Digitale Medien und Myopiemanagement bei Kita-Kindern – Teil 1 Früh vorbeugen, Eltern beteiligen
26.11.2020
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Digitale Medien nehmen einen immer größeren Raum in unserem Leben ein, mittlerweile nicht nur bei Erwachsenen und Jugendlichen, sondern auch bei Kindern. Sie sind im Alltag präsent und somit auch für Kinder täglich sicht- und nutzbar, sowohl im Kindergarten als auch zu Hause. So nutzen circa 70 Prozent der Kindergartenkinder das Smartphone ihrer Eltern täglich mehr als eine halbe Stunde (BLIKK-Studie 2017). Und ebenso wie die Großen nehmen auch die Kleinen bei der Nutzung digitaler Endgeräte oft eine unnatürliche Haltung ein. So lehnen sie sich Richtung Bildschirm oder Display und sitzen mit hängenden Schultern davor beziehungsweise im Stuhl. Je näher die Geräte gehalten werden, desto stärker wird die Halswirbelsäule belastet. Bei Erwachsenen konnte eine Kopflotverlagerung nach vorn bei der Verwendung von stationären Geräten nachgewiesen werden [1]. Demzufolge entsteht eine Mehrbelastung im Bereich Zungenbeinmuskulatur, eine Faszienverspannung im Bereich der tiefen Halsbeuger sowie eine Reizung der occipitalen Muskelansätze. Spannungskopfschmerzen sind die Folge [2, S. 385].
Bei Handheld-Geräten lehnt sich der Nutzer noch weiter in dessen Richtung, als es bei stationären Versio nen der Fall ist. Dies führt zur Verkürzung der Lese entfernung auf circa 30 Zentimeter und damit zu erhöhten Anforderungen an Akkommodation und Vergenz sowie einer größeren Kopf- und Blickneigung aufgrund der verkleinerten Darstellung [3]. Die stärkere Kopfneigung gegenüber dem Lesen oder Schreiben auf Papier führt zu einer Mehrbelastung des Rückens und der Wirbelsäule [4].
Kindergartenkinder indes befinden sich noch im Wachstum. Ihre anatomischen Strukturen bilden sich entsprechend den Anforderungen aus, denen sie ausgesetzt werden. Diese sind unter dem Einfluss der digitalen Endgeräte heutzutage andere als noch vor einigen Jahren. Zudem muss berücksichtigt werden, dass auch „ergonomische“ Geräte in der Regel für Erwachsene konzipiert wurden und demzufolge nicht den Anforderungen von Kindern entsprechen.
Umweltfaktoren sind ein wesentlicher Grund für die Myopisierung
Viele Eltern und Pädagogen wissen nicht, dass das Sehsystem von Natur aus nicht auf Nahtätigkeiten, im Besonderen an Displays und Monitoren, ausgerichtet ist. Neugeborene haben durchschnittlich eine leichte Hyperopie von zwei bis drei Dioptrien. Die dadurch vorhandene Unschärfe ist der Trigger für das Längenwachstum des Auges und verändert sich im Rahmen des sogenannten Emmetropisierungsprozesses bis zum Schulalter in Richtung Emmetropie. Die Refraktionsänderung kommt natürlich und aufgrund anatomischer und physiologischer Entwicklungsprozesse zustande. Ziel dieser Entwicklung ist es, in der Ferne und in der Nähe gut zu sehen.
Mit Ende der Kindergartenzeit ist dann bei vielen Kindern bereits ein Visus von 1,0 vorhanden und die Sehfunktionen sind gut entwickelt. Entscheidend ist, dass das menschliche Gehirn normalerweise den Endpunkt der Emmetropisierung selbst erkennt. Ist dies nicht der Fall, zum Beispiel durch dauerhafte Nahstimulation, läuft die „Emmetropisierung“ weiter und es entwickelt sich eine Myopie. Ein Millimeter Wachstum erzeugt eine Myopie von circa 2,7 Dioptrien. Umweltfaktoren sind demzufolge ein wesentlicher Grund für die Myopisierung. In Fachkreisen werden die Tätigkeiten an digitalen Endgeräten in jungen Jahren als eine entscheidende Ursache für eine Myopisierung und Myopieprogression genannt.
Darüber hinaus kann ausgeprägte Naharbeit an digitalen Endgeräten bei Kindergartenkindern auch zu Binokularstörungen wie Augenbewegungs-, Akkommodations- oder Vergenzstörungen führen. Typischerweise tritt mit Myopie eine Esostellung in der Nähe auf. Auch die Akkommodationsfähigkeit kann eingeschränkt sein. Symptome wie Kopf- und Augenschmerzen, verschwommenes Sehen oder brennende Augen sind die Folgen. Werden keine Gegenmaßnahmen ergriffen, kommt es zur Manifestierung beziehungsweise Progression von Fehlsichtigkeiten und Binokularstörungen.
Kindergartenkinder müssen während ihrer Entwicklung unterschiedliche Sinneserfahrungen machen. Dazu gehören Toben, Klettern, Malen, Basteln, der Kontakt zur Natur, freie Bewegung, freies Gestalten und sich Ausprobieren genauso wie Brett- und Gesellschaftsspiele. Auch Erfahrungen im zwischenmenschlichen Bereich und das Erlernen von Empathie können nur im direkten Kontakt mit einem Gegenüber – zum Beispiel beim Spielen – erfahren und erlernt werden. Nur so können sich Kindergartenkinder gut entwickeln und auf die Schule vorbereiten.
Die kindlichen Grundbedürfnisse bleiben auch im digitalen Zeitalter bestehen und können von digitalen Endgeräten nicht adäquat gestillt werden. Diese können lediglich das Sammeln von Erfahrungen und den Lernprozess der Kindergartenkinder ergänzen, nicht aber die für die kindliche Entwicklung notwendigen Schritte ersetzen (hier geht es vor allem um die Entwicklung von Grob- und Feinmotorik). Ein weiterer Aspekt ist, dass Kindergartenkinder einen starken motorischen Antrieb haben, der sie gern und viel draußen in der freien Natur spielen lässt. Digitale Endgeräte werden in der Regel im Raum verwendet und reduzieren damit die Grobmotorik und die Zeit mit natürlichem Licht.
Sinnvoller Einsatz digitaler Endgeräte bei Kindergartenkindern
Mit dem Gebrauch digitaler Endgeräte sollten Kinder so spät wie möglich beginnen. Eine aktive Medien nutzung gilt aufgrund der entwickelten Funktionen erst ab dem dritten Lebensjahr als sinnvoll. Kleinkinder können die Fülle und Art der Informationen, die von digitalen Medien ausgehen, aufgrund ihrer sprachlichen, motorischen und intellektuellen Entwicklung noch nicht verarbeiten. Entscheidende Größen zum Einsatz elektronischer Geräte sind hier die Individualisierung und Differenzierung des jeweiligen Kindes. Tabelle 1 zeigt Empfehlungen zur Mediennutzung bei Kindern.
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