Auf der Suche nach Identität

Mit Corporate Identity das Firmenprofil schärfen

Die Frage „Wer bin ich?“ kann autobiografisch hoch individuell oder zutiefst philosophisch ausgelegt werden. Mit Blick auf den Einzelhandel wird das Thema konkreter: Das Zauberwort heißt Corporate Identity, kurz CI. Den meisten ist der Begriff bekannt. Diverse profane bis kluge Behauptungen und Halbwahrheiten hat vermutlich jeder von Ihnen bereits gehört. Aber was genau bedeutet Corporate Identity eigentlich? Was gilt es zu beachten?
J!NS Store in Tokio

Für ein unprätentiöses und kreatives Corporate Design wurde bei J!NS in Tokio aus  klassischen Holzpaletten ein ganzes Ladenbau-Programm konzipiert.

© Daici Ano

Erstveröffentlicht in der DOZ 06|21

Identität. Wir alle haben eine. Wie genau diese aussieht, ist letztlich eine Frage der Perspektive. Die Selbstwahrnehmung (also meine eigene Vorstellung davon, wer ich bin) und die Fremdwahrnehmung (also die Wahrnehmung anderer darüber, wer ich bin) sind zwei Paar Schuhe und können sich durchaus unterscheiden. Dabei weiß unser Umfeld oder auch unsere potenzielle Kundschaft nur das über uns, was wir mit unseren Worten, unserem Verhalten, unserer Erscheinung und unseren Leistungen nach außen kommunizieren. Ob wir bewusst oder unbewusst auf unsere Außenwahrnehmung Einfluss nehmen, liegt ganz bei uns. Das Gegenüber versucht uns währenddessen automatisch einzuordnen. Per se ist das nichts Schlechtes und dient lediglich der besseren Orientierung. Mit Blick auf unsere eigene Person können wir unsere Außenwirkung durch das sogenannte Selfbranding aktiv beeinflussen. Der Begriff erscheint möglicherweise egozentrisch. Tatsächlich ist Selfbranding aber ein sehr hilfreiches Mittel, um das eigene, berufliche Profil zu schärfen und so Karriereziele effizienter zu erreichen. Weitet man die Frage nach kontrollierter Außenwirkung generalisiert auf die Unternehmensebene aus, spricht man vom Konzept der Corporate Identity. 

Das Komplizierte an Identity & Co.

Übersetzt bedeutet Corporate „Unternehmen, Körperschaft oder Firma“ und Identity „Identität“. Wer jetzt denk: „Klar, Corporate Identity und Unternehmensidentität ist dasselbe“ liegt allerdings falsch, denn Corporate Identity beschreibt ein vollumfängliches Konzept mit strategischen Maßnahmen, das zum Ziel hat, eine Unternehmensidentität herauszuarbeiten. Diese Identität ist allerdings nur ein Selbstbild des Unternehmens, das erst durch konsequente Kommunikation nach außen in den Köpfen der Kundinnen und Kunden zu einem Unternehmensimage wird. Dieses Image verleitet Kundinnen dazu, sich durch den Konsum von Produkten und Services mit dem jeweiligen Unternehmen verbinden zu wollen (siehe Grafik). Klingt verwirrend? Bleiben Sie dran: Ich verspreche, es ist im Grunde simpel! 

Vorweg ein Hinweis: Aufgrund der Tatsache, dass Begriffe in der Übersetzung (wie gerade aufgezeigt) gleichbedeutend erscheinen, im Retail-Sektor aber dennoch unterschiedlich gebraucht werden, folgen weitere englische Begriffe, die ich bewusst nicht übersetzen, aber natürlich erklären werde. „Die Idee der Corporate Identity geht davon aus, dass Unternehmen ebenso wie Personen als soziale Systeme wahrgenommen werden und deshalb auch genauso agieren können. Durch die eindeutige Abgrenzung vom Wettbewerb und die Schaffung einer klaren Persönlichkeit erreicht das Unternehmen […] eine Unverwechselbarkeit“, heißt es auf der Homepage des Deutschen Instituts für Marketing. Um in einer Welt des nahezu unbegrenzten Konsums überhaupt am Markt sichtbar zu sein, kann ein Unternehmensprofil mit klarer CI den entscheidenden Unterschied zur Konkurrenz ausmachen. 

Schaublatt Corporate Identity
© Henriette Steuer

Unternehmensphilosophie oder Corporate Soul

Als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer passenden CI-Strategie dienen die folgenden Fragestellungen: Warum liebe ich meinen Job? Was treibt mich an? Wenn Sie Unternehmensgründer oder Inhaber sind, dann sind die Antworten auf diese Fragen bereits der Kern Ihrer Unternehmensphilosophie, die heutzutage auch mit dem Begriff Corporate Soul gleichgesetzt werden kann. Diese Haltung kann mit einem Motto untermauert werden, das die eigenen Werte prägnant und in aller Kürze auf den Punkt bringt. 

Durchaus interessant: Googles firmeninternes Motto lautet „Do the right thing“. Hätten Sie dieses Motto mit Google in Verbindung gebracht? (Wir sind hier übrigens automatisch wieder beim Thema Selbst- und Fernwahrnehmung gelandet.) Ob sie mit Google in diesem Punkt einer Meinung sind oder nicht, spielt für diesen Artikel keine Rolle: Entscheidend ist vielmehr bei der Auswahl des eigenen Mottos authentisch zu bleiben und sich selbst realistisch einschätzen zu können. Konstruktives Feedback von außen kann da durchaus helfen. Erst auf Basis der ausformulierten Corporate Soul kann die CI entwickelt werden, die im Wesentlichen aus vier Themenfeldern zusammengesetzt wird: Corporate Culture, Corporate Behavior, Corporate Communication und Corporate Design.

Zeige mir, wer Du bist

Die Corporate Culture ist in der Regel abhängig vom kulturellen Kontext, in dem sich das Unternehmen befindet. Der Kontext legt bestimmte Grundwerte, Verhaltensnormen und rechtliche Ordnungsprinzipien zugrunde. Darüber hinaus können zusätzliche Unternehmensregeln und Werte festgelegt werden. Fragen wie die beispielhaft folgenden sollten dafür verbindlich beantwortet werden: Wer wird geduzt und wer gesiezt? Wie soll der Sprachgebrauch sein – sachlich, persönlich oder humorvoll? Welche Themen sind uns wichtig (Beispiele: Nachhaltigkeit, Modebewusstsein, Handwerksbezug o.ä.)? Wichtig zu beachten ist im Zuge dessen, dass festgelegte Handlungsweisen und Sprachgebrauch immer eine moralische und ethische Botschaft haben. Auf der einen Seite wird so der eigentümliche Unternehmensstil sichtbar, während auf der anderen Seite zeitgleich wertekonformes Verhalten eingefordert und gesellschaftliches Engagement schlüssig begründet werden kann. Die Corporate Culture nimmt damit immer auch maßgebenden Einfluss auf alle weiteren Themenfelder der CI.

Themenfeld Nummer zwei ist die Corporate Behavior. Hier wird definiert, wie sich alle am Unternehmen beteiligen Personen untereinander und nach außen hin zu verhalten haben. Unter anderem erhält die Team­dynamik einen Rahmen, in dem jeder seinen Platz, seine Freiräume und seine Verantwortungen übereignet bekommt. Außerdem fallen der Dresscode und der konkrete Verhaltenskodex gegenüber Kunden und Konkurrenz unter Corporate Behavior. Aufgeschlüsselt kann man im Wesentlichen drei Verhaltensbereiche unterscheiden:

  1. Personenbezogenes Verhalten: Umgang mit Personen innerhalb des Unternehmens – vom Praktikanten bis zum Chef – und Personen außerhalb des Unternehmens – vom Kunden über den Lieferanten und das Putzpersonal bis hin zur Konkurrenz
  2. Medienbezogenes Verhalten: Umgang mit Öffentlichkeitsarbeit, Journalismus, Werbung, Sozialen Medien und deren Protagonisten
  3. Instrumentales Verhalten: Umgang mit unternehmenseigener Preispolitik u.ä.


 

Holzpaletten J!NS

Trotz rauher Optik ganz ohne Splittergefahr bei der Nutzung: Die hochglänzende Polyurethan-Beschichtung gibt den Palettenmöbeln eine High-End-Haptik.

© Daici Ano

Informationen, Botschaften und Angebote müssen zum Adressaten passen

Die Hauptaufgabe der Corporate Communication ist es, die Corporate Culture und die in Themenfeld eins und zwei festgelegten Ideale und Verhaltensweisen sowie das aktuelle Angebot und Leistungsspektrum des Unternehmens intern wie extern, im realen und digitalen Raum zu kommunizieren. Oft liegt die Aufgabe hier im Schwerpunkt darin, Informationen, Botschaften und Angebote passend zum Adressaten (Mitarbeiter, Kundenzielgruppe, Lieferant, Journalist, etc.) zu vermitteln. Es gilt, bei jedem den passenden Ton zu treffen und formell wie auch technisch souverän aufzutreten. 

Zweifelsfrei das griffigste Themenfeld mit dem in der Außenwirkung größten Wiedererkennungswert ist das Corporate Design. Zu verstehen ist darunter alles, was mit der visuellen Erscheinung des Unternehmens zusammenhängt: Das impliziert nicht nur den Ladenbau (zu dem heutzutage auch Akustik und Olfaktorik gehören), sondern auch Logo, Unternehmensfarben, Papeterie, Homepage, Social Media sowie, wenn vorhanden, Dienstfahrzeuge und Dienstbekleidung. Sämtliche Gestaltungsrichtlinien werden häufig in einem sogenannten Design-Manual nachschlagbar aufgeführt, um eine Kontinuität des Unternehmenslooks in jeder Lebenslage zu gewährleisten. Ein solches Nachschlagewerk kann bei Bedarf auf alle Themenfelder der CI ausgeweitet werden. Das kann besonders dann hilfreich sein, wenn Sie neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einarbeiten oder eine Filiale eröffnen möchten. Sicher ist: Je komplexer ihre Unternehmensstrukturen, desto umfangreicher das entsprechende Nachschlagewerk, um die Richtlinien vollständig zu erfassen.

Ein Motto – eine Identität

Ein eindrucksvolles Beispiel, bei dem die Themenfelder der Corporate Identity sichtbar werden, ist der J!NS Store in Tokio. Basis der CI ist das Motto „to magnify life” was soviel heißt wie „… um das Leben zu preisen/zu verbessern“. Auf der Homepage finden sich dazu zahlreiche Hinweise auf die abgeleitete Corporate Culture. Dort heißt es unter anderem: „Bei J!NS helfen wir unseren Kunden, die Welt besser zu sehen, aber wir möchten die Welt auch zu einem besseren Ort machen, den man noch lieber entdecken/sehen möchte.“ Allein mit diesem Satz hat der Augenoptiker seine Sicht auf die Welt zum Ausdruck gebracht: Die Welt ist schön – aber wir haben die Verantwortung, diese Schönheit zu erhalten und sie noch lebenswerter zu machen. Passend dazu bietet das Unternehmen unterschiedliche Brillenetuis an, deren Verkaufserlös je nach gewähltem Design zu 100 Prozent an eine soziale oder kulturelle Organisation geht – globale Themen wie Tierschutz und Umweltschutz, aber auch regionale Projekte im Bereich Kinderförderung und kulturelle Vielfalt werden unterstützt. Außerdem wird Inklusion großgeschrieben, das kann man etwa daran erkennen, dass in der Corporate Communication und bei der Corporate Behavior besonderer Wert darauf gelegt wird, alle (vom Mitarbeiter über die Kundin bis zum Leser des Instagram-Posts) als Teil der J!NS-­Familie zu bezeichnen. Dabei achtet das Unternehmen unter anderem auf Diversität in der Brillenmodellwahl und informiert via Social Media über aktuelle Brillendesigns, zeigt das eigene Servicespektrum auf und erklärt den Gebrauch der digitalen Tools auf der Homepage.
Das Corporate Design rundet die CI mit Stores ab, die im Rahmen von Architekten-Kollaborationen entstehen. Jeder Store ist zwar individuell ausgestaltet, verfügt aber über einen hohen Marken-Wiederkennungswert, da Filialen über eine grobe, unorthodox-ungezwungene Note verfügen und den Werkstoff Holz ins Zentrum der Gestaltung rücken. Wiederkehrende Elemente wie die Spiegel, die Typografie und das Logo tun ihr Übriges, um CI-Konformität und noch dazu Nahbarkeit, Aufgeschlossenheit und Kreativität zum Ausdruck zu bringen. 
 

Refraktionsraum J!NS

Durch die sortenreine Trennbarkeit der verwendeten Materialien unterstreicht J!NS sein Verantwortungsbewusstsein für einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen.

© Daici Ano

Von Zeit zu Zeit sind Anpassungen nötig

Natürlich macht es Sinn, die Corporate Identity gleich bei der Unternehmensgründung mitzuentwickeln und zu fixieren, aber auch zu jedem späteren Zeitpunkt kann das Er- oder Überarbeiten der CI genau richtig sein. Manchmal ist es sogar nötig, Anpassungen vorzunehmen, weil gesellschaftliche Veränderung oder neue Technologien Einzug halten und sich im Zuge dessen unternehmensintern Ziele und Haltungen verändern. Wichtig ist das Bewusstsein darüber, wer man als Augen­optiker ist, wo man hinmöchte und wie man seine Kundinnen bei der Weiterentwicklung des Unternehmens einbinden kann und muss.

Dabei ist Corporate Identity bunt und individuell, so wie Sie und ich. Viele Strategien und Wege können zum Ziel führen, ein Image aufzubauen, dass Ihre Kunden nachhaltig überzeugt.

Henriette Sofia Steuer