Frauen in Führung

Business in Pink: Katrin Brüch geht mit "Mien Brill" eigene Wege

Die Augenoptik hat ein Nachfolge-Problem. Eine Lösung könnten mehr Frauen sein, die sich trauen, einen Betrieb zu übernehmen, denn bislang stellen sie nur ein Viertel der Inhabenden. Zum internationalen Hausfrauentag am 3. November startete die DOZ daher eine Serie, die nach den Gründen für dieses Miss-Verhältnis fragt, dem oft zitierten Unternehmergeist nachspürt und mit Klischees aufräumt – oder sie bestätigt. Zum Auftakt stellen wir Ihnen heute eine Inhaberin vor, die sagt: „Selbstständigkeit, das ist kein Ringelpiez mit Anfassen.“
Mien Brill Selfie vom Team

Inhaberin Katrin Brüch (links) mit dem Team von „Mien Brill“

© privat

Erstveröffentlichung in der DOZ 11I23

Dieses Rosa. Es ist beinahe allgegenwärtig, zunächst mal als dominante Farbe auf der Webseite von „Mien Brill“. Und auch im Inneren des Fachgeschäfts in Hagenow leuchtet sie in allen denkbaren Variationen: Wände, Tapeten, Deko-Elemente, das große Blumenbild im Hauptraum – (fast) alles rosa, pink oder blassrosé. Selbst die Visitenkarten, die Brillen-Auswahlboxen oder die Tragetüten für die Kundeneinkäufe sind in rosigem Rot gehalten. Und während man sich als Besucher gerade erinnert, dass vergangenes Jahr im Großraum Hollywood kurzzeitig Mangel an der Bühnenfarbe Rosa herrschte, weil die Kulissen für den Barbie-Film sämtliche Reserven des Herstellers Rosco verschlangen, kommt Mien-Brill- Inhaberin Katrin Brüch im flamingofarbenen Kleid aus ihrem Büro und sagt: „Rosa war früher gar nicht meine Lieblingsfarbe.“

Übernahme mit Anfang 20

Früher – das war Ende der 1990er Jahre, als der alteingesessene Hagenower Geschäftsinhaber Kuno Karls seine noch sehr junge Gesellin Katrin Brüch fragte, ob sie sich vorstellen könne, in absehbarer Zeit seinen Betrieb zu übernehmen. „Obwohl ich erst Anfang 20 war, habe ich nicht lange überlegt“, erzählt sie, „was sicher auch daran lag, dass er mir ein Modell mit einem sehr behutsamen Übergang vorgeschlagen hat“. Drei Jahre Vorlaufzeit sah dieses Modell vor, bei dem Karls sich sukzessive zurückziehen und seiner Nachfolgerin in spe mehr und mehr Entfaltungsspielraum bieten wollte. Schnell waren nur noch Details zu klären, und zur Jahrtausendwende startete das Projekt Langzeit-Übernahme. „Und tatsächlich hat er die Leinen nach und nach so losgelassen, dass ich einen unglaublichen Radius bekommen habe“, erinnert sich Brüch. „Ich konnte mich in jede Richtung bewegen, er hat mich in nichts eingeschränkt.“ Auch Leistungen wie das Anpassen formstabiler Kontaktlinsen, die Karls selbst gar nicht im Repertoire hatte, durfte sie ausprobieren. Zudem alle Zahlen einsehen. „Dieses Vertrauen hat mir unglaubliche Sicherheit gegeben und Ängste genommen vor der Geschäftsübernahme.“ In Kenntnis der Bilanzen finanzierte die Jungunternehmerin die Übernahme des Betriebs mit einem Privatdarlehen, das Altinhaber Karls ihr gewährte. „Das war alles sowas von fair und loyal, dass es nach kurzer Zeit nichts mehr zu zweifeln gab.“

Anfangs materielle und emotionale Hürden

„Nichts mehr zu zweifeln“ heißt allerdings nicht „Nichts mehr zu lernen“. Bedingt vor allem durch ihre Jugend und mangelnde Erfahrung habe sie in den Anfangsjahren „viele Nackenschläge kassiert, weil ich ja einfach losgelaufen bin und das unternehmerische Denken erst während des Tuns lernen konnte“. So habe sie einmal 6.000 Euro für eine Marktanalyse im Voraus bezahlt, die der Anbieter jedoch nie erstellt und nie abgeliefert hat. „Ich hatte vorher eine Verkaufsschulung bei dem Mann besucht, die war echt super“, erzählt Katrin Brüch, „aber bei dem Termin ging es offenbar nach dem Nepper-Schlepper- Bauernfänger-Prinzip nur darum, Kontaktdaten von Geschäftsinhabern einzusammeln, um denen dann die Analyse andrehen zu können“. Der Betrüger sei später gerichtlich verurteilt worden, die 6.000 Euro habe sie dennoch nie wiedergesehen.

Mien Brill Team

„Wir haben Katrin von Anfang an darin bestärkt, den Betrieb zu übernehmen.“ Angelika Knobloch (hinten Mitte) kennt ihre heutige Chefin und deren Zielstrebigkeit schon seit 31 Jahren.

© privat

Neben solchen materiellen Schäden habe sie zudem emotionale Blessuren hinnehmen müssen. „Richtig schlimm“ sei es für sie zum Beispiel gewesen, als sie ihre erste Abmahnung kassierte: Katrin Brüch hatte bei einer Promotion-Aktion – Unwissenheit schützt auch Gründerinnen vor Strafe nicht – das Heilmittelwerbegesetz HWG ignoriert, das beim Verkauf von Medizinprodukten die Abgabe von Zuwendungen und Werbegeschenken untersagt. „Dieses lange Schreiben vom Rechtsanwalt, das da kam, danach konnte ich mehrere Nächte nicht einschlafen“, berichtet sie, „außerdem habe ich gedacht: Welcher Kollege, welche Kollegin sucht denn nach solchen Verstößen? Ich hätte da gar keine Zeit für ...“

Kinder oder Karriere? „Das Geschäft ist ja irgendwie auch mein Baby“

Im Barbie-Film erlebt die Heldin, noch auf der Suche nach ihrer wahren Bestimmung, einen vergleichbaren Selbstfindungsprozess. In ihrem quietschbunten Traumland kann eine Barbie alles sein: Ärztin oder Pilotin, Bauarbeiterin mit Presslufthammer oder Wissenschaftlerin mit Nobelpreis – und zweifellos, selbst wenn es der Film nicht explizit zeigt, sogar Inhaberin eines Augenoptik-Fachgeschäfts. Denn im Barbie-Wonderland sind nicht 30 Prozent aller Geschäfts-inhabenden weiblich (wie in Deutschlands Augenoptik laut der gerade abgeschlossenen ZVA-Branchenstrukturerhebung von 2023), sondern 100. Doch bald tun sich hinter den pinken Kulissen Risse auf, und Barbie bemerkt eines Morgens verstört, dass ihre High-Heel-optimierten Fersen plötzlich den Boden berühren. Sie macht sich mit ihrem weitgehend nutzlosen Begleiter Ken auf ins echte Leben, um dort festzustellen, dass es gar nicht die Mädchen sind, die im Mittelpunkt des Universums stehen. Sondern die Männer. Männer, die sich Barbies Freiheitsbestrebungen gewaltig in den Weg stellen.

Team unterstützte bei Kinderbetreuung

„Ablehnung, Bevormundung oder Geringschätzung durch Männer habe ich auf meinem Weg zur Geschäftsübernahme eigentlich nie erlebt“, sagt Katrin Brüch. „Auch keine Benachteiligung, weil ich eine Frau bin.“ Das könnte an ihrem zielstrebigen Pragmatismus liegen, der jedem Gegenüber schnell vermittelt, dass sie, öfter Sneaker als High Heels tragend, mit beiden Füßen fest auf dem Boden der Tatsachen steht. Zum Beispiel wenn sie davon erzählt, dass sie beide Kinder in deren ersten Lebensjahren mangels Alternative im Betrieb großgezogen hat: Tochter Josefine im Jahr 2001 noch als Angestellte – mit einem Jahr Elternzeit, in dem sie fix noch ein Existenzgründer-Seminar absolvierte – Sohn Jonathan dann 2003 als junge Gründerin. „Vor allem mit meinem Sohn war es krass: Ich habe ihn zwischen zwei Kundenterminen im Nebenraum gestillt und die Mitarbeiterinnen haben ihn bespaßt und geschaukelt, wenn sie etwas Luft hatten“, erzählt die 46-Jährige. Ihr sei klar, dass das – vor allem, was das kollegiale Engagement angeht - sicher eher die Ausnahme darstelle als die Regel. „Und man muss natürlich auch vom Muttergedanken dazu bereit sein, sein Kind auf diese Weise großzuziehen. Ehrlicherweise hatte ich bei meinen Sohn schon den Gedanken: Wenn ich jetzt angestellt wäre, könnte ich zwölf Monate mit ihm verbringen.“ Mit eigenem Geschäft sei das undenkbar gewesen: „Ich wusste, ich nehme mir die sechs Wochen nach der Geburt, und dann muss es weitergehen, dann muss mein Kind hier irgendwie mit großwerden. Anders wäre es nicht gegangen. Zumindest nicht, wenn man vorankommen möchte: Das Geschäft war und ist ja auch mein Baby.“

Ein Baby, das übrigens weniger durch eine bewusste Entscheidung respektive eine Marketing-Strategie zu seiner tonangebenden Farbe kam, sondern mehr aufgrund einer Art Vorsehung. Im Jahr 2007 zog Katrin Brüch mit Mien Brill an die heutige Adresse. Das historische Haus aus dem späten 18. Jahrhundert kaufte sie mit ihrem Mann und bezog die oberen Etagen mit der Familie. Die Geschäftsräume im Erdgeschoss mussten von Grund auf umgebaut und renoviert werden. Dazu gehörte auch, alle Farbschichten und alten Bahnen von Tapeten abzulösen, um den Original-Anstrich von 1790 freizulegen. Und diese „Urfarbe“ sollte – das hatte die Neu-Inhaberin vorab beschlossen - die neue Mien-Brill-Hausfarbe werden.

Das Team hat Spaß

„Das ist nicht inszeniert, wir sind wirklich so!“ Die Mien-Brillis oszillieren auf dem Stimmungsbarometer zwischen Leidenschaft, Spaß und Übermut - dass sie in ihrer Freizeit viel miteinander unternehmen, „ist wichtig für die Balance im Team“.

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Rosa für mehr Verspieltheit

„Das Braunterracottadunkelrot, das dort zum Vorschein kam, hätte man allerdings keinem Menschen, geschweige denn Kunden zumuten können“, gesteht Katrin Brüch. Und so haben wir es Schritt für Schritt mit Weiß aufgehellt, bis eben dieses Rosa entstanden ist.“ Die Maler seien im übrigen fast von der Leiter gefallen als sie sahen, welche Farbe sie da an die Wand bringen sollten. Dabei wissen Farbpsychologen, dass „Rosa für Verspieltheit steht, für Spaß und Jugendlichkeit. Es hat die Emotionalität von Rot, nur ohne dessen Aggressivität. Rosa nimmt sich selbst nicht so ernst.“

Verspieltheit, Spaß und Emotionalität – das könnte tatsächlich das Leitmotiv sein, nach dem der Alltag bei Mien Brill funktioniert. Greifbar dokumentiert etwa in den Social-Media-Accounts des Betriebs: Fotos zeigen die Brillis mit pinken Luftballons am Maifeiertag, die Brillis in altrosa Charleston-Kleidern beim Hagenower Altstadtfest, die Brillis mit einem Gläschen Rosé, die Brillis mit lachsfarbenen Baskenmützen, die Brillis mit pinken Donuts beim zehnten Geburtstag der Mien-Brill-Filiale Lübtheen 2021 – und gerne zubbelt die eine der anderen Kollegin da an den Haaren, wird dafür bei der Draisinen-Tour vom Sitz gedrängelt oder bekommt von der Inhaberin die per Leselupe vergrößerten Zähne gezeigt. Dass man in diesem Team übrigens keinen „Ken“ findet, sei nicht beabsichtigt, aber auch nicht verwunderlich. „Das würde wohl kein Mann aushalten“, glaubt Brüch, „wenn ich eine Stellenanzeige schalten würde - ein Bewerber bekäme ja Zustände, wenn er sich bei Facebook vorab über uns schlau macht“.

Authentizität und Team-Work

„Dieser Übermut ist nicht für Social Media inszeniert, der ist echt. Wir sind wirklich so“, versichert Angelika Knobloch. „Wir nehmen uns tatsächlich nicht so ernst, schaffen es immer wieder, uns im Team zu potenzieren und tragen das auch nach außen.“ Sie muss es wissen, hat sie doch nicht nur aus Loyalität zum Betrieb eine pinke Strähne ins Haar gefärbt, sondern vor allem von 1992 bis 1995 als Angestellte von Kuno Karls die Auszubildende Katrin Brüch, damals noch Hagen, ins Handwerk der Augenoptik eingewiesen. Sie kennt und begleitet ihre heutige Chefin also schon seit 31 Jahren. Und erzählt: „Wir haben Katrin von Anfang an bestärkt, den Betrieb zu übernehmen. Wir waren ziemlich sicher, dass sie das hinbekommen würde.“

Apropos Chefin: Im Barbie-Film hält Schauspielerin America Ferrera als Barbies menschliche Verbündete einen vieldiskutierten Monolog darüber, wie unmöglich es sei, eine Frau zu sein, egal, ob man es als Hausfrau, Geschäftsinhaberin, Mutter oder Puppe versucht. „Dieser Monolog“ schreibt etwa die FAZ, sei „mit seinen sehr vernünftigen feministischen Minimalforderungen das große Herz des Films“. Und was sagt Ferrera da? „Man muss [als Frau] ein Boss sein, aber man darf nicht gemein sein. Man muss führen, darf aber die Ideen anderer nicht unterdrücken. Man muss eine Karrierefrau sein, aber auch immer auf andere Menschen achten ... Das ist zu widersprüchlich, das ist zu schwer.“

„Die Dynamik in meinem Kopf muss sich nicht in der Chefrolle ausleben“

Zu schwer? In dieses Lamento würde Katrin Brüch vermutlich nicht einstimmen wollen. „Als Mensch habe ich mich sicher sehr verändert, erklärt sie, „bin selbstsicherer und souveräner geworden und habe mir Schultern aus Beton zugelegt“. Als Chefin sei sie allerdings immer noch so wie vor 20 Jahren, „ich kann mich nicht über andere erheben, das wollte ich auch nie“. Viel wichtiger sei aus ihrer Sicht für ein erfolgreiches Miteinander, dass die Balance im Team stimme und dass man eine emotionale Verbindung zueinander habe, „das ist mir sehr wichtig“. Bei der Geschäftsübernahme war das im übrigen einer der oben bereits erwähnten Zweifel: „Ich habe früher immer gesagt, ich bin nicht so der richtige Cheftyp, habe mir das Chefsein selbst gar nicht richtig zugetraut.“ Heute sehe sie das nicht mehr als Problem an: „Die Dynamik in meinem Kopf muss sich nicht in der Chefrolle ausleben, dazu sind meine Mitarbeiterinnen auch viel zu sehr eigene Persönlichkeiten.“

Diese Einstellung würde wiederum Greta Gerwig gefallen, der Regisseurin des Barbie-Films. Sie sagt über ihre Schöpfung: „Ich bin zwar Feministin. Aber in diesem Film geht es darum, dass jede Art von hierarchischer Machtstruktur ungut ist. Es geht darum, menschlich zu sein.“ Deswegen komme Barbie am Ende ihrer Heldenreise zu der Erkenntnis, nicht immer den Erwartungen entsprechen und nicht perfekt sein zu müssen.

Mien Brill Barbie

Brillis oder Barbies? In diesem Fall haben sich oben die „Puppen“ um ihre Hauptdarstellerin Margot Robbie (links) versammelt, unten die Augenoptikerinnen um ihre Hauptdarstellerin Katrin Brüch (rechts). Würde Barbie jemals 46 Jahre alt werden, könnte man möglicherweise eine gewisse Ähnlichkeit feststellen.

© privat; PictureLux / The Hollywood Archive / Alamy Stock Foto

Niemals länger als drei Minuten ärgern

Katrin Brüch, aller Voraussicht nach noch länger nicht am Ende ihrer „Heldenreise“ angekommen, hat aus 20 Jahren als Betriebsinhaberin die Erkenntnis gewonnen, dass Fehler und Fehlschläge zwingend dazugehören. Das müsse man als Unternehmerin einfach akzeptieren: „Wenn etwas nicht klappt, ein Plan nicht funktioniert, ist das keine Sackgasse, sondern es wird immer eine andere Möglichkeit geben.“ Lösungsorientiertes Denken sei daher auch der erste Rat, den sie „enthusiastischen Augenoptikerinnen, die den Weg ins eigene Geschäft wagen“, mitgeben möchte. Und dazu ein ganz persönliches Erfolgsrezept: Niemals länger als drei Minuten ärgern. Letztlich müsse aber jeder klar sein: „Selbstständigkeit, das ist kein Ringelpietz mit Anfassen und das heißt auch: Man muss es lieben, sehr gerne viel zu arbeiten. Man kann nicht selbstständig sein und 30 Stunden arbeiten wollen. Davon kann man sich verabschieden.“

Bleibt zum Schluss eigentlich nur eine Frage zu klären: Hat Katrin Brüch das Rosa gefunden oder das Rosa Katrin Brüch? Ist ein Traum wahr geworden oder ist die Mien-Brill-Realität zu schön, um irgendwann einmal erträumt worden zu sein? Und was hat es zu bedeuten, dass die Firma Mattel ausgerechnet 1976, im Geburtsjahr von Katrin Brüch, die erste „Action-Barbie“ auf den Markt brachte (laut barbie.fandom.com übrigens bekleidet mit einem „shocking pink tricot one-piece swimsuit“). Wie in den allermeisten Leben, gleich ob beruflich oder privat, gab es auch in diesem Fall keine Regisseurin mit Drehbuch, die laut „Und Action!“ gerufen hat. Sondern höchstens Karma in Person eines vorausschauenden Altinhabers, Kismet in Form empathischer Mitarbeiterinnen oder Schicksal in Gestalt braunterracottadunkelroter Wände. Wie man es auch nennen mag: Katrin Brüch hat diese Chancen ebenso tatkräftig wie konsequent in eine tragfähige Strategie umgesetzt. „Mein Leben ist wirklich rosa geworden“, sagt sie zum Abschied.

Die Lieblingsfarbe von Katrin Brüch war früher übrigens Gelb. Den Barbie-Film hat sie sich bisher nicht angeschaut.


3 Fragen an Katrin Brüch

Was können Frauen als Inhabende eines Augenoptik-Fachgeschäfts besser als Männer?
Frauen können nichts besser. Beide Geschlechter können es gleich gut, wenn sie mit der gleichen Liebe zu dem, was sie tun, dabei sind. Ob das Geschlecht Mann ist oder das Geschlecht Frau, das spielt erstmal keine Rolle. Wenn jemand genau das in seinem Leben gefunden hat, was er über alles liebt, und diesen Beruf täglich ausüben möchte, wird er auch Erfolg darin haben. Dann ist es egal, ob er oder sie eine rosafarbene Bermudas trägt oder ein rosafarbenes Kleid. Dann ist der Schlüssel dazu in ihr oder ihm selbst. Und das ist viel viel wichtiger für den Start in eine Selbstständigkeit als das Geschlecht. Ich glaube aber schon, dass Frauen belastbarer sind und ich glaube, dass Frauen mehrere Dinge besser gleichzeitig abarbeiten und vielleicht auch ein bisschen härter arbeiten können. Aber das ist nur eine Vermutung von mir.

Warum gibt es dann so wenige Frauen als Inhaber?
Laut aktuellstem ZVA-Branchenbericht sind es 30 Prozent, gerade mal 4 Prozent mehr als 2019. Ich stelle hier mal eine Theorie aus meiner eigenen Berufserfahrung heraus auf: Also wir werden in unserer Gesellen- und Meisterkursen fachlich unglaublich gut ausgebildet, Männer wie Frauen, aber die Betriebswirtschaft, die wird uns nicht beigebracht. Eine fatale Kombination ist das dann, wenn man gar kein betriebswirtschaftliches Denken hat und nur fachlich gut ist, das geht nämlich nach hinten los. Als ich den Gedanken zur Selbstständigkeit hatte, habe ich überlegt, meinen Betriebswirt obendrauf zu machen, weil ich das Gefühl hatte, zu wenig Instrumente in die Hand bekommen zu haben: Recht, Bilanzen, ständig neue Gesetze, Kalkulation – ich hatte einfach das Gefühl, nicht fit genug zu sein. Letztlich habe ich aber „nur“ ein Existenzgründerseminar gemacht und bin dann ins kalte Wasser gesprungen. Und dieser Sprung ins kalte Wasser liegt Frauen im Allgemeinen - noch - nicht so sehr. Für Frauen ist da eine höhere Angstschwelle, ins Ungewisse zu starten. Ich glaube einfach, dass Frauen in dieser Hinsicht nicht so risikobereit sind oder auch keine Spekulationen eingehen möchten. Männer treten in puncto Selbstständigkeit mitunter zielstrebig aus ihrer Höhle und stellen sich der Dunkelheit. Die evolutionsbedingte Ausrichtung fällt bei Männern sicher etwas mutiger und unbedarfter aus.

Sie sind Lehrlingswartin der Landesinnung MVP und dort auch Mitglied der Prüfungskommission. Sehen Sie bei den jüngeren Frauen einen Wandel hin zu mehr Mut und Risikobereitschaft?
Leider nicht; eher im Gegenteil. Ich bin ja diejenige, die nach bestandener Prüfung gratuliert und freispricht und frage dann immer: „Na, wie geht’s weiter?“ Es ist sehr traurig, dann in 70 Prozent der Fälle zu hören: „In der Optik bleibe ich jedenfalls nicht.“ Wenn ich nachfrage, macht der Beruf eigentlich Spaß, aber die Begleitumstände sind vielen zu anstrengend: Arbeitszeiten, Samstagsarbeit, zu wenig Geld, zu wenig Freizeit usw. Damit wir uns nicht missverstehen: Das gilt für die jungen Frauen und die jungen Männer gleichermaßen! Der Nachwuchs scheint eher einen geruhsamen Job zu suchen, der ihn nicht allzu sehr ans Limit bringt. Und da ist die Selbstständigkeit eher keine Perspektive, die diesen Wunsch erfüllt. Und für Frauen, die dann vielleicht noch einen Kinderwunsch haben, passt das dann gar nicht mehr, parallel ein Geschäft zu leiten oder aufzubauen, immer da zu sein, immer voll zu arbeiten und Kinder großzuziehen. Das ist ja auch ein Wahnsinns-Spagat.