Anforderungen an die Sehschärfe erfüllt

Orthokeratologie im Straßenverkehr – eine multizentrische Studie

Um bei Verkehrskontrollen keine Schwierigkeiten zu bekommen, müssen Trägerinnen und Träger von Orthokeratologie-Linsen ein Schreiben des Augenarztes mitführen. Er bestätigt darin die ausreichende Sehleistung nach der Anpassung. Dies könnte sich zukünftig vielleicht ändern: Eine neue Studie bestätigte die Tauglichkeit von Ortho-K-Linsen im Straßenverkehr. Dabei prüfte die Forschungsgruppe neben der Sehleistung auch das Dämmerungssehen sowie die Kontrast- und Blendempfindlichkeit.
Fluobild einer Ortho-K-Anpassung

Das Fluobild zeigt eine Ortho-KLinse bei der Kontrolle und schneidet ebenso gut ab wie andere Kontaktlinsen und die Brille.

© Jessica Gruhl, Avermann Contactlinsen, Dortmund

Erstveröffentlichung in der DOZ 06|2025.

Unter Orthokeratologie (kurz: Ortho-K) versteht man die gezielte Umformung der vorderen Hornhaut mithilfe spezieller Kontaktlinsen, um den Brechungsfehler nach dem Entfernen der Linsen vorübergehend und reversibel zu verringern (Vincent et al. 2021). Das Verfahren ist zwar schon lange bekannt (Jessen 1962), jedoch haben erst modernere Geometrien und Materialien eine zielgenaue und vorhersehbare Umformung der Hornhaut sowie ein sicheres Tragen ermöglicht (Wlodyga und Stoyan 1989, Mountford 1996).

Der Effekt des nächtlichen Tragens der Kontaktlinsen zur Orthokeratologie nimmt im Tagesverlauf ab. Diese tageszeitliche Regression wird durch einen vom Hersteller in die Linse integrierten Korrekturfaktor (Kompressionsfaktor) berücksichtigt. Dennoch stellte sich die Frage, inwiefern die für das Lenken eines Fahrzeugs relevanten Sehfunktionen durch die Orthokeratologie beeinträchtigt sein könnten. Ziel einer Forschungsgruppe bestehend aus Stefan Bandlitz, Jessica Gruhl, Gunther Oesker, Daniel Lachenmaier, Carsten Giepen, Barbara Reck, Oliver Hoppe, Wolf A. Lagrèze und James S. Wolffsohn war daher die Untersuchung orthokeratologiebedingter tageszeitlicher Schwankungen der Sehschärfe, der Kontrastempfindlichkeit, des mesopischen Sehens (Dämmerungssehen) und der Blendempfindlichkeit sowie Überprüfung der Übereinstimmung mit den Anforderungen für den Führerschein.

In einer prospektiven, multizentrischen, kontrollierten Studie wurden fünfzig myope (Spannweite, -1,00 bis -4,50 D) und nicht presbyope Träger von Brillen- oder weichen Kontaktlinsen (Altersbereich 16-39 Jahre) mit orthokeratologischen Kontaktlinsen ausgestattet. Vor und nach Abschluss der Anpassung wurden Messungen der Sehschärfe, der Kontrastempfindlichkeit, des mesopischen Sehens und der Blendempfindlichkeit zu drei Tageszeiten (morgens, nachmittags und abends) mit einem standardisierten binokularen Seh-testgerät (Oculus Binoptometer 4P) durchgeführt. Die monokulare und binokulare Sehschärfe wurde gemäß ISO 8596 getestet und mit den Anforderungen an Auto- und Motorradfahrer in verschiedenen Ländern verglichen.

Pentacam-Aufnahme

Die Pentacam-Aufnahme zeigt das „Bulls Eye“ und ist gleichzeitig die Bestätigung einer gut angepassten Ortho-K-Linse.

© Jessica Gruhl, Avermann Contactlinsen, Dortmund

Ergebnisse

Die Studie konnte zeigen, dass im Vergleich zur vorherigen Korrektur die binokulare Sehschärfe (logMAR) mit Orthokeratologie morgens (0,04 ± 0,12; p < 0,05) und nachmittags (0,04 ± 0,10; p < 0,05) statistisch signifikant besser ausfiel, während der Unterschied abends nicht statistisch signifikant war (p = 0,512). Außerdem gab es keinen statistisch signifikanten Unterschied in der Kontrastempfindlichkeit am Morgen (p = 0,813), am Nachmittag (p = 0,742) oder am Abend (p = 0,945). Sowohl beim mesopischen Sehen als auch bei der Blendempfindlichkeit gab es keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den mit der Orthokeratologie erreichten Kontrastwerten im Vergleich zur vorherigen Korrektur am Morgen (p = 0,083; p = 1,000), am Nachmittag (p = 0,054; p = 0,125) oder am Abend (p = 0,195; p = 0,635). Bei der Orthokeratologie wurde keine statistisch signifikante tageszeitliche Abweichung für die binokulare Sehschärfe, die Kontrastempfindlichkeit, das mesopische Sehen oder die Blendempfindlichkeit festgestellt (p > 0,05).

Die Schlussfolgerung der Studienautoren lautet daher: Die Ergebnisse belegen, dass die Sehfunktionen der Träger von Orthokeratologie-Linsen den ganzen Tag über stabil und mit der vorherigen Korrektur vergleichbar sind. Obwohl die Sehanforderungen für das Führen eines Fahrzeugs innerhalb der Länder nicht einheitlich sind, werden die Anforderungen an die Sehschärfe in allen Ländern erfüllt. Auch das mesopische Sehen und die Blendempfindlichkeit, die als weitere Aspekte zur Beeinflussung der Fahrleistung genannt werden, scheinen im Tagesverlauf konstant zu sein.


Lesen Sie zum Thema „Klinische Studien in der Augenoptik“ auch das Interview mit Kontaktlinsen-Anpasser Günther Oesker. Die komplette Studie zur Tauglichkeit von Ortho-K-­Linsen ­im ­Straßenverkehr ­finden ­Sie­ hier.

Dr. Stefan Bandlitz

Dr. Stefan Bandlitz ist neuer Schulleiter der HFAK.

© HFAK

Autor: Dr. Stefan Bandlitz
ist Dozent an der Höheren Fachschule für Augenoptik in Köln und verfügt über langjährige Erfahrungen in der Versorgung mit Kontaktlinsen sowie im Bereich klinischer Studien zum vorderen Augenabschnitt. Er graduierte zum Master of Science in Clinical Optometry am Pennsylvannia College of Optometry in Philadelphia, USA, und erhielt seinen Doktorgrad von der School of Optometry and Vision Science an der Cardiff University in Wales. Bandlitz ist Autor zahlreicher Fachpublikationen sowie Referent auf nationalen und internationalen Kongressen. Er gehört zudem der Ophthalmic Research Group, Life and Health Sciences, an der Aston University in Birmingham an.