Elektronische Brillen

Update Smartglasses: vom Nischen- zum Massenprodukt?

Es gibt sie in allen möglichen Varianten und mit unzähligen Funktionen: AR, VR, mit Bluetooth und integrierten Apps, Kamera, Lautsprecher oder Headset. Ob freiwillig oder unfreiwillig – am Thema Smartglasses kommt man seit einigen Jahren nicht mehr (so leicht) vorbei. Der folgende Artikel soll Ihnen als Einstieg in das Spezial dieser Ausgabe ein Update geben, wie es aktuell um die smarten Sehhilfen innerhalb sowie außerhalb der Augenoptik steht.
Nahaufnahme einer Datenbrille auf dem Gesicht einer Frau

Smartglasses sind elektronische Brillen, die digitale Inhalte ins Sichtfeld des Trägers projizieren. Sie finden im Gaming-Segment Verwendung und mehr und mehr vor allem im Gesundheitswesen.

© Adobe Stock / Kitreel

Erstveröffentlicht in DOZ 08I23

Vom Gesundheitswesen über die Modewelt bis zu den Automobilherstellern: Mittlerweile sind etliche Branchen auf den Zug der Datenbrillen aufgesprungen. Mitte Juli präsentierte zum Beispiel BMW Motorrad seine neue ConnectedRide-Smartglasses, die sowohl als Korrektions- als auch Sonnenbrille unter dem Helm getragen werden kann. Die knapp 700 Euro teure Motorradbrille projiziert in Echtzeit Daten wie die Geschwindigkeit oder Gangzahl direkt in das Sichtfeld des Trägers.

Vonseiten der augenoptischen Industrie mischt seit März unter anderem Silhouette im Sportbrillen- Segment mit. Mit seiner Marke Evil eye hat der Fassungshersteller seine erste elektronische Sehhilfe auf den Markt gebracht. Das auf 500 Stück limitierte Modell „e-sense“ soll sich den rasch ändernden Lichtverhältnissen beim Radsport innerhalb von 0,6 Sekunden anpassen und somit den Licht- Schatten-Wechsel ausgleichen. Abhilfe schafft hierbei eine Filtertönung mittels LCD-Modul, die auch hinter einer Windschutzscheibe im Auto funktionieren soll. Keine smarte Brille, aber ein Modul, das in Fassungen integriert werden kann, hat Skugga Technology 2021 entwickelt. Die Innovation der Schweden soll unter anderem Gesundheitsdaten des Brillenträgers sowie Umwelteinflüsse in Echtzeit auswerten können, wie Körperbewegungen oder die Stärke des UV-Lichts. Die Plattform wurde vergangenes Jahr mit dem „Silmo d’Or“-Award in der Kategorie „Technologische Innovation – Connected Products“ ausgezeichnet.

Datenbrillen bereits in der klinischen Praxis

Stichwort Gesundheit: In der medizinischen Praxis schlummert das wohl größte Potenzial für den Einsatz von smarten Sehhilfen. Davon ist auch der Zukunftsforscher Kai Gondlach überzeugt, mit dem die DOZ bereits in der Dezember-Ausgabe des vergangenen Jahres unter anderem über smarte Produkte als Massenprodukt gesprochen hat. Das Team des Westpfalz- Klinikums Kaiserslautern nutzt Datenbrillen bereits seit drei Jahren in der Praxis, so werden den Ärzten Zusatzinformationen ins Sichtfeld eingeblendet oder Kollegen für eine Zweitmeinung live dazu geschaltet.

Auf die augenoptische Praxis angewandt hieße dies für Augenoptikerinnen und Augenoptiker zum Beispiel Kundendaten oder eine Zweitmeinung beim Myopie-Management während des Kundengesprächs eingeblendet zu bekommen. Forschende am Leibniz- Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) haben jüngst untersucht, wie Patienten das Tragen und die Nutzung von Smartglasses durch Pflegekräfte und Ärzte im Krankenhaus bewerten. Die Forschenden kamen zu dem Ergebnis, dass das Design der smarten Brille entscheidend für die Interaktionsarbeit ist. Personen, die eine Brille mit „vertrautem“ Design tragen, werden ähnlich kompetent und vertrauenswürdig beurteilt wie Personen ohne Brille. Dabei haben größere Fassungen mit größeren Headsets und Displays Auswirkungen auf die Beurteilung, während Modelle, die eher wie Lesebrillen gestaltet sind, die Wahrnehmung nicht verändern. Die Teilnehmenden der Studie

Erste Erfolge mit Implantaten in Kombination mit Brillen

Auch aufseiten der Kunden beziehungsweise Patienten hat die Wissenschaft bereits wichtige Fortschritte erzielt. So gibt es erste Erfolge mit Implantaten, die in Kombination mit einer Brille Menschen das Sehen ermöglichen, die ihr Augenlicht vollständig verloren haben. Dazu wird ein sogenanntes bionisches, also künstliches Auge eingesetzt, das einen Chip enthält. Dieser wird mit dem Nervensystem des Gehirns verbunden. Auf smarte Produkte für sehbehinderte Menschen hat sich unter anderem Lighthouse fokussiert und eine vibrierende Brille für Blinde auf den Markt gebracht, die wir Ihnen auf den Seiten 73-75 vorstellen. Außerdem hat Augenoptikermeisterin und DOZ-Redaktionsvolontärin Lisa Meinl die OrCam MyEye getestet - der Bericht ist links bzw. im Folgenden verlinkt.

Tech-Riesen scheitern immer wieder

Die Industrie bietet, wie Sie sehen, bereits eine Vielzahl von Produkten – von einem Durchbruch der Smartglasses und Lenses kann man allerdings (noch) nicht sprechen. Selbst Google scheitert immer wieder bei dem Versuch, seine smarte Brille groß herauszubringen. Im Frühjahr hatte der Tech-Riese angekündigt, den Vertrieb der neu überarbeiteten Google Glasses vollständig einzustellen – und das bereits zum zweiten Mal innerhalb der letzten zehn Jahre. Man wolle die im Markt befindlichen Brillen nur noch bis September unterstützen, dann aber den Support vollständig aufgeben, hieß es. Google nennt auf seiner Support-Seite keinerlei Gründe für das Ende der letzten Generation der Google Glasses, beteuerte aber in einer Stellungnahme, dass man weiter an AR-Produkten arbeite und das Konzept weiterverfolge.

Selbst Meta-Boss Mark Zuckerberg sieht in den intelligenten Brillen „revolutionäres Potenzial“

Auch Meta-Geschäftsführer Mark Zuckerberg sieht in den intelligenten Brillen „revolutionäres Potenzial“ und erhofft sich laut Medienberichten einen ähnlichen „Wow-Moment“ wie bei der Einführung des ersten iPhones. Die in Zusammenarbeit mit Ray-Ban entwickelten Ray-Ban- Stories-Modelle sind bei Trägerinnen in den USA, in Kanada, Großbritannien, Irland, Belgien, Frankreich, Italien, Spanien, Australien und in Österreich zwar bereits angekommen, die Video- und Fotobrille stieß aber schon bei der offiziellen Vorstellung auf herbe Kritik. Sicherheitsexperten prangerten die Datenverarbeitung auf Facebook- Servern an und auch die kleine Leuchte, die das Gegenüber des Trägers darüber informiert, dass er oder sie gerade gefilmt wird, sei ungenügend. So bleibt die Datenschutz-Debatte in diesem Zusammenhang wohl auch künftig ein diskussionsfreudiges Thema.

Durchbruch bleibt abzuwarten

Kritik hin oder her, Sie sehen: Es tut sich durchaus etwas im Segment der Smartglasses und immer mehr Unternehmen, auch der Augenoptik, strecken ihre Fühler in Richtung Datenbrillen-Markt aus. Nicht zuletzt hat Fielmann in das israelische Tech-Unternehmen Deep Optics investiert, um künftig mitzumischen. „Diese Investition ist ein weiterer entscheidender Schritt in der Digitalisierung unseres Familienunternehmens entlang unserer Vision 2025“, kommentierte Vorstandsvorsitzender Marc Fielmann im vergangenen November (die DOZ berichtete online). Ob und wann smarte Sehhilfen die Basis für einen langfristigen Markterfolg schaffen, bleibt abzuwarten.