Bewusstsein für Handwerk schon in der Schule schärfen

Frauen im Handwerk: Gemeinsam die „gläserne Decke“ durchbrechen

Juana Bleker ist Handwerkerin durch und durch – nicht nur als selbstständige Unternehmerin im Bereich Haustechnik. Als erste Vorsitzende des ehrenamtlichen Vereins Unternehmerfrauen im Handwerk (UFH) hat sie Gleichberechtigung im Handwerk fest im Blick. Positive Ansätze für Unternehmen zu schaffen, wie es Italien mit dem Gleichstellungszertifikat gemacht hat, ist aus ihrer Sicht zwar eine gute Idee. Ein solches wird ihrer Meinung nach aber nicht reichen, um für mehr Gleichberechtigung im Handwerk zu sorgen, wie sie im DOZ-Interview erklärt.
gläserne Decke

Sehen, ja. Hindurchgehen, nein. Als „gläserne Decke“ bezeichnen Soziologen die eingeschränkten beruflichen Aufstiegschancen von Frauen aber auch Homosexuellen sowie ethnischen Minderheiten.

© Patrick Baum / Unsplash

Erstveröffentlicht in der DOZ 11I24

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) hat 2023 Daten darüber erhoben, wie viele Frauen im deutschen Handwerk tätig sind. Dabei wurden die Positionen der Frauen (Azubi, Gesellin, Meisterin, etc.) sowie ihre Gewerbe berücksichtigt. Während Frauen in den vergangenen Jahren über alle handwerklichen Belegschaften hinweg einen konstanten Anteil von etwa einem Drittel bildeten, sind zwischen den einzelnen handwerklichen Gewerbegruppen große Unterschiede feststellbar. So fällt auf, dass die meisten Frauen – unabhängig ihrer Qualifikation – vor allem in den Bereichen Lebensmittel, Gesundheit sowie persönliche Dienstleistung zu finden sind.

Besonders interessant ist die Aufteilung der Auszubildenden. Gerade kreative Handwerksberufe sind bei weiblichen Auszubildenden sehr gefragt. An erster Stelle steht die Friseurin gefolgt von Berufen wie Maßschneiderin (86,1 Prozent), Konditorin (85,0 Prozent) oder Goldschmiedin (72,9 Prozent). Doch auch die Gesundheitshandwerke wie Augenoptikerin (67,7 Prozent), Zahntechnikerin (64,4 Prozent) oder Hörakustikerin (53,5 Prozent) erfreuen sich großer Beliebtheit.

Es gibt also durchaus weibliches Handwerk. Allerdings geht der Weg aus den eher weiblich geprägten Berufen hinein in traditionell männlich besetzte nur sehr langsam voran, wie Juana Bleker der DOZ im Interview verrät. Sie ist nicht nur Handwerkerin, sondern auch seit 18 Jahren mit ihrem Unternehmen Bleker Haustechnik selbständig und weiß, welchen Herausforderungen Frauen im Handwerk tagtäglich gegenüberstehen.

Juana Bleker

Juana Bleker führt seit 18 Jahren ihr Unternehmen Bleker Haustechnik GmbH und weiß, auf welche Herausforderungen Frauen im Handwerk treffen.

© Privat

Frau Bleker, wie sieht es mit der Gleichstellung im Handwerk aktuell aus?

Juana Bleker: Es gibt Fortschritte, aber wir sind noch nicht am Ziel. Derzeit erfolgt etwa jede vierte Gründung im Handwerk durch eine Frau. Rund 17 Prozent absolvieren die Meisterprüfung und circa 20 Prozent der Handwerksbetriebe werden von einer Frau geführt. Insbesondere in weniger männerdominierten Branchen wie dem Augenoptikerhandwerk sind Frauen stärker vertreten. Das Hauptproblem liegt jedoch in den traditionell männerdominierten Berufen.

Wie kann das Handwerk bzw. die Ausbildung insgesamt mehr in die Mitte der Gesellschaft rücken?

Es ist ein Generationen- und auch ein gesellschaftliches Umdenken, das stattfinden muss. Die ältere Generation hat großen Wert auf eine akademische Ausbildung gelegt, wodurch das Handwerk oft zu kurz kam. In Gymnasien wird das Handwerk kaum thematisiert. Hier müssen wir ansetzen, um junge Menschen, insbesondere Frauen, frühzeitig für handwerkliche Berufe zu begeistern.

Wie genau soll das Handwerk das anstellen?

Wir sollten uns stärker auf Gymnasiasten und Studienabbrecher konzentrieren, da das Handwerk in diesen Kreisen kaum präsent ist. Es gibt bereits viele Kampagnen, die Frauen im Handwerk als Vorbilder zeigen. Wichtig ist, dass wir in Schulen und bei Eltern ein Umdenken erreichen, damit Mädchen frei von alten Rollenklischees ihre Berufswahl treffen können. Initiativen wie spezielle Förderprogramme, Netzwerke für Frauen im Handwerk und gute Rahmenbedingungen können helfen, mehr Frauen für handwerkliche Berufe zu gewinnen und bestehende Ungleichheiten abzubauen.

In welchen Berufszweigen sind denn aktuell die meisten Frauen in der Führung?

Frauen sind im Bereich des kreativen Handwerks stärker vertreten und übernehmen dort Führungsrollen. Langsam folgt das Bau-Nebengewerbe, wie beispielsweise das SHK-Gewerk – also da, wo mein Unternehmen angesiedelt ist – sowie Dach, Elektro und Tischlereien. Im Bauhauptgewerbe sind Frauen sehr wenig vertreten, da ist ganz viel Luft nach oben.

Marcolin hat im Rahmen seiner Zertifizierung für Gleichstellung beinahe die gesamte Unternehmenskultur angepasst. Elternzeit für alle Mitarbeitenden (auch Väter bis zu zwei Jahre), Kooperationen mit Kitas, um Mütter bei der Betreuung zu unterstützen oder psychologische Beratung für alle: Ist das Ihrer Meinung nach die Zukunft eines fortschrittlichen und gleichberechtigten Unternehmens?

Eine solche Unternehmenskultur wäre ideal, aber ich glaube, wir sind als Gesellschaft noch nicht so weit. Bei Elternzeit für Väter gibt es noch viel Widerstand. Deshalb plädiere ich für besondere Anreize, um Unternehmen zum Umdenken zu bewegen. Zum Beispiel gibt es hierzulande die Auszeichnung für familienfreundliche Unternehmen, die als Zertifikat öffentlich wirksamer kommuniziert werden sollte. Unser Ziel im eigenen Unternehmen ist, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich jeder wohlfühlt. Wir bieten Elternzeit an und suchen individuelle Lösungen, um Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern.

Wie geht das mit dem Fachkräftemangel zusammen?

Der Fachkräftemangel ist auch ein gesellschaftliches Problem und kann zu einem Umdenken führen. Allerdings zeigt sich auch bei jüngeren Fachkräften oft noch ein traditionelles Rollenverständnis, weshalb dieser Prozess Zeit benötigt. Es ist wichtig, dass Unternehmen sich anpassen, um attraktiv zu bleiben. Denn es sind immer noch mehr Frauen im Handwerk in Elternzeit als Männer. Zudem sind 39 Prozent der Frauen in Deutschland in Teilzeit tätig. Und natürlich tut es jeder Firma weh, gerade kleinen Unternehmen, wenn ein Vater oder eine Mutter über längere Zeit fehlt. Aber für eine heutige Unternehmenskultur muss das einfach möglich sein.

Das italienische Gleichstellungszertifikat soll für alle Unternehmensgrößen umsetzbar sein. Könnten Sie sich etwas Vergleichbares für Deutschland auch vorstellen?

Ein Gleichstellungszertifikat wäre ein guter Anreiz, um Unternehmen zur Förderung der Gleichstellung zu motivieren. Für mittelgroße Unternehmen könnte ich mir das gut vorstellen. Bei kleineren Betrieben wäre es schwieriger umzusetzen, aber auch hier könnten bestimmte Bedingungen und Vorteile helfen.

Kommen wir zur Frauenquote. Braucht es die Ihrer Meinung nach weiterhin?

Um die Gleichstellung zur fördern, ist sie wohl noch notwendig. Ohne sie würden viele Frauen gar nicht erst in Betracht gezogen werden. Allerdings möchten wir Frauen aufgrund unserer Qualifikation eingesetzt werden und nicht wegen einer Quote. Deshalb könnte eine Zertifizierung einen positiven und freiwilligen Anreiz schaffen. Mit einer Auszeichnung könnte der gesamte Beruf positiv konnotiert werden und Mädchen wären vielleicht leichter für das Handwerk zu begeistern. Eine zertifizierte Chancengleichheit ist einladend und zudem etwas, was auf freiwilliger Basis stattfindet, was den positiven Eindruck verstärkt. Das wirkt schlicht ehrlicher als eine „aufgezwungene“ Quote.

Stichwort Gender Pay Gap: Wie wichtig ist eine Angleichung der Gehälter in diesem Zusammenhang?

Die Angleichung der Gehälter ist entscheidend, um traditionelle Rollenbilder aufzubrechen. Es entspricht dem alten Rollenbild, dass der Mann mehr verdient und daher auch weiter arbeiten geht, sobald ein Kind da ist. Es gibt nur wenige Ausnahmen. Ein wichtiges Anliegen, das wir als UFH unterstützen, ist der Mutterschutz für Selbstständige, der derzeit nicht gesichert ist und keine Chancengerechtigkeit bietet.

Ihr Verein setzt sich auch für Frauen ein, die sich als Unternehmerinnen am Markt platzieren wollen. Welches Ziel verfolgen Sie und Ihre Kolleginnen für das Handwerk in den nächsten fünf Jahren?

Das oberste Ziel ist es, die Anzahl der weiblichen Unternehmerinnen im Handwerk signifikant zu steigern und vorab natürlich mehr Frauen für das Handwerk zu begeistern. Zusätzlich möchten wir mehr Frauen ermutigen, sich im Ehrenamt des Handwerks zu engagieren. Dafür ist es wichtig, dass wir uns mehr vernetzen und uns gegenseitig unterstützen. Wenn wir es schaffen, in der gesamten Branche mehr Gleichberechtigung zu schaffen, können wir auch für die folgenden Generationen faire Rahmenbedingungen schaffen, wie beispielsweise beim Mutterschutz.

gläserne Decke

Handwerk ist Frauensache: Mit ihrer aktuellen Kampagne will die UFH bereits Schülerinnen das Handwerk schmackhaft machen. Dazu gehört neben Vorbildern auch die Vernetzung der Frauen untereinander.

© UFH

Was müsste die Handwerksbranche gegen die „gläserne Decke“ unternehmen?

Um die gläserne Decke im Handwerk zu durch - brechen, ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich, der mehrere Maßnahmen umfasst.
Erstens: Wir müssen im Rahmen von Bildungsinitiativen bereits in den Schulen ansetzen und das Handwerk als attraktive Karriereoption präsentieren. Dies kann durch Kooperationen mit Schulen, handwerkliche Projekte und Praktika erreicht werden, um Schülerinnen und Schülern frühzeitig Einblicke in handwerkliche Berufe zu geben.
Zweitens: Frauen, die in traditionellen Männerdomänen erfolgreich sind, sollten als Vorbilder hervorgehoben und gefördert werden. Diese Vorbilder können zukünftige Handwerkerinnen ermutigen und ihnen zeigen, dass es möglich ist, in diesen Berufen erfolgreich zu sein.
Drittens: Etablierung von Mentoring-Programmen, bei denen erfahrene Handwerkerinnen und Handwerker jüngere Kolleginnen unterstützen und begleiten. Ein solches Programm fördert den Wissensaustausch und erleichtert den Aufstieg in Führungspositionen.
Viertens: Sensibilisierung der Führungskräfte durch Schulungen und Workshops, um ein Bewusstsein für die Bedeutung von Vielfalt und Gleichstellung zu schaffen und sie in die Lage zu versetzen, entsprechende Maßnahmen in ihren Betrieben umzusetzen.
Indem wir diese Maßnahmen umsetzen und das Handwerk als attraktiven und gleichberechtigten Arbeitsbereich präsentieren, können wir die gläserne Decke schneller durchbrechen und eine vielfältigere und inklusivere Branche schaffen. Wir sind eine Gemeinschaft, wir sind eine Handwerkerfamilie und es ist Zeit, zu machen.