Von Sünden, über die sich einige nun doch Gedanken machen

Nachhaltigkeit als USP in der Augenoptik

Grünes Denken ist in der Gesellschaft angesagt und bei Unternehmen gut fürs Image. Warum also nicht nachhaltige Aktivitäten nutzen, um neue Kundschaft zu gewinnen? Am besten funktioniert es offenbar, wenn Inhaberin oder Inhaber diese Philosophie auch wirklich lebt. Das zeigt ein Blick in die Praxis von Augenoptik-Betrieben, die sich dafür entschieden haben.
Brille am Meer

Selbst mit Brille ist Mikroplastik im Wasser nicht zu erkennen.

© Shutterstock / kravik93

„Dieser Button kommt mir doch irgendwie bekannt vor …“, denken manche Kundinnen und Kunden der „Brillengalerie“ im schleswig-holsteinischen Büdelsdorf, und vor allem die etwas älteren schmunzeln. Der eine oder die andere hat wohl Bilder aus den 80ern vor Augen, Wackersdorf, Proteste gegen die geplante Wiederaufbereitungsanlage, das Anti-WAAhsinnsfestival mit großen Rockstars – ein deutsches Woodstock, sozusagen … Ja, das waren noch Zeiten, „Atomkraft? Nein Danke“ hieß es damals auf dem Anstecker.

„Auf diesen Wiedererkennungseffekt setze ich durchaus auch“, sagt Jan Tollgreve, Geschäftsinhaber und Diplom-­Ingenieur Augenoptik und selbst ein Kind dieser Generation. Alle, die bei ihm eine Brille oder Kontaktlinsen kaufen, bekommen den kreisrunden Button als kleines Geschenk dazu, wenn sie das Bestellte abholen. Er ist knallgelb und in der Mitte prangt eine stilisierte Sonne. Soviel hat er mit dem Original aus den Zeiten der Atomkraftgegner gemeinsam, doch bei Tollgreves Version trägt die Sonne eine Brille. Rundherum steht in Versalien „Mikroplastik Nein Danke“. Der 50-Jährige möchte damit zeigen: Bei mir ist das Gläserschleifen keine Umweltsünde. Wer die Homepage des Geschäfts aufruft, hat sofort einen Werbetext vor Augen, der wie ein Zeitungsartikel gestaltet ist und die Hintergründe erläutert.

Jan Tollgreve

Kommt dieses Logo Ihnen auch irgendwie bekannt vor? Jan Tollgreve setzt bei seinem Button durchaus auf einen gewissen Wiedererkennungseffekt.

© Jan Tollgreve

„Egal, ich mach‘ das jetzt!“

Auf die Idee kam Jan Tollgreve, als die Firma Wardakant im vergangenen Jahr seinen Schleifautomaten wartete (siehe DOZ 08/2020). „Der damalige Außendienstleiter erzählte mir, dass sie ein Filtersystem zu Mikroplastik entwickelt hätten. Ob das nicht etwas für uns wäre?“ Als er dabei auch erfuhr, wie viel Mikroplastik beim Schleifen über das ungefilterte Wasser in die Umwelt gelangt, war er baff. Aufgrund ihrer geringen Größe kann kein Klärwerk die anfallenden Schleifrückstände filtern, sie bleiben im Wasserkreislauf. „Mir war gar nicht klar, dass Mikroplastik solche Auswirkungen haben kann. Ich habe mich gefragt, warum ich mir über 30 Jahre lang noch nie Gedanken darüber gemacht habe“, gesteht Tollgreve. „Schon in meinem Lehrbetrieb haben wir das immer in die Toilette gekippt. Nun hatte ich aber doch ein schlechtes Gewissen.“ Nachdem er ein paar Nächte darüber geschlafen hatte, ob er die Investition wagen sollte, rund 10.000 Euro brutto waren es in seinem Fall, beschloss er: „Egal, ich mach‘ das jetzt!“
„Dann habe ich das Ding bestellt und mir parallel schon überlegt, wie man das denn so vermarkten könnte.“ Ihn überzeugte auch die Tatsache, dass er mit dem innovativen Filtersystem quasi ein Pionier wäre. „Ein Alleinstellungsmerkmal als Augenoptiker zu finden ist bekanntlich schwer, wenn man nicht über den Preis gehen möchte. Und ich wusste, hiermit würde ich einer der ersten in ganz Deutschland sein.“ Zugleich geschah es aus Überzeugung. „Wir haben auch nachhaltig produzierte Fassungen und vermeiden Abfall soweit wie möglich. Ich schicke zudem Tüten von Brillenfassungen zurück zum Hersteller, damit er sie neu befüllen kann“, sagt der Geschäftsinhaber, der selbst in einem nachhaltig gebauten Holzhaus lebt.

Die Kernbotschaft, dass jede Kundin der Brillengalerie einen kleinen Beitrag zur Umwelt leisten kann, verbreitete Jan Tollgreve auch über die lokale Presse. „Bei den Zeitungsredakteuren kam das gut an, zumal viele froh waren, auch mal über etwas anderes berichten zu können als immer nur über Corona. Wegen der Pandemie fallen ja auch alle Veranstaltungen aus.“ Ganz bewusst nutzte er die Lockdown-Phase, um die Werbetrommel zu rühren. „Wahrscheinlich lesen die Leute gerade wieder mehr Zeitung. Gerade deswegen habe ich es in dieser Zeit forciert.“ Es lockte auch so einige Neukunden in seinen Laden, die genauso erstaunt waren wie die Stammkundschaft. „Alle fallen vom Stuhl, wenn sie von der Mikroplastik-Sache hören: Mein Gott, was für eine Sünde, und darüber hat sich nie einer Gedanken gemacht?“

Mikroplastik durch Schleifen

Der Haufen Salz auf dem letzten Bild verdeutlicht: So groß ist die Menge an Mikroplastik, die beim Schleifen eines Brillenglases anfällt.

© Jan Tollgreve

Unternehmensphilosophie: Filtersystem als Baustein

Das Thema bringt Jan Tollgreve auf den Tisch, wann immer es im Verkaufsgespräch gerade passt. „Spätestens bei der Abgabe der Brille mit diesem Button haben wir ja auch einen Aufhänger, um darüber zu sprechen. Viele Kunden fühlen sich dann bestärkt darin, beim richtigen Augenoptiker gewesen zu sein.“ Auch wenn jemand zunächst nur für Kontaktlinsen kommt, zieht das Argument, „wenn es um eine zusätzliche Ersatzbrille geht. Warum sollte der Kunde die woanders kaufen und damit zur Kontaminierung der Umwelt beitragen, wenn es bei uns doch anders geht?“ Viele seien verwundert: Andere verursachen immer noch Mikroplastik im Abwasser, auch die großen Filialisten? „Ich sage dann: Ja, also ich wüsste zumindest nicht, dass da einer so eine Filteranlage installiert hätte.“ So profiliert Jan Tollgreve sich im eher ländlichen Büdelsdorf mit seinen rund 10.000 Einwohnern. „Seit ich meinen Laden im Jahr 1998 eröffnet habe, konnten wir uns hier gut behaupten und hoffen, dass es auch in der Zukunft so bleibt. Das Filtersystem soll ein Baustein dafür sein.“

Die Buttons liegen in dem Augenoptikergeschäft aus wie anderswo die Kugelschreiber. Gleich 500 Stück hat der Inhaber davon drucken lassen. „Vielleicht gibt es ja auch Kunden, die ihn sich an die Jeansjacke stecken, weil es so schön retro ist. Zumindest ist es etwas, das zum Wegschmeißen zu schade ist und daher vielleicht auch an einer Pinnwand landet. Und so können wir uns beim Kunden immer ein bisschen ins Gedächtnis rufen.“ Sorgen, dass der Wettbewerb mitzieht und er sein Alleinstellungsmerkmal schon bald verlieren könnte, macht Jan Tollgreve sich nicht. „Ich gehe sogar davon aus, dass dies die Zukunft sein wird, dagegen kann man nichts machen. Aber ich war wenigstens dann mehr oder weniger der erste, der das gemacht hat. Auch damit kann man werben.“ (siehe Info-Kasten am Ende) Auch ganz besonders auf die Kundinnen von morgen setzt er dabei. „Ich denke, dass die junge Generation noch viel mehr für dieses Thema sensibilisiert ist, das verbreiten wir daher auch über Social Media. Da rennen wir bestimmt auch offene Türen ein.“

Schiefertafeln statt Auftragszettel

Wie ein Augenoptiker in einer Großstadt das Thema Nachhaltigkeit für die Kundenbindung nutzen kann, beweist Karsten Kittel. Seine Homepage verrät davon allerdings nicht viel – mal abgesehen von einigen Marken, die dort erwähnt werden, und sofern man sich dann weiter darüber informiert. Der Augenoptikermeister setzt vor allem auf nachhaltige Hersteller wie zum Beispiel „Dick Moby“ mit den Brillen aus recyceltem Material oder die Fassungen aus dem 3D-Drucker von „Klenze & Baum“. Ansonsten bevorzugt er eine Produktion in Deutschland, die immerhin mit kürzeren Transportwegen verbunden ist. Was er noch so alles tut, zeigt sich erst vor Ort in seinem Geschäft im Düsseldorfer Stadtteil Heerdt: So verwendet er zum Beispiel abwischbare Schiefertafeln anstelle von Notizzetteln, um die Aufträge der Kunden während des Verkaufsgesprächs zu notieren. Später werden die Daten dann von dort in den PC übertragen. „Einen Preis für größtes Umweltdenken bekomme ich dafür natürlich nicht, aber es ist doch gerade auch die Summe der Kleinigkeiten, die es ausmacht. Natürlich haben wir Ökostrom, verwenden zum Putzen Bio-Produkte, und das Wasser, das wir den Kunden anbieten, kommt aus einer Glasflasche.“ Es geht ihm dabei gar nicht nur um ein grünes Image und den Profit. „Ich fühle mich auch wohler, wenn ich von einem Produkt wirklich überzeugt bin, von dem ich auch weiß, es ist auch gut für die Umwelt. Dann mache ich das doch für mich.“

Ganz bewusst verzichtet Karsten Kittel darauf, sich im Internet als „grüner Augenoptiker“ zu präsentieren. „Je mehr Werbung ich damit mache, desto mehr verliert es an Authentizität“, ist er überzeugt. „Die Kunden könnten denken, das macht der doch nur, um mehr Geld zu verdienen und nicht aus Überzeugung. So wirbt ein großer Discounter gerade damit, nun klimaneutral zu sein – das glaubt denen doch keiner, dass die da wirklich dahinter stehen.“ Er selbst setzt daher mehr auf Mundpropaganda, nach dem Motto: Mensch gehe doch mal zu Kittel, der Typ ist der Hammer und schreibt sogar auf Schiefertafeln … Mit Erfolg. „Rund 70 Prozent meiner Kunden kommen gar nicht aus Heerdt, sondern nehmen zum Beispiel die zweistündige Anfahrt aus Aachen in Kauf, um bei uns ihre Brille zu kaufen.“ Über alle Trittbrettfahrer, die nun auf den Zug aufspringen, während er seit Jahren aus Überzeugung nachhaltig agiert, ärgert er sich dennoch nicht. „Wenn es der Umwelt wirklich etwas nützt, ist doch eine schöne Sache und egal aus welchen Gründen es jemand macht.“ Zumal er selbst nun auch nicht der „Hardcore-Öko“ sei, sondern gern auch mal ein Stück Fleisch esse – dann aber nicht aus Massentierhaltung. „Was nützt ein Veganer, wenn zugleich Hunderttausende das Billigfleisch essen?“ Weniger ist hier oftmals mehr, so lautet sein Credo.

Glaubt er, dass der USP „Nachhaltigkeit“ an seinem Standort ein Wettbewerbsvorteil ist? „Ich denke schon. Heerdt ist zwar kein Szeneviertel und auch nicht so wie das benachbarte Oberkassel, wo es viel Prominenz gibt. Aber die Kunden von hier zählen nun auch nicht gerade zur Unterschicht, dann ist das schon ein Pluspunkt.“ Anders sähe es wohl in einkommensschwächeren Düsseldorfer Stadtteilen wie Garath oder Reisholz aus. „Da hätte ich wohl generell weniger Erfolg, aber auch allein schon von meinem Style her: Ich mache gern etwas Cooles und dort möchte man es aber gern eher billig haben.“ Das versteht jeder, der sein Geschäft betritt. Mit Vinylplatten, Fortuna-Fanartikeln und kreativer Wanddeko gleicht es eher einem gemütlichem Wohnzimmer als dem klassischen Augenoptiker-Betrieb. „Es ist also das Gesamtkonzept, das dort eher nicht so funktionieren würde und nicht der Umweltgedanke an sich.“ Im Gegenteil stelle er bei Verkaufsgesprächen oft fest, mehr Leute von seiner Philosophie überzeugen zu können, als manche vermuten würden. „Wenn ich zum Beispiel einer 75-jährigen Kundin sage: Diese Fassung hier wurde nicht in China von kleinen Kindern hergestellt und dafür kostet sie etwas mehr, dann höre ich oft: Super, das mache ich.“

Karsten Kittel

Wenn Karsten Kittel Kunden erklärt, dass eine Brille mehr kostet, weil sie ohne Kinderarbeit hergestellt wurde, hört er oft: „Super, das mache ich!“

© Karsten Kittel

Mit Feingefühl im Verkaufsgespräch

So nutzt Karsten Kittel sein grünes Denken durchaus auch als Verkaufsargument. „Tatsächlich ist es jeden Tag ein Thema bei fast jedem Kunden. Aber ich bringe es oft erst am Schluss ein, dann haben die Kunden auch ein besseres Gefühl.“ Wenn sich jemand zwischen zwei Fassungen nicht entscheiden kann, erwähnt er es als I-Tüpfelchen: „Also diese Fassung hier ist auch Fair Trade.“ Oder anders herum: „Diese Fassung ist günstiger, aber eben auch nicht nachhaltig.“ Mit Gefühl für den richtigen Moment und die passenden Worte vermeidet er es, dass eine Kundin sich schlecht fühlen könnte, weil sie zum Beispiel sparen muss. „Ich halte nichts von zwei Abteilungen nach dem Motto: Hier sind die Guten und da die Bösen. Man sollte die Leute schon ein wenig wachrütteln, aber auch vorsichtig sein mit Klischees und letztlich muss das doch jeder für sich selbst wissen.“ Bei den jüngsten Zielgruppen sei das Thema ohnehin relevant. „Gerade in den Städten gibt es ja schon immer mehr Schüler und Studenten, die so denken. Die jungen Leute googeln zum Thema Nachhaltigkeit und kommen dann auf mich zu. Ich glaube, dass wir da in Düsseldorf oder Frankfurt schon weiter sind als beispielsweise in Georgsmarienhütte.“

So sieht Karsten Kittel es auch beim Thema Mikroplastik. „Der klassische 60-jährige Augenoptiker, der sein Schleifwasser immer in die Toilette gespült hat, der wird das wohl auch in den nächsten fünf Jahren noch machen. Aber der 25-Jährige sagt vielleicht zu seinem Chef: Nee, das geht gar nicht, das muss woanders hin.“ Er selbst hat sich für eine kostengünstige Filterlösung entschieden. „Das ist ein simples System mit einer Strumpfhose. Es ist also nicht so schlimm wie früher, aber natürlich schon noch ausbaufähig.“ Getreu seinem Grundsatz „Die Summe der Kleinigkeiten macht es aus“ fügt sich hier eins zum anderem.

Anschaffung amortisiert sich „mit einer mehr verkauften Brille im Monat“

Auch beim Hersteller ist man überzeugt davon, dass dieses Beispiel Schule machen wird. „Die Nachfrage nach unserem patentierten Tideklar-Wasser­filter­system ist zuletzt deutlich gestiegen“, sagt Tobias Dombrowski, Gründer der Wardakant GmbH. Wie er vermutet, hänge dies mit dem steigenden Bewusstsein für Nachhaltigkeit und der Rücknahme der Corona-Eindämmungsmaßnahmen zusammen, wodurch die Investitionsbereitschaft wieder auf Normalniveau zusteuert. Dabei müsse der Beitrag zum Umweltschutz gar keinen Investitionscharakter haben. „Unsere Anlage ist bereits für etwas mehr als 100 Euro im Monat zu haben. Dafür gibt es dann eine absolut zuverlässige und komfortable Lösung, die für jeden Schleifautomaten passt. Zeigt der Optiker seine Bemühungen zum Beispiel mit dem Wardakant-Nachhaltigkeitslabel nach außen und verkauft dadurch nur eine Brille mehr im Monat, hat sich die Anschaffung bereits amortisiert“, ergänzt Mitgründer Niklas Warda.

Autorin: Christine Lendt
ist freie Journalistin und Fachautorin mit einem Schwerpunkt im Bereich Ausbildung und Beruf / Karriere / Arbeitsschutz. Sie hat bereits etliche Beschäftigte, Experten und andere Wirtschaftsakteure aus der Augenoptik interviewt und entsprechende Themen realisiert.