Über Benefits & Co.

Azubi im Wunderland? Strategien gegen den Fachkräftemangel

Das Schreckgespenst namens Fachkräftemangel geistert schon länger auch durch augenoptische Betriebe. Kleine Filialisten wie die Viehoff Gruppe oder Becker + Flöge stehen genauso wie ihre großen Kollegen vor der Herausforderung, nicht nur qualifizierte Fachkräfte, sondern auch motivierten Nachwuchs für ihre Unternehmen zu gewinnen und langfristig zu binden. Doch wie begegnen diese beiden traditionsreichen Unternehmen dem Problem? Die DOZ hat in Münster und Hannover nachgefragt.
Azubi mit Benefits

Azubis dürfen sich in Zeiten des Fachkräftemangels über so manche Benefits freuen.

© Fotos: Adobe Stock / deagreez / eyewave / nikkimeel / Ljupco Smokovski / ISO101

Erstveröffentlicht in der DOZ 02I25

Die Augenoptik hat in den vergangenen Jahren stark an Komplexität gewonnen. Neben handwerklichem Geschick und technischem Know-how rückt zunehmend optometrisches Wissen nach vorne. Gleichzeitig erschwert der demografische Wandel den Zugang zu qualifizierten Fachkräften. Nach Angaben des Zentralverbands der Augenoptiker und Optometristen (ZVA) steigt das Durchschnittsalter von Betriebsinhabern in der Augenoptik kontinuierlich an. Inzwischen seien 36 Prozent der Inhaber 60 Jahre oder älter. Im Jahr 2023 standen damit 11.000 augenoptischen Betrieben etwa 47.800 Beschäftigte (inklusive Inhaber) und 6.725 Auszubildende gegenüber. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 waren es noch 11.370 Betriebe mit 48.100 Beschäftigten und 7.654 Auszubildenden. Die Arbeitsmarktlage war laut Zahlen des ZVA im Jahr 2023 zwar minimal besser als in den Vorjahren. Dennoch gaben in einer ZVA-Online-Umfrage aus dem gleichen Jahr 41 Prozent von 1.020 teilnehmenden Betrieben (Filialisten waren keine darunter) an, in den vergangenen sechs Monaten Fachpersonal gesucht zu haben. In den Umsatzklassen ab 500.000 Euro Jahresumsatz war mehr als die Hälfte der Betriebe auf der Suche nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dabei springt besonders die hohe Nachfrage nach Gesellen ins Auge. Bei der Mehrzahl der Betriebe war die Personalsuche nicht von Erfolg gekrönt – 68 Prozent gaben an, dass sie die vakante Stelle nicht besetzen konnten.

ZVA Bericht Fachkräfte

Im ZVA-Branchenbericht von 2023/2024 wird deutlich, dass viele Stellen aufgrund fehlender Bewerber nicht besetzt werden konnten.

© ZVA

Viehoff Gruppe: Regionalität und persönliche Ansprache

Um Mitarbeiterinnen bemühen sich auch kleinere Filialunternehmen wie die Viehoff Gruppe mit Hauptsitz in Münster. Das inhabergeführte Familienunternehmen beschäftigt aktuell rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie 22 Azubis in seinen Betrieben. Dabei ist Viehoff in Nordrhein-Westfalen besonders stark vertreten – dort gibt es 20 Filialen. Sieben weitere Viehoff-Betriebe sind bundesweit von Bremerhaven bis Heidelberg verstreut. Der Fachkräftemangel sei natürlich auch bei Viehoff spürbar, wie man an den Vakanzen auf der Unternehmenshomepage erkenne, erklärt Johannes Kleikamp, geschäftsführender Gesellschafter bei der Viehoff Gruppe. Er kann aber nicht von dramatischen Engpässen berichten. Das mag auch daran liegen, dass Viehoff seinen Nachwuchs hauptsächlich selbst heranzieht. Man wolle Auszubildende für den Beruf begeistern, sagt Kleikamp auf DOZ-Nachfrage und das spiegle sich in jedem der Betriebe wider. „Bei der Viehoff Gruppe erfahren Auszubildende das Beste aus zwei Welten: Auf der einen Seite die Arbeit bei einem traditionellen Einzelgeschäft vor Ort, auf der anderen Seite die Viehoff Gruppe als starken Partner im Rücken“, betont Kleikamp. „Der Vorteil für unsere Azubis besteht dabei konkret darin, dass wir ihnen sehr gute Rahmenbedingungen bieten. Von der modernen Ausstattung unserer Werkstätten über die neuesten Geräte in den Refraktionsräumen bis hin zu exklusiven Brillenkollektionen – überall erwartet sie modernste Technik und Ausstattung.“

Johannes Kleikamp

Sieht bei den Fachkräften im eigenen Unternehmen keine dramatischen Engpässe: Johannes Kleikamp, Geschäftsführender Gesellschafter Viehoff Gruppe.

© Viehoff Gruppe

Dabei ermögliche Viehoff seinen Azubis Lernen auf hohem Niveau und mit einer sehr guten Betreuung, dank qualifizierter Ansprechpartner innerhalb des Betriebs: „Wir haben eine überdurchschnittlich hohe Meisterdichte. Zu jeder fachlichen Frage gibt es einen Experten – und den können natürlich auch unsere Azubis ansprechen“, erklärt Kleikamp. Das Unternehmen sorge zudem gleich zu Beginn der Ausbildung dafür, dass die Azubis sich gut aufgehoben und gesehen fühlen. In der Viehoff-Akademie in Münster bietet das Unternehmen zum Start der Ausbildung einen „Azubi Welcome Day“ an. Die Akademie am Hauptsitz soll die Azubis nicht nur zum Anfang ihrer Karriere unterstützen, sondern sie während ihrer gesamten beruflichen Laufbahn begleiten. Neben Lern- und Workshop-Tagen werden den Azubis dort auch unkonventionelle Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten. „Unsere jungen Talente sollen nicht nur das Fachliche lernen, sondern im Laufe der Ausbildung auch in ihrer Persönlichkeit wachsen“, sagt Kleikamp. Das bedeute, dass Viehoff kreative Wege geht, um seinen Nachwuchs zu fördern. Zum Beispiel, in Form eines Workshops mit Theaterpädagogen.

Mitarbeiterbindung durch Unternehmenskultur

Ein weiterer wichtiger Baustein sei die Förderung des Gemeinschaftsgefühls unter den Mitarbeitenden. Das Arbeitsklima vor Ort und das Thema Wertschätzung spiele im Unternehmen eine entscheidende Rolle. Daher kann sich Viehoff über eine geringe Abbrecherquote bei seinen Azubis freuen. Hier betont Kleikamp auch Viehoffs besondere Position als Familienunternehmen gegenüber den klassischen Filialisten. Die üblichen Benefits in Form von Prämien und einer Übernahmegarantie bei sehr guten Leistungen biete das Unternehmen selbstverständlich ebenfalls an. Die Frage, ob ein starker Konkurrenzkampf mit anderen Augenoptikern um Azubis bestehe, verneint Kleikamp. Es bestehe eher eine Konkurrenz mit anderen Branchen. Daher klärt Viehoff seine Azubis früh über mögliche Karrierewege auf. „Wir merken immer wieder, dass viele den Meisterabschluss kennen, aber eine fachliche Spezialisierung oder auch eine Leitungsposition im Betrieb etwas mehr Erklärung bedarf“, sagt Kleikamp. „Bei einer Unternehmensgröße wie der unsrigen sind das alles mögliche Zukunftsperspektiven.“

Viehoff Azubis

Nele Büning (l.), Auszubildene im 3. Lehrjahr bei Optik Kalthoff sagt: „Durch unsere Azubi- Workshops fühle ich mich wirklich gut auf die Prüfungen vorbereitet. In unseren Betrieb kommen auch augenoptisch anspruchsvolle Aufträge. Da kann ich sehr vom Know-how meiner erfahrenen Kolleginnen und Kollegen profitieren und viel für mich mitnehmen.“

Marie Brinkmann, Auszubildene im 3. Lehrjahr bei Optik Viehoff meint: „Das Schöne ist, dass mein Ausbildungsbildungsbetrieb Optik Viehoff sehr breit aufgestellt ist. Im zweiten Lehrjahr habe ich in unserem Kontaktlinsen-Institut wertvolle Erfahrungen gesammelt und dabei auch Ortho-KKontaktlinsen und komplexe Fälle wie einen Keratokonus kennengelernt. Das zeigt mir, in wie viele verschiedene Bereiche ich mich später weiterentwickeln kann und dabei sehr gefördert werde.“

© Viehoff Gruppe

Das Recruiting beginne bei Viehoff bereits auf den Social-Media-Kanälen. Hier erstelle jeder Betrieb seinen eigenen Content. „So zeigen wir, wie viel Spaß und Abwechslung der Beruf des Augenoptikers bietet. Junge Talente erhalten einen guten Eindruck von ihrem potenziellen Ausbildungsbetrieb und vom Teamgeist, der dort herrscht“, sagt Kleikamp. Neben den Social- Media-Aktivitäten ist Viehoff das persönliche Kennenlernen wichtig. Schülerinnen und Schüler können Schnuppertage im Unternehmen wahrnehmen – diese sollen dazu dienen, das Unternehmen und den Beruf kennenzulernen. „Uns ist es wichtig, dass potenzielle Azubis eine fundierte Entscheidung treffen, also ganz bewusst ,Ja‘ zu Ausbildung und Betrieb sagen“, erklärt Kleikamp. Und um für interessierte Bewerber sichtbar zu sein, nehmen einige der Viehoff-Betriebe an Ausbildungsmessen teil oder pflegen direkten Kontakt zu Schulen. „Denn letztendlich ist das Wichtigste bei der Gewinnung guter Azubis, dass unsere Betriebe vor Ort sichtbar sind“, befindet Kleikamp.

Becker + Flöge: Tradition trifft auf Innovation

Die norddeutsche Augenoptikkette Becker + Flöge verfolgt ebenfalls eine ganzheitliche Strategie, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. In 36 Filialen in Niedersachsen beschäftigt Becker + Flöge 280 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie 40 Azubis. Über einen Fachkräftemangel kann auch das Unternehmen aus Hannover nicht klagen. „In bestimmten Städten ist es etwas schwieriger, Mitarbeitende zu finden. Aber im Grunde erreichen wir die Leute sehr gut,“ berichtet Carlotta Heindke, Personalreferentin bei Becker + Flöge. Das Unternehmen werbe ebenfalls aktiv auf seinen Social-Media-Kanälen um Fachkräfte und verzeichne damit regelmäßig Erfolge. „Social-Media ist ein zentraler Bestandteil unserer Recruitingstrategie“, erklärt Heindke. „Wir nutzen alle gängigen Plattformen, um junge Talente direkt anzusprechen.“ Dabei seien erst kürzlich vier Mitarbeitende über Instagram und Facebook auf das Unternehmen aufmerksam geworden und hätten eine Anstellung ergattern können.

Carlotta Heindke

Wirbt aktiv auf den eigenen Social-Media- Kanälen um Fachkräfte und verzeichnet damit regelmäßig Erfolge: Carlotta Heindke, Personalreferentin bei Becker + Flöge.

© Becker + Flöge

Becker + Flöge weiß allerdings auch, wie analoges Recruiting geht. Um Praktikanten zu gewinnen und potenzielle Auszubildende zu erreichen, verteilte man 2023 an 150 Schulen in Niedersachsen Praktikumsflyer. Der Plan ging auf: Aufgrund der Flyeraktion absolvierten einige Schülerinnen ihr Praktikum im Unternehmen, und aus einigen dieser Praktikanten wurden später tatsächlich Auszubildende. Für einen erfolgreichen Kampf gegen den Fachkräftemangel sei laut Heindke auch der gute Ruf des Unternehmens entscheidend. Das Lob über ihren Arbeitsplatz, das Auszubildende und Mitarbeiterinnen aus den Betrieben nach draußen tragen, führe regelmäßig zu neuen Bewerbungen. Im Wettbewerb mit größeren Filialisten um Fachkräfte sehe sich Becker + Flöge daher nicht. „Die Leute bewerben sich gezielt bei uns, weil sie zu uns möchten und eben nicht zu einer der ganz großen Augenoptikketten“, macht Heindke klar. So geschehe es auch hin- und wieder, dass Azubis während der Ausbildung mit ihrem Betrieb nicht zufrieden sind und zu Becker + Flöge wechseln (siehe Zitate von Thi Nhu Mai Bui und Nico Voges). Die Abbrecherquote sei zudem sehr gering. „Wir liegen auf jeden Fall unter der Lösungsquote, die das Bundesinstitut für Berufsbildung für die Augenoptik ermittelt hat.“ Dafür sorgten intensive Gespräche. „Wir telefonieren zunächst mit den Bewerbern. Im Anschluss gibt es einen Termin im Betrieb. Zusätzlich gehe ich mit allen Bewerberinnen den Rahmenlehrplan durch“, erklärt Heindke ihr Erfolgsrezept.

Becker + Flöge

Thi Nhu Mai Bui, Azubine bei Becker + Flöge: „Ich bin im zweiten Lehrjahr zu Becker + Flöge gewechselt, weil ich in meinem alten Ausbildungsbetrieb in einem Center-Geschäft eingesetzt war und ich es dort als sehr laut empfand, aber leider das Geschäft nicht wechseln konnte. Carlotta hat mir im Gespräch verschiedene Geschäfte vorgeschlagen, die ich mir ansehen durfte. Bei Becker + Flöge gefällt mir, dass auf meine Bedürfnisse Rücksicht genommen wird, ich immer die Chance habe zu üben oder in unsere Zentralwerkstatt zu gehen. Meine Ausbilderin Tabea hat auch die Ausbildung bei Becker + Flöge gemacht und ist nun mit 28 Jahren Augenoptikermeisterin und Filialleiterin. Ein tolles Vorbild.“

Nico Voges, Azubi bei Becker + Flöge: „Ich bin im zweiten Lehrjahr zu Becker + Flöge gekommen, weil ich in meinem alten Betrieb ständig wechselnde Ausbilder hatte und mir eine gute Betreuung fehlte. In der Berufsschule habe ich über Becker + Flöge nur Gutes gehört und mich daraufhin bei Carlotta gemeldet. Bei Becker + Flöge genieße ich das Arbeiten auf Augenhöhe und dass jederzeit jemand da ist, der mir meine Fragen beantworten kann. Mein Team ist super und ich bin in zehn Minuten mit dem Fahrrad bei der Arbeit. Für mich war der Wechsel die beste Entscheidung.“

© Becker + Flöge

Die intensive Betreuung gehe während der Ausbildung direkt weiter. Um Azubis von Beginn an einzubinden und ihnen Selbstwirksamkeit zu vermitteln, setzt Becker + Flöge auf Eigenverantwortung, abgestimmt auf den individuellen Kenntnisstand. „Unser Erfolg basiert auf Authentizität und einem familiären Miteinander, das von Anfang an spürbar ist“, sagt Heindke. Das beginne beim hierarchieübergreifenden „Du“ und soll den Azubis von Tag eins an ein „unterstützendes Teamgefühl“ mit auf ihren Weg geben. Dass neben dem Du auch das Wir-Gefühl gestärkt wird, dafür sorgt unter anderem ein „Tag der Ausbildung“. Dieser findet während des ersten Ausbildungsmonats für alle Lehrjahre statt und dient zum Kennenlernen und Austausch aller Azubi-Jahrgänge. Hier können bei Gesprächen und Aktivitäten Einblicke in den Betriebsalltag gegeben und Kolleginnen und Kollegen kennengelernt werden.

Internes Trainingssystem für Fachkompetenzen

Um die fachliche Entwicklung zu fördern, hat Becker + Flöge ein internes Trainingssystem installiert, das von Kommunikations- und Verkaufstechniken bis hin zu Fach- und Produktwissen reicht. Ein weiteres Bonbon ist mit Sicherheit auch das persönliche iPad, das die Azubis zur beruflichen und privaten Nutzung erhalten. Und Becker + Flöge behält den Nachwuchs in der Regel im Haus. „Allen geeigneten Azubis bieten wir eine Übernahme an, dies betrifft in der Regel 90 bis 100 Prozent unserer Auszubildenden“, erklärt Heindke. Sie ist sicher: „Attraktive Prämienprogramme, überdurchschnittliche Vergütungen und transparente Einsatzplanung machen uns zu einem geschätzten Arbeitgeber.“ Ein weiterer Schlüssel für den Erfolg: die gezielten Weiterbildungsmöglichkeiten, die klare Entwicklungsperspektiven aufzeigen. Das schaffe eine Atmosphäre der Wertschätzung jedes Einzelnen und sei Grundlage für gelungene Arbeitsverhältnisse. „Zusätzlich sind wir in Niedersachsen so gut vertreten, dass bei einem Umzug der Einsatz in einem anderen Becker+Flöge-Geschäft häufig möglich wäre“, ergänzt Heindke. Die größte Herausforderung sieht sie darin, den Beruf wieder aufzuwerten. „Durch die Discountstrategien der letzten Jahre hat die Wertschätzung für den Beruf des Augenoptikers stark gelitten. Unsere Aufgabe ist es, die Bedeutung der professionellen Beratung wieder in den Vordergrund zu rücken.“ Dafür seien die Becker+Flöge-Betriebe mit ihrer modernen Ausstattung für den Nachwuchs ein idealer Ort, an dem Raum für persönliche Entfaltung gegeben sei.

Individuelle Förderung schafft langfristiges Vertrauen

Ein Blick auf die Strategien der beiden Unternehmen zeigt, dass man sich mit einer Mischung aus Innovation, Kreativität und gezielter Nachwuchsförderung eine vorteilhafte Position auf dem Arbeitgebermarkt erarbeiten kann. Dabei wird ersichtlich, dass heute nicht nur Prämien beim Nachwuchs punkten. Durch die individuelle Förderung seiner Azubis und Mitarbeitenden schaffen kleinere Filialisten wie Viehoff und Becker + Flöge langfristig Vertrauen und Teamgefühl. Dieses Teamgefühl, dass die Mitarbeiter verstärkt an „ihre“ Betriebe bindet, scheint ein wesentlicher Bestandteil dafür zu sein, dass sowohl Becker + Flöge als auch die Viehoff Gruppe trotz des Fachkräftemangels weniger Vakanzen haben als manche Kollegen. Gewissermaßen also scheinen sich die Azubis dort teilweise wirklich wie im Wunderland zu fühlen.