku den hiesigen Augenoptikern vorgestellt und ihnen anschließend zur Verfügung stehen. Zeitgleich stellt die DOZ die „maßgefer­tigte Brillenkollektion“ in der kommenden Ausgabe detailliert vor.

Einsatz medizinischer Kombinationsgeräte

Im Rahmen des technischen Fortschrittes sind medizinische Untersuchungsgeräte kompakter, anwenderfreundlicher und vor allem preislich erschwinglicher geworden. Augenoptiker / Optometristen haben heute die Möglichkeit, mit diesen Geräten (z. B. Oculus / Nidek Tonoref III oder Visionix VX 120) zusätzlich zur automatischen  Bestimmung der Refraktion und Horn­hauttopographie auch in „medizinische Be­ reiche“ vorzudringen und Tonometrie und Pachymetrie zu prü­fen. Die erhobenen Daten ermöglichen, mit Hilfe eines bild­gebenden Verfah­rens – klassische Fundusfotographie oder Scanning Laser Ophthalmoskopie – Aussagen über nicht refraktive Einfluss­faktoren bei eingeschränktem Sehstatus treffen zu können.

Mit dem Oculus / Nidek Tonoref III kann der Optometrist zusätzlich zur automatischen Bestimmung der Refraktion und Hornhauttopographie auch in „medizinische Bereiche“ vordringen. (Foto: Oculus)
Oculus / Nidek Tonoref III (Foto: Oculus)

Individuell beraten und versorgen

Die Technik schreitet voran. Augenoptiker sollten diese immer neuen Möglichkeiten bestmöglich nutzen, um ihre Kunden individuell beraten und versorgen zu können. Ehe jedoch neue, moderne Geräte angeschafft werden, um etwaige Defizite in der aktuellen Geschäftsausstattung zu beheben, muss abgewogen werden, inwieweit die Anschaffung für das jeweilige Geschäftsmodell tatsächlich sinnvoll ist. Nur wenn das technische Verständnis zur Nutzung des Instrumentes und das Wissen zur Deutung der gewonnenen Daten im Betrieb durch das Personal vorhanden ist, kann ein oben beschriebenes Gerät als lohnende Investition angesehen werden, die einen Nutzen für Kunden und Mitarbeiter bringt. Es ist unausweichlich technische Geräte zu aktualisieren oder gegebenenfalls neu anzuschaffen, um den individuellen Kundenansprüchen auch in Zukunft gerechz zu werden 

Digitalisierung als Stolperstein

Dank des heute üblichen Onlineservice können Brillengläser und ­-fassungen auf ihre Verfügbarkeit geprüft und zu jeder Zeit bestellt werden. Dieses Vorgehen ver­kürzt die Wartezeiten für den Kunden und steigert somit die Zufriedenheit. Techni­sche Störungen würden sich mit starken Einschränkungen auf das Tagesgeschäft auswirken und binden den Augenoptiker an altmodische Bestellwege per Fax oder Telefon.Vor einer Modernisierung muss zudem geprüft werden, ob die räumlichen Gegebenheiten des Geschäftes die technischen Voraussetzungen erfüllen, um zum Bei­spiel Prüfinstrumente zum Datenabgleich intern und extern zu vernetzen. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt ist auch die Compliance der Geschäftsinhaber und Mitarbeiter; wer ist in der Lage, die neu erworbene Technik zu benutzen und was kann vor allem aus den gewonnenen Da­ten abgelesen werden? Rein rechtlich dürfen  Augenoptiker  und Opto­metristen ausschließlich Ver­dachtsdiagnosen äußern. Der Fortschritt durch die Digita­lisierung kann im Geschäft nur erfolgreich impliziert und umgesetzt werden, wenn re­gelmäßige Fortbildungen des Fachpersonals sichergestellt sind. Andernfalls besteht die Gefahr, dass es entweder zum feh­lerhaften Einsatz modernster Geräte und damit verbundenen Messfehlern kommt, andernfalls Ergebnisse falsch ausgewertet und Kunden oder Patienten in trügeri­scher Sicherheit gewogen werden.

Qualifizierte Brillenabgabe nur durch kompetente Fachkräfte möglich

Viele stationäre Augenoptiker verfolgen mit Schrecken die steigenden Umsatz­ zahlen des Onlinemarktes. Allerdings ist eine  qualifizierte Brillenabgabe und die damit verbundene Anpassung nur durch kompetente Fachkräfte vor Ort möglich. Deswegen agieren bisher reine Online­händler schon lange mit stationären Kooperationspartnern oder direkten Ver­kaufsstellen, um den Verkaufsprozess im vollen Umfang abzuwickeln. Die Käufer von morgen sind aber nicht die Kunden von gestern. Viele der heutigen Kunden sind noch ohne Social Media, noch ohne Facebook und WhatsApp aufgewachsen – sie nutzen daher noch nahezu ausschließ­lich den Produktvergleich vor Ort. Die junge Generation ist deutlich technikaf­finer und nutzt die neuen Medien, um Produktneuheiten zu recherchie­ren. Natürlich ist der Einzel­ handel beschränkt durch seine  Öffnungszeiten, der Onlinemarkt steht rund um die Uhr zur Verfügung. Diesen Wettbewerbsvorteil kann aber jeder Au­genoptiker nutzen, indem er seine Pro­dukte online anpreist und für eine individu­elle Beratung in seinem Geschäft wirbt. 

Die Digitalisierung wird weiterge­hen, sie wird Risiken für den stationä­ren Augenoptiker parat halten, sie wird viele Chancen bieten. Denn Brillenkauf ist und bleibt Vertrauenssache. Der nie­dergelassene Augenoptiker/ Optometrist kann jedoch von der Neugier der neuen Käuferschicht profitieren. Das Internet kann ein hilfreicher Wegbegleiter bei der Kundengewinnung und ­-inspiration dar­ stellen. Wer sich in die Preiszange begibt und versucht, mit der Tiefpreispolitik von reinen Vertriebsunternehmen mitzuhalten, kann und wird nicht langfristig erfolg­ reich wirtschaften. Vielmehr sollten neue Vertriebsfelder gesucht werden, um als kompetenter Spezialist aufzutreten, um Kundenwünsche zu erkennen und aufzu­greifen. Der sinnvolle Einsatz modernster Technik wird diese Ziele unterstützen. Vor allem in den Bereichen der Kinderopto­metrie, in der Versorgung mit Speziallin­sen oder Vergrößernden Sehhilfen gibt es vor allem in den ländlichen Regionen ein großes Ausbaupotenzial.

Tom Lesinski