„Synergieeffekte? Ergeben sich oft automatisch ...“ Wenn Augenoptiker Hörakustik dazunehmen, haben sie einen Vorteil

älterer Mann hält sich die Hand ans Ohr

Ein Hörgerät- und Brillenträger – so sieht wohl der ideale Kunde eines Augenoptikers aus, der sich mit der Hörakustik ein zweites Standbein geschaffen hat.

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Erstveröffentlichung in der DOZ 10/2025.

Johannes Kudella war 26, als er 2014 in das Hildesheimer Familienunternehmen Zingel-Optic einstieg, das sein Vater Wolfgang 1985 gegründet hatte. Vorgesehen war damals schon, dass der Junior einmal in die Geschäftsführung eintreten würde. Doch der junge Augenoptikermeister und B.Sc. Augenoptik hatte von Beginn an eigene Ansprüche. „Ich wollte den Betrieb nicht einfach weiterführen, sondern weiterentwickeln und hatte große Lust, etwas Neues zu machen.“ Den ersten Gedanken, Optometrie zu einem zweiten Standbein aufzubauen, verwarf er. „Die Zahlungsbereitschaft für optometrische Dienstleistungen ist in Deutschland nicht stark ausgeprägt.“ Stattdessen entschied er sich für die Hörakustik.

Den Vorbereitungskurs für die Meisterprüfung absolvierte Kudella am Institut für Berufsbildung in Karlsruhe. „Die eine Hälfte waren Hörakustiker, die andere Hälfte Quereinsteiger wie ich.“ Zehn verlängerte Wochenenden mit Frontalunterricht waren zu bewältigen, dazu kam sehr viel Arbeitsaufwand zu Hause. „Für mich war es eine der härtesten Prüfungen in meinem Leben“, sagt der Doppelmeister zehn Jahre später und fügt hinzu: „Die bestandene Meisterprüfung ist die Erlaubnis, den Beruf ausüben zu dürfen – doch bis man alles in seinem Betrieb so vorbereitet hat, dass man durchstarten kann, ist nochmal ein gutes Stück Wegstrecke zurückzulegen.“

Bevor Hörakustikbetriebe tätig werden und über die Krankenkassen abrechnen können, müssen sie ein gesetzlich vorgeschriebenes Eignungs- und Qualitätssicherungsverfahren durchlaufen. Man wendet sich dazu an eine zugelassene Präqualifizierungsstelle. „Ich musste mich damals etliche Stunden auf diese Präqualifizierung vorbereiten, die eigentliche Durchführung und Begehung vor Ort dauerte etwa zwei Stunden“, erinnert sich Kudella, „Glücklicherweise konnte ich Kollegen aus der Hörakustik um Rat fragen, auch die Innung half mir sehr. Grundsätzlich muss man sagen: Als Hörakustiker hat man deutlich mehr mit Bürokratie zu tun.“

Werbung mit der Kontur eines Ohres sollte Kunden ins Geschäft locken

2016 bot Zingel-Optic seinen Kunden dann erstmals auch Hörakustik an. Und schlug dabei zwei Fliegen mit einer Klappe: Zusammen mit der Neuausrichtung und Erweiterung des Geschäfts wurden auch die Beratungsfläche im Erdgeschoss und die Außenfassade modernisiert. Großes Thema in den ersten Monaten war die Kundengewinnung. „Für den Anfang konnten wir aus dem Bestandskunden-Pool schöpfen, aber auf Dauer reichte das natürlich nicht.“ Unterschiedliche Werbemaßnahmen wurden ausprobiert. Besonders bewährte sich eine originell gestaltete Werbekarte – mit der Kontur eines Ohres –, mit der sich Leute zu einem kostenfreien Hörtest mit kostenfreiem Probetragen anmelden konnten – in der Hörakustik der klassische Weg, Kunden ins Geschäft zu bekommen.

Anders als in der Augenoptik gibt es in der Hörakustik keine unverbindlichen Preisempfehlungen. „Man orientiert sich schlicht an den Marktgegebenheiten“, sagt Kudella, „Wir haben uns entschieden, unterschiedliche Dienstleistungspakete vor allem für Neueinstellungen von Fremdgeräten anzubieten. Ansonsten ist die gesamte Dienstleistung im Verkaufspreis der Hörsysteme enthalten, mit Ausnahme der Wartung, für die wir separate Service- und Wartungsverträge anbieten.“

In den ersten Monaten habe man viel ausprobiert. „Immer wieder haben wir innegehalten und genau hingeschaut: Was war gut bei der Beratung und der Anpassung? Und was nicht so gut? Relativ schnell findet man dann die wiederkehrenden Probleme und behebt sie. Nach ungefähr einem Jahr hatte ich das Gefühl: Jetzt sind wir auf Kurs.“

Hörakustik-Kunde wird beraten

Dass Hörakustiker eine intensivere Beziehung zu ihren Kunden haben, empfindet Johannes Kudella als Bereicherung. „Es sind ja mindestens drei Termine, können aber auch sechs oder zehn sein. Das ist mit einem Brillenkauf nicht vergleichbar.“ 

© Zingel-Optic

An zwei Standorten arbeiten mittlerweile drei Doppelmeister

2022 übernahm „Zingel-Optic – Augenoptik & Hörakustik“, wie es mittlerweile heißt, mit „Optik Jakuttek“ ein Traditionsgeschäft in fünfter Generation im benachbarten Elze. Das Geschäft bot noch Uhren und Schmuck an und war ein bisschen in die Jahre gekommen. Auch dort integrierte man nach Kernsanierung und umfangreichem Umbau eine Hörakustikabteilung. Die Kombination Augenoptik plus Hörakustik gab es davor in der Kleinstadt nicht. Mittlerweile arbeiten in beiden Geschäften insgesamt 20 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, drei von ihnen haben die Doppelqualifikation als Hörakustiker- und Augenoptikermeister.

„Ein Vorteil ist Flexibilität, diese Mitarbeiter können unterschiedlich eingesetzt werden“, sagte Kudella. „Wenn ich mit einem Kunden einen Hörtest mache und er mich auf Brillen anspricht, kann ich sofort ins Thema einsteigen ohne einen weiteren Termin machen zu müssen. Auf diese Weise verkaufen wir immer wieder zusätzlich Brillen.“ Überhaupt nennt Johannes Kudella die Synergieeffekte, die sich bei der Verbindung von Augenoptik und Hörakustik ergeben, „einfach nur großartig. Nicht umsonst haben wir den Raum mit unserem Low-Vision-Angebot auf der gleichen Etage mit den Hörkabinen. Werden ältere Kunden mit Hörsystemen versorgt, schließt sich manchmal automatisch ein Gespräch über vergrößernde Sehhilfen an“.

Ein wesentlicher Anstoß kam von Kunden, die Hörgeräte tragen

Die „Brillenhelden“ in der 20.000 Einwohner großen Mittelstadt Leinefelde-Worbis im thüringischen Landkreis Eichsfeld gibt es erst seit sechs Jahren. „Doch Hörakustik ist schon lange ein großes Thema bei uns“, erzählt Geschäftsführerin Natalie Rosner. Sie und ihr Mann Franz haben ihr 160 Quadratmeter großes Augenoptikgeschäft im Mai 2019 eröffnet. Beide absolvierten ihre Ausbildung bei Fielmann, zum Meister brachte sie die Fielmann-Akademie auf Schloss Plön, beide sind seitdem auf Erfolgskurs: 2019 wurde Natalie Rosner zum „Gesicht des Handwerks“ in Thüringen ge-wählt, 2023 errang sie den ersten Platz in der Kategorie „Top Gründerin“, weil sie mit „Brillenhelden“ Maßstäbe für die Region setzt: In ihrem Betrieb werde klassisches Handwerk mit modernster Technologie vorbildlich verbunden, wirtschaftlich erfolgreich sei man außerdem.

Schon vor der Geschäftsgründung hatten Franz und Natalie Rosner in die Branche der Hörakustik hineingeschnuppert. Zweieinhalb Jahre arbeiteten sie bei einer Hörakustik-Kette aus Großburgwedel, wo sie den Augenoptikbereich mit aufbauten. Ein wesentlicher Anstoß, ebenfalls Hörakustik anzubieten, kam von außen: „Kunden, die Hörgeräte tragen, sagten zu uns: Das könntet ihr doch auch machen, das wäre dann einfacher für uns.“

Im Januar dieses Jahres begann Natalie Rosner mit ihrem Vorbereitungskurs für den Meister an der Braun-schweiger Audio-Med-Akademie. Hier bot sich ihr die Möglichkeit, den Theorieteil online zu absolvieren. „Das fand ich super, denn ich musste während dieser Zeit vieles unter einen Hut bringen, was herausfordernd war: zwei Kinder, Haus und das weiterlaufende Geschäft.“ In ihrem Kurs waren nicht nur junge Leute Anfang 20, sondern auch ältere, etwa eine Frau über 50. Bei den Hörakustikern hatte sie den Eindruck, dass sie von ihrem Naturell etwas ruhiger sind als Augenoptiker.

Nathalie Rosner

Dass der Meisterlehrgang in der Hörakustik „kein Spaziergang wird“, wusste Natalie Rosner bereits vorher. Inzwischen hat sie aber bis auf eine Prüfung alle bestanden und darf mit einer Ausnahmegenehmigung der Handwerkskammer schon starten.

© Brillenhelden

„Macht es – es bringt euch längerfristig viel Mehrwert!“

Schon vor dem Kurs zur Meisterin informierte sich Natalie Rosner über die betriebswirtschaftliche Umsetzung. Wichtige Impulse kamen von den Messen, etwa auf der Opti, wo sie und ihr Mann mit Kollegen sprachen, die bereits in die Hörakustik eingestiegen waren. „Wir bekamen viel Ermutigung von anderen, die sagten: Macht es, es bringt euch längerfristig viel Mehrwert. Von einer befreundeten Hörakustikerin hörte ich das Kompliment: Ihr Augenoptiker habt uns gegenüber einen Vorteil – Ihr könnt verkaufen!“

Wichtig war im vergangenen Oktober der Besuch des internationalen Hörakustiker-Kongresses in Nürnberg (mehr zur EUHA 2025 auf Seite 106), dem wichtigsten jährlichen Branchenevent in Deutschland. Dort informierten sie sich über die verschiedenen Hörsysteme.

Während sich Natalie auf ihre Meisterprüfung vor-bereitete, zog schon die Hörakustik in das Augenoptikgeschäft ein. Genügend Platz war da, um eine schalldichte Hörkabine einzurichten. Von der Innung empfohlen werden um die zehn Quadratmeter. Das technische Equipment, um Hörsysteme anzupassen, ist nicht ganz günstig, doch wenn man gut verhandelt, hat man „für 30.000 bis 40.000 Euro eine gute Basis“, offenbart Natalie Rosner. Für Hörakustik brauche man auch kein großes Lager wie für Brillen.

Im Sommer stand für die Heldin die Meisterprüfung in Braunschweig an. „Das wird kein Spaziergang“, wusste sie schon vorher. Die Prüflinge müssen an mehreren Tagen sehr umfangreiche Aufgaben bewältigen, etwa mit CAD-Hilfe (Computer-Aided-Design) zwei Formpasstücke für Hörhilfen, sogenannte Otoplastiken konstruieren, Messungen an Hörgeräten machen und bei Otis, einem virtuellen Patienten, Hörtests durchführen. Dazu kommen Anfertigung und Bearbeitung von Ohrpassstücken in der Werkstatt. An einem anderen Prüfungstag haben die Hörakustikmeister in spe zwei Stunden Zeit, eine komplette Anpassprüfung mit einem Probanden zu machen, bei der im Idealfall drei Hörgerätepaare von drei unterschiedlichen Herstellern getestet werden.

Natalie Rosner hat soweit alles bestanden, lediglich eine Prüfung muss sie noch absolvieren, doch von der Handwerkskammer hat sie eine Ausnahmebewilligung, dass sie schon loslegen darf. Was noch fehlt, ist das Zertifikat für die Präqualifizierung, das in Kürze eintrudeln wird, dann kann sie auch mit den Krankenkassen abrechnen. Doch als Hörakustikerin arbeitet die Leinefelder-Worbisserin bereits. Kürzlich hat sie Gehörschutze für 20 Mitarbeiter einer Elektrofirma angepasst. Einen Tag war sie vor Ort und hat Ohrabformungen gemacht. Auch sonst steht genügend Arbeit ins Haus: So gibt es eine Warteliste mit Kunden aus der Augenoptik, die einen Hörtest machen wollen oder ein neues Hörgerät brauchen. Damit wird Natalie Rosner bis Ende des Jahres beschäftigt sein. Mittelfristig soll auch ein zweiter Hörakustikermeister oder eine -meisterin eingestellt werden.

„Wir wollen die Branche von ihrem etwas verstaubten Image befreien“

Der Plan ist wohl realistisch. Denn Fakt ist: Die attraktiven Gleitsichtkunden sind die Hörakustik-Kunden von morgen – und der Markt wächst. Auch Johannes Kudella schaut hier optimistisch nach vorn: „Hörakustik ist zukunftsträchtiger und margenreicher als eine Spezialisierung wie Kontaktlinse, Low Vision oder eben Optometrie. Wenn man ein gutes Konzept hat, rechnet sich das betriebswirtschaftlich auch.“

Dass man als Hörakustiker eine noch intensivere Beziehung zum Kunden hat, empfindet er im Übrigen als Bereicherung. „Die Anpassung eines Hörgeräts ist nicht mit einem Brillenkauf vergleichbar. Es sind mindestens drei Termine, können aber auch sechs oder zehn sein.“ Auch den vermehrten Kontakt mit älteren Menschen weiß er zu schätzen: „Ich bin positiv überrascht, wie viele Menschen jenseits der 80 unglaublich fit sind. Sie kommen mit ihrem iPhone zu mir und wollen genau wissen, wie die Koppelung und digitale Steuerung mit dem Hörgerät funktioniert.“

Für die „Brillenhelden“ ist die Hörakustik ein Zusatzding, ein zweites Standbein, wie Natalie Rosner sagt. „Wir machen das nicht, um überleben zu können, denn unser Brillengeschäft läuft sehr gut.“ Und doch ist damit eine Vision verbunden: „Wir haben den Ehrgeiz, uns in der Hörakustik so digital und modern aufzustellen, wie wir es in der Augenoptik schon sind. Wir wollen die Branche von ihrem etwas verstaubten Image befreien, die Hörakustik für Kunden zum Erlebnis machen.“

Geschrieben von

Jürgen Bräunlein

Jürgen Bräunlein

Dr.

Jürgen Bräunlein ist seit über 30 Jahren in der Augenoptik als promovierter Medienwissenschaftler, Buchautor, Fachjournalist, Ex-Chefredakteur, Texter und Ideengeber mit breiter Branchenerfahrung aktiv.

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