Finnland: Auslandssemester im Hohen Norden

drei Mädels im Schnee in Finnlands Natur
Das sind die Finnland-Reisenden (v.l.n.r.): Ronja Granz, Marie Kirner und Nicole Schmitt
© Nicole Schmitt

„Warum habt ihr euch ausgerechnet für ein Auslandssemester in Finnland entschieden?“  - diese Frage wurde den drei Studentinnen Ronja Granz, Marie Kirner und Nicole Schmitt der Hochschule Aalen von vielen finnischen Studierenden gestellt. Gründe gibt es dafür viele: Angefangen von der unglaublich faszinierenden und einzigartigen Natur, über die Vorzüge des Praktizierens von in Deutschland Augenärzten vorbehaltenen Untersuchungen, bis hin zum interkulturellen Austausch. Ein Auslandssemester in Finnland bot den Studentinnen somit die Möglichkeit, neue fachliche und kulturelle Inhalte zu erlernen. Professorn Dr. Anna Nagl hielt eine Informationsveranstaltung über die Möglichkeiten der Auslandssemester ab. Dies weckte ihr Interesse. Ein Vortrag der finnischen Professoren Stefan Dieckhoff und Tuomas Juustila an der Hochschule Aalen, in dem sie Finnland, die Hochschule in Oulu und ihre Arbeit vorstellten, vereinfachte die Entscheidung.

Nach den erfolgreichen Bewerbungen für das Auslandssemester stand dem Aufenthalt in Finnland nichts mehr im Wege. Am 28.02.2019 machten sich Ronja Granz, Marie Kirner und Nicole Schmitt gemeinsam auf den Weg in den hohen Norden. Dort standen ihnen fünf Monate in der fünftgrößten Stadt Finnlands bevor. Die Stadt Oulu liegt am ostbottnischen Meer und hat ungefähr 200.000 Einwohner. Die Verständigung vor Ort lief in Englisch. Zum Vorteil für die Studentinnen haben die allermeisten Finnen gute Englischkenntnisse. Die Antwort auf die Frage, warum die meisten Finnen so gut Englisch sprechen, war meist: „Filme, Bücher und Computerspiele. Für fünf Millionen Finnen wird ja fast nichts übersetzt.“

Oulun ammattikorkeakoulu, Kontinkankaan kampus - der Campus für Health and Social Care
Oulun ammattikorkeakoulu, Kontinkankaan kampus - der Campus für Health and Social Care in Oulu. (© Marie Kirner)

Im finnischen Gesundheitswesen nimmt die Augengesundheit einen sehr hohen Stellenwert ein. Optometristen ist es in Finnland erlaubt, eine Zykloplegie sowie eine Corneabetäubung durchzuführen, was in Deutschland nur von Augenärzten durchgeführt wird. Dadurch eröffnen sich neue Möglichkeiten, weil somit auch Optometristen beispielsweise die Gonioskopie und die Applanationstonometrie durchführen dürfen. Als offiziell eingeschriebene finnische Studierende, durften die Studenten diese Untersuchungen selbst erlernen und durchführen, was in Deutschland nicht möglich ist.

Unterschiede zur deutschen Optometrie

Die drei wählten folgende Kurse: Kontaktlinsenanpassung, Refraktion, Eye Health Care, Werkstatt, Advanced Professional Skills, ein Finnisch-Sprachkurs und ein zweimonatiges Praktikum bei zwei finnischen Augenoptikern.

spaltlampenuntersuchung an studierenden der hochschule oulu
Spaltlampenuntersuchung bei der Kontaktlinsenanpassung (links: Nicole Schmitt, rechts: Ronja Granz)(© Marie Kirner)

Im Kontaktlinsenpraktikum beschränkte sich die Anpassung auf die weichen Kontaktlinsen. In Finnland selbst werden formstabile Kontaktlinsen sehr selten angepasst und die meisten Augenoptiker haben diese gar nicht erst in ihrem Angebot. Wie schon zuvor erwähnt, nimmt die Gesundheitsvorsorge in Finnland einen hohen Stellenwert ein und so kann die Dokumentation ganze sechs Seiten umfassen. In diesem Dokumentationsbogen sind neben den gängigen Fragen über die bisherigen Kontaktlinsenerfahrungen zahlreiche Fragen zur Augengesundheit, dem allgemeinen Gesundheitszustand und der Krankheitsgeschichte von Verwandten aufgeführt. Messungen wie Refraktion und Spaltlampenuntersuchung werden vorgenommen sowie zum Beispiel Messungen des Pupillendurchmessers bei photopischen und mesopischen Lichtverhältnissen. Außerdem werden bei jeder Untersuchung die Lider ektropioniert.

Die Refraktion unterscheidet sich dagegen nicht ganz so stark von der „deutschen Version“. Die Skiaskopie wird grundsätzlich vor jeder subjektiven Refraktion durchgeführt, um einen Überblick über die refraktive Situation zu erhalten. Bei der finnischen Version beginnt man die subjektive Refraktion mit der beidseitigen Nebelung um +1,5 dpt. Daran waren die Studentinnen aus Deutschland nicht gewohnt.

Eye Health Care Modul

Das Eye Health Care Modul eröffnete den Studierenden eine besondere Möglichkeit: Sie durften verschiedene, in Deutschland für Augenoptiker nicht zugelassenen Untersuchungen, durchführen. Neben einer Anamnese zu Krankheiten und Auffälligkeiten werden Tests zum Binokularsehen, zur Augenmotilität, sowie zum Farbensehen und zum Gesichtsfeld durchgeführt. Die Skiaskopie wird zykloplegiert durchgeführt, um Akkommodation zu vermeiden. Mittels indirekter Ophthalmoskopie wird der Fundus beurteilt. Zusätzlich zur Spaltlampenuntersuchung werden die Applanationstonometrie nach Goldmann, die Gonioskopie (Kammerwinkelbeurteilung) und die Messung des Blutdrucks gemacht. In diesem Kurs wurde den jungen Frauen deutlich, dass die ganzheitliche Untersuchung und Versorgung einen sehr wichtigen Aspekt in der Augengesundheit darstellen.

Applanationstonometrie Studierender Hochschule Oulu
Die Applanationstonometrie nach Goldmann wurde an Probandin Marie Kirner durchgeführt (© Nicole Schmitt)

In der Werkstatt übten sie, neben dem Anfertigen von Brillen, das Ausmessen von Gläsern mittels manuellen Scheitelbrechwertmessers. Dieser ist in Finnland noch sehr verbreitet. Der „Scheiteli“, wie er in Finnland genannt wird, hat im Gegensatz zum automatischen Scheitelbrechwertmesser den Vorteil, dass eventuelle optische Fehler des Glases erkannt werden können.

Im Online-Kurs „Advanced Professional Skills“ erlernten sie den Umgang mit englischsprachiger Fachliteratur, indem die Studentinnen selbständig Fachartikel zur Bestimmung der Sehschärfe, zu Kontaktlinsenpflegemitteln, Gonioskopie, AMD, Heterotropie, Brillenglasmaterialien und Gleitsichtgläsern erarbeiteten. Im Hinblick auf ihre Abschlussarbeiten war dies ein Erfahrungsgewinn.

Fachliche und kulturelle Aspekte

Im Finnisch-Kurs lernten die Studierenden die Grundzüge der finnischen Sprache, sowie kulturelle Aspekte, die sie mit ihrem international durchmischten Kurs erleben durften. Bei den Augenoptikern waren sie während des Praktikums zum Großteil in der Werkstatt tätig. Sie durften auch bei verschiedenen Messungen zuschauen und diese teilweise selbst durchführen. Mit den Kollegen wurden fachliche und kulturelle Aspekte ausgetauscht.

Das Klischee, dass Finnen ein schüchternes und zurückhaltendes Volk sind, hatte sich für die jungen Frauen teilweise bestätigt. Doch es ist kein perfektes Englisch nötig, um sich zu verständigen. So lief die Zusammenarbeit in der Hochschule mit verschiedenen Fachsemestern sehr gut und der fachliche Austausch war breitgefächert. Auch das Verhältnis von Professoren zu den Studierenden ist etwas anders als in Deutschland. Grundsätzlich werden Professoren mit Vornamen angesprochen, das ist überall in Finnland normal. Da die Studentinnen das aus Deutschland nicht gewohnt waren, waren sie zunächst etwas unsicher. Man gewöhnt sich jedoch schnell daran. Auf die Nachfrage, wie der zuständige Professor den damaligen finnischen Ministerpräsidenten bei einer persönlichen Begegnung ansprechen würde, bekamen die  die lachende Antwort „Vermutlich mit Hei Juha!."

Fazit

"Alles in allem war es eine super Erfahrung, die wir nicht missen wollen. Unsere Erwartungen, fachlich und persönlich zu wachsen, wurden erfüllt und unsere internationalen Kompetenzen gestärkt. Wir nehmen vieles für unseren weiteren Lebensweg daraus mit, was sowohl die medizinischen als auch die sprachlichen und soziokulturellen Aspekte angeht."

Autorinnen: Ronja Granz, Marie Kirner und Nicole Schmitt