"Wer im Internet reich werden will, ist bei uns falsch"

Entspannt blicken Martin Himmelsbach (Mitte) und Helge Nicolas Kamm (rechts) drein, die Verantwortlichen für brillen-online.de, das erst vor wenigen Stunden online gegangen ist.
Entspannt blicken Martin Himmelsbach (Mitte) und Helge Nicolas Kamm (rechts) drein, die Verantwortlichen für brillen-online.de, das erst vor wenigen Stunden online gegangen ist.
© Stefan Sturm / DOZ

Es gab in der Vergangenheit hier und da schon einmal Versuche, den so genannten traditionellen Augenoptikern den Weg in den Onlinehandel zu ermöglichen. Am Ende gab es lange Gesichter, weil scheinbar überraschend die Kosten für die nötigen Marketingmaßnahmen, zusätzlich die Erwartungshaltungen und nicht zuletzt die Vorbehalte bei den Augenoptikern und Kunden gleichermaßen zu hoch waren. Seitdem aber der Verkauf von Brillen nicht mehr ganz so arg verteufelt und die Handhabung für die Kunden immer einfacher und komfortabler wird, wachsen auch die Angebote – glücklicherweise nicht nur quantitativ, sondern insbesondere qualitativ. Der Weg zum Multichannel-Anbieter ist für den Augenoptiker nicht mehr verbaut; er kann mit Hilfe von Dritten leicht online mitmischen, er kann sich einen zusätzlichen Vertriebsweg schaffen, sofern er das mit seiner Geschäftsphilosophie und seinem Selbstverständnis vereinbaren kann.

Essilor und Rupp + Hubrach als Brillenglashersteller können das, angesichts der eingeschlagenen Onlinestrategie der Essilor Gruppe ist das kein Wunder. Schon vor My Online Optical, das zur Opti die Testphase verlassen soll, hat die www.brillen-online.de GmbH ein sehr ähnliches Angebot auf den Markt gebracht, das nicht zeitgleich mit einem eigenen Webshop mit dem Augenoptiker in Konkurrenz tritt; zumindest Essilor verkauft schließlich auch direkt an Verbraucher. Dafür aber muss der Augenoptiker dann bei brillen-online.de auch etwas tiefer in die Tasche greifen. Die DOZ war beim Launch von brillen-online.de beinahe live dabei und hat auch die Roadshow Essilors besucht, die ihrerseits Appetit auf das Angebot der Essilor Gruppe machen soll.

Essilors „Talk in Town“

Nach Stuttgart und Berlin treffen sich also Anfang Dezember 2016 die rheinischen Augenoptiker zum „Talk in Town“ in Köln. Das Programm des Veranstalters Essilor sieht einen Vortrag zur Online-Strategie des Brillenglasherstellers und den Services für Augenoptiker vor. Rund 100 Gäste sind ins Hotel im Wasserturm inmitten der Domstadt gekommen; zieht man davon die Essilor-Repräsentanten und die Begleitpersonen der Augenoptiker ab, dürften etwa geschätzt rund 65 hiesige Fachleute als „betroffene“ Zuhörer oder gespannte zukünftige Multichannel- Anbieter die Einladung angenommen haben. Susanne Pieler hat als Verkaufsleiterin des Gastgebers die Aufgabe, mit ihrem Vortrag die Leute auf die Strategie des Unternehmens und den weiteren Abend mit Fingerfood und Abendprogramm einzustimmen. Dabei stellt sie die Entwicklung des Onlinehandels generell und in Bezug zur Augenoptik dar und bewirbt das Ende Januar startende Onlinetool My Online Optical. Damit soll der stationäre Augenoptiker ein einfaches, günstiges und funktionierendes Werkzeug an die Hand bekommen, um einerseits online Brillen zu verkaufen, andererseits aber vor allem für sein stationäres Geschäft und den damit verbundenen Vorteilen für den Kunden zu werben. „Sie sollen offline verkaufen, wir wollen keine Konkurrenz schaffen“, erklärt Pieler.

Um das zunächst durchaus interessante Angebot nutzen zu können, muss der Augenoptiker Kunde bei Essilor oder Rupp + Hubrach sein, 400 Euro einmalig und 129 Euro monatlich zahlen und bereit sein, einen diesbezüglichen Vertrag über ein Jahr abzuschließen. Dafür bekommt er einen voll funktionstüchtigen „fertigen“ Onlineshop, gefüllt mit 500 Brillenfassungen und 60 verschiedenen Kontaktlinsen-Arten. Preise und das endgültige Sortiment (aus der Vorauswahl) bestimmt der Augenoptiker selbst, zumindest kann er das tun. Den Shop, über den es nur Brillen mit Einstärkengläsern zu kaufen gibt, muss er nur noch geschickt in die eigene Onlinepräsenz integrieren – dann kann es losgehen und die virtuelle Kasse kann klingeln.

Raffinesse und finanzielle Anstrengungen anderer Onlinehändler 

Von links: Ralph Wahnschaffe (Ipro), Martin Himmelsbach (Ipro-Geschäftsführer), Helge Nicolas Kamm (Geschäftsführer brillen-online.de) und
Florian Gisch (Wetzlich-Geschäftsführer) bei der Werksbegehung in Viersen.
Hier werden die Brillengläser und Brillen für den Onlineshop brillen-online.de gefertigt. ©Stefan Sturm / DOZ

Aber wird die Kasse auch klingeln? Zwar stellt Essilor an diesem Abend in Köln Unterstützung zur Onlinewerbung in Aussicht, aber um die Umsetzung und natürlich auch um die Bezahlung muss sich der Augenoptiker dann doch selbst kümmern. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, doch angesichts der Raffinesse und der finanziellen Anstrengungen anderer Onlinehändler, könnte das der Flaschenhals einer interessanten Partnerschaft zwischen Brillenglashersteller und Augenoptiker werden. Und irgendwie scheint es moralisch zumindest fragwürdig zu sein, das Essilor selbst zunehmend den Onlinehandel forciert, unterschwellig schwingt das in Köln mit, auch wenn Susanne Pieler lieber von Know-how als von Onlineshops spricht, das Essilor für die stationären Augenoptiker ankauft.

Für Pieler, die souverän ihren Vortrag hält, sind das indes keine großen Probleme: Denn erstens sollen die „surfenden“ Kunden des Augenoptikers ja nur theoretisch und selten online kaufen und praktisch, von den Serviceleistungen des Fachmannes angesprochen, zum Kauf offline animiert werden. Und zweitens stellt die Verkaufsleiterin heraus, „brauchen Sie nur eine Brille in  der Woche online zu verkaufen, um ins Plus zu kommen.“ Eine Brille! Eine Einstärkenbrille noch dazu, denn Gleitsichtgläser gibt es im Gegensatz zu den meisten anderen Onlineshops nicht über My Online Optical zu kaufen. Da gilt es für die Kollegen, die bei brillen-online.de mitmachen, etwas fleißiger im Internet zu sein, um wirtschaftlich schwarze Zahlen vorweisen zu können. Die 10.000 Euro Einrichtungskosten für den völlig unabhängigen Shop fallen ins Gewicht, und auch die monatliche Gebühr von 280 Euro ist zumindest und nur im Vergleich zu My Online Optical happig. In eine vernünftige und von der Konkurrenz losgelöste Relation gesetzt, sind die monatlichen Kosten gering, denn wie bei My Online Optical muss sich auch der Augenoptiker unter dem Dach von brillen-online.de um nichts kümmern. Die Brillen werden fertig verglast und auch direkt zum Kunden oder ins Geschäft geschickt; Lager, Logistik, Bezahlung, die Pflege des Internetshops: alles übernimmt die brillen-online.de GmbH, hinter der sich der in der Augenoptik bekannte Software-Anbieter Ipro und Optik Drecker mit Helge Nicolas Kamm verbirgt, der auch die Geschäftsführung der GmbH übernommen hat.

Offensichtlich hat das Entwicklungsteam ganze Arbeit geleiste

Kamm sitzt am Vormittag des 23. November unter anderem mit Martin Himmelsbach, Geschäftsführer Ipro, recht entspannt in Viersen am Niederrhein, um sich mit den Verantwortlichen der Wetzlich Optik-Präzisions GmbH zu besprechen. Erst in der Nacht sind die ersten Shops online gegangen, offensichtlich hat das Entwicklungsteam ganze Arbeit geleistet, denn die Herren stellen ihr Angebot bereits jetzt der DOZ vor. Im Gegensatz zu My Online Optical bekommt der Verbraucher auch Markenfassungen, für die Brillengläser konnte Wetzlich ins Boot geholt werden, in Viersen werden die bestellten Brillen dann auch gefertigt. In Nuancen unterscheiden sich die beiden Angebote. Bei brillen-online.de kann der Augenoptiker zum Beispiel die Preise nicht verändern, dafür kann er aber auch mit Gleitsichtbrillen bei seinen Kunden punkten, theoretisch jedenfalls. Außerdem soll es in der Zukunft, nach und nach, zusätzliche Onlinefeatures geben: Reservierungsmöglichkeiten für Brillenfassungen beim Augenoptiker im Geschäft, Terminvereinbarungen für die Refraktion und so weiter. Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten, so zielen beide Anbieter zum Beispiel eher auf eine „lokale“ Auffindbarkeit der Onlineshops ab, da alles andere auch Angesichts der Konkurrenz im Netz nicht seriös zu vermitteln wäre. Himmelsbach bringt es auf den Punkt: „Um es ganz deutlich zu sagen: Wer im Internet reich werden will, ist bei uns falsch; uns geht  es um die Unterstützung des stationären Optikers und um die sinnvolle Verzahnung von Online und Offline.“