Mehr Fachkompetenz für mehr Verantwortung Neue Verordnung zur Meisterprüfung im Augenoptiker-Handwerk
30.10.2025
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Die neue Meisterprüfungsverordnung rückt Praxisnähe und fachliche Kompetenz stärker in den Fokus – etwa durch die Situationsaufgabe und die verpflichtende Kontaktlinsenanpassung. Zudem können fachliche Schwächen nicht mehr so leicht ausgeglichen werden.
Erstveröffentlicht in der DOZ 11|25
Nach fast zwei Jahrzehnten wurde die Meisterprüfungsverordnung im Augenoptiker-Handwerk grundlegend reformiert. Die neuen Regelungen, die ab Juli 2026 gelten, stellen die fachliche Kompetenz stärker in den Mittelpunkt: Schwächen in einem Prüfungsbereich lassen sich künftig nicht mehr ausgleichen, die Kontaktlinsenanpassung wird verpflichtend geprüft. Die DOZ traf den ZVA-Präsidenten Christian Müller und Dirk Schäfermeyer, den Abteilungsleiter im Bereich Berufsbildung beim Zentralverband der Augenoptiker und Optometristen (ZVA), zum Interview darüber, wie die Reform entstand, welche Reaktionen sie hervorruft und warum sie die Zukunft des Berufs sichert.
Herr Müller, warum war es notwendig, die Meisterprüfungsverordnung zu überarbeiten – war die bisherige aus Ihrer Sicht überholt oder sogar eine Bremse für den Berufsstand?
Christian Müller: Meisterprüfungsverordnungen sollten im Handwerk regelmäßig überarbeitet werden – eigentlich alle zehn Jahre. Die bisherige Verordnung galt fast 20 Jahre. Der technologische Fortschritt und die veränderten Anforderungen mussten endlich berücksichtigt werden. Zudem konnten bislang schwache fachliche Leistungen durch gute betriebswirtschaftliche Teile ausgeglichen werden. Das war uns ein Dorn im Auge, denn ein Augenoptikermeister muss fachlich überzeugen.
Welche Rolle hat der ZVA im Reformprozess gespielt? Gab es in Politik oder branchenintern Gegenstimmen?
Müller: Hauptpartner im Verfahren war die IG Metall, die die Reform von Beginn an unterstützt hat. Die Ministerien Wirtschaft, Gesundheit, Justiz und Bildung waren am Ende ebenfalls einverstanden. Kritik kam im Wesentlichen von Seiten der Augenärzte, die Begriffe wie „Anamnese“ problematisch fanden. Doch unsere Argumentation, dass Augenoptiker Auffälligkeiten erkennen und Patienten gegebenenfalls weiterverweisen, hat letztlich überzeugt.
Dirk Schäfermeyer: Der ZVA war Motor des Prozesses. Ein breit besetzter Arbeitskreis aus Praktikern, Handwerkskammern und Sozialpartnern hat den Entwurf erarbeitet. Die Verordnung wurde im Juli diesen Jahres im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und tritt am 1. Juli 2026 in Kraft.
Künftig gehört die vollständige Kontaktlinsenanpassung zur praktischen Prüfung. Was sagen Sie Betrieben, die dieses Thema kaum bedienen?
Müller: Ein Meistertitel berechtigt zur vollumfänglichen Berufsausübung – ob Brillenoptik, Kontaktlinsen oder Low Vision. Deshalb muss jeder Meister und jede Meisterin die Kontaktlinsenanpassung beherrschen. Auch wer später keinen Schwerpunkt darauf legt, braucht diese Kompetenz für die Beratung und Kundenversorgung. Mit der neuen Meisterprüfungsverordnung ist klar geregelt, dass Refraktion und Kontaktlinse im praktischen Prüfungsteil unabhängig voneinander geprüft werden. Die meisten Meisterprüfungskommissionen haben das bereits zuvor so gehandhabt, nun ist es auch gesetzlich so festgeschrieben.
Schäfermeyer: Die Kontaktlinsenanpassung war bereits Bestandteil der Prüfung, nur mit einer Ausweichmöglichkeit (dem Verglasen einer Brille, Anm. d. Red.). Die wurde gestrichen, es bleiben jetzt nur die Refraktionsbestimmung und Kontaktlinsenanpassung.
ZVA-Präsident Christian Müller weist darauf hin, dass die Reform die Attraktivität des Berufs steigert, weil sie Entwicklungsmöglichkeiten und Verantwortung sichtbarer mache.
Warum war es wichtig, die Kontaktlinse stärker in den Fokus zu nehmen?
Müller: Eigentlich war sie immer im Fokus. Aber jetzt ist klargestellt, dass sie zwingend geprüft wird. Nur so ist sichergestellt, dass Meister in diesem Bereich handlungsfähig sind. Und letztendlich greift ja alles ineinander. So sind Augenoptikermeister berechtigt, gegenüber gesetzlichen Krankenversicherungen Kontaktlinsen abzugeben. Und was viele unterschätzen: Für Kundinnen und Kunden mit mehr als 8 Dioptrien Fehlsichtigkeit ist die feste Kontaktlinse die zuerst anzupassende Kontaktlinse. Deshalb ist es die Anpassung einer festen Kontaktlinse, die in der Meisterprüfung vorgeschrieben ist.
Schäfermeyer: Kontaktlinsenanpassung ist eine originäre Kompetenz der Augenoptikermeister. Niemand sonst bietet sie in diesem Umfang an. Und wir haben im Grunde nur diese eine Prüfung, die dann zu allem berechtigt. Insofern muss darin fachlich auch alles enthalten sein. Die Brillenanfertigung entfällt als Prüfungsbestandteil.
Ist das ein Bruch mit der Tradition?
Schäfermeyer: Nein. Die Brillenanfertigung ist Teil der Gesellenprüfung. Sie in der Meisterprüfung erneut zu prüfen, wäre nicht sinnvoll. Der Meister muss Brillen kontrollieren und deren Abgabefähigkeit beurteilen können – diese Kompetenzen bleiben enthalten.
Mit der neuen Situationsaufgabe wird die Praxisnähe betont. Werden die Prüfungen dadurch nicht subjektiver und schwerer vergleichbar?
Schäfermeyer: Im Gegenteil. Durch die Situationsaufgabe wird ein breiteres Spektrum erfasst. Zudem können verschiedene Prüfer einzelne Teile abnehmen, was eher zu mehr Objektivität führt.
Alte vs. neue Meisterprüfungsverordnung Augenoptik
Struktur der Handlungsfelder (Teil II – Fachtheorie)
Alt (2006): 4 Handlungsfelder – Physiologie des Sehens, Versorgung mit Sehhilfen, Auftragsabwicklung, Betriebsführung & Organisation
Neu (2025): 3 Handlungsfelder – Kundenanforderungen analysieren & Lösungen anbieten (inhaltlich teilweise erweitert); Leistungen erbringen, kontrollieren & übergeben (Inhalte vertieft); Betrieb führen & organisieren (Inhalte aktualisiert) – Betriebswirtschaft bleibt, entfällt aber als eigenständiges Feld
Praxisprüfung (Teil I)
Alt: Meisterprüfungsprojekt (wahlweise Kontaktlinsen anpassen oder Brille anfertigen) + Fachgespräch
Neu: Meisterprüfungsprojekt (immer Kontaktlinsenanpassung) + Fachgespräch + Situationsaufgabe; Brillenanfertigung entfällt:
Regelungen zum Bestehen
Alt: Teil I bestanden, wenn Projekt & Fachgespräch je ≥ 30 Punkte und Gesamtergebnis ≥ ausreichend.BTeil II bestanden, wenn Gesamtergebnis ≥ ausreichend und kein Handlungsfeld < 30 Punkte. Mündliche Ergänzungsprüfung in einem Handlungsfeld möglich, wenn diese das Bestehen des Teil II der Meisterprüfung mit < 50 Punkten ermöglicht.
Neu: Teil I bestanden, wenn Projekt, Fachgespräch und Situationsaufgabe je ≥ 30 Punkte und GesamtergebnisB≥ ausreichend. Teil II bestanden, wenn alle Handlungsfelder ≥ 30 Punkte, nach Ergänzungsprüfung höchstens ein Handlungsfeld < 50 Punkte. Schwächen im fachlichen Bereich lassen sich weniger gut kompensieren.
Die Gewichtung der Kernbereiche bedeutet, dass ein schwacher Prüfungsteil nicht mehr so leicht kompensiert werden kann – erhöht sich damit nicht auch das Risiko, durchzufallen?
Schäfermeyer: Eine Meisterprüfung muss die hohe Qualität im Beruf sichern. Wer später selbstständig arbeiten darf, muss fachlich kompetent sein.
Müller: Qualität hat Vorrang. Ein Meister mit schwachen Grundlagen kann auch keine guten Auszubildenden hervorbringen.
Die neue Verordnung spiegelt also die gestiegene Verantwortung der Augenoptikerinnen und Augenoptiker für die Augengesundheit wider und wertet zudem den gesamten Beruf noch einmal auf?
Müller: Ja, das tut sie eindeutig.
Schäfermeyer: Die Stärkung der optometrischen Kompetenzen – Untersuchung des vorderen und hinteren Augenabschnitts, Prävention und Gesundheitsvorsorge – macht die Verantwortung des Berufs deutlich sichtbar.
Wie schätzen Sie die neue Meisterverordnung im Kampf gegen den Fachkräftemangel ein?
Müller: Sie steigert die Attraktivität des Berufs. Wer sieht, dass er sich fachlich weiterentwickeln und mehr Verantwortung übernehmen kann, bleibt eher im Beruf. Wir bilden genug Gesellen aus – entscheidend ist, sie im Beruf zu halten.
Wird die neue Verordnung die Attraktivität der Meisterausbildung steigern?
Müller: Ja. Anspruchsvolle Prüfungen zeigen, dass sich der Weg lohnt. Das steigert Selbstbewusstsein und Motivation – und macht den Beruf für den Nachwuchs interessanter. Was der Augenoptikermeister kann, kann nur der Augenoptikermeister. Und gut ausgebildete Augenoptikermeister geben die Begeisterung für den Beruf dann am besten an Auszubildende weiter.
Was bedeutet die neue Prüfungsverordnung für die Meisterschulen? Müssen diese ihre Lehrpläne stark anpassen?
Schäfermeyer: Ab Juli 2026 wird nach neuer Verordnung geprüft. Die Schulen haben ausreichend Zeit, Inhalte und Ausstattung anzupassen. Der neue Rahmenlehrplan bietet dafür konkrete Orientierung.
Wann wird denn der neue Rahmenlehrplan erscheinenund worauf können sich zukünftige Meisterschülerinnen sowie Betriebe darin besonders einstellen?
Schäfermeyer: Wenn dieses Interview erscheint, sollte er eigentlich bereits vorliegen; die Veröffentlichung ist/war für Mitte Oktober geplant. Der Lehrplan konkretisiert die Verordnung und enthält Empfehlungen zu Inhalten, Ausstattung und Lehrmethoden. Für Meisterschulen bedeutet das eine klare Orientierung – große Umbrüche sind nicht zu erwarten und die empfohlene Gesamtdauer für die Vorbereitungskurse bleibt erhalten.
Dirk Schäfermeyer hebt hervor, dass die neue Situationsaufgabe Praxisnähe schafft und die Objektivität der Prüfungen erhöht.
In der Branche wird nicht selten kritisiert, dass die Meistervorbereitung und die Meisterprüfung junge Menschen nicht ausreichend darauf vorbereiten, einen Betrieb zu führen. Kommt das Unternehmertum zu kurz?
Müller: Die betriebswirtschaftliche, kaufmännische und rechtliche Prüfung (Teil III) ist im Hauptteil für alle Berufe gleich geregelt – und diese Inhalte liegen nicht in unserer Verantwortung, sondern beim ZDH und den Handwerkskammern. Die Verordnung für diesen Teil besteht seit dem Jahr 2011. Modernes Controlling ist darin nicht aufgenommen. Hier sehe ich tatsächlich Reformbedarf, aber nicht bei der neuen Meisterprüfungsverordnung unseres Fachs. Wer möchte, kann die Teile 3 und 4 übrigens unabhängig von den fachlichen Prüfungsteilen ablegen und sich diese für die Meisterprüfung anrechnen lassen.
Schäfermeyer: Betriebswirtschaft speziell für die Augenoptik ist wichtig, aber sie gehört nicht allein in den fachlichen Teil der Meisterprüfung. Dort geht es um die Versorgung im Bereich Refraktion, Kontaktlinsenanpassung, Low Vision. Natürlich müssen junge Menschen besser auf eine Selbstständigkeit in unserem Beruf vorbereitet werden – Themen wie Betriebsübernahme, Finanzierung oder die Verantwortung als Unternehmer kommen bisher viel zu kurz. Hier sind zusätzliche Fortbildungen und Impulse in den Meisterschulen, den Fachschulen und an den Hochschulen gefragt, die wir auch klar einfordern.
Wird es zukünftig für Augenoptikermeister eine Fortbildungspflicht wie in anderen Gesundheitsberufen geben?
Müller: Einmal Meister, immer Meister – das gilt genauso wie bei Juristen oder Ärzten. Eine gesetzliche Fortbildungspflicht gibt es bei uns nicht. Denkbar wäre aber, die leidige Präqualifizierung durch eine Fortbildungspflicht gegenüber den Krankenkassen zu ersetzen. Das hieße: Jeder Betrieb müsste in gewissen Abständen Fortbildungspunkte nachweisen, um weiterhin lieferberechtigt zu sein. Das wäre aus unserer Sicht sinnvoll.
Die neue Meisterprüfungsverordnung setzt den Schwerpunkt damit auf optometrische Fachkompetenz. Das Bestehen erfordert künftig in allen Teilbereichen solide Leistungen – Ausgleichsmöglichkeiten wie früher wurden komplett überarbeitet. Das neu konzipierte Handlungsfeld III und die zugehörigen Empfehlungen im neuen Rahmenlehrplan wurden an modere Anforderungen im Betrieb angepasst. Laut Dirk Schäfermeyer spielt darin erstmals auch die strategische Unternehmensführung eine wichtige Rolle. Die Prüfung selbst fokussiert künftig klarer die fachliche Kompetenz. Ein Schritt, den der ZVA begrüßt.
Aufbau der neu eingeführten Situationsaufgabe
Mit der neuen Meisterverordnung hält die Situationsaufgabe Einzug in die praktische Prüfung. Sie stellt eine realitätsnahe Fallprüfung dar, bei der Meisteranwärterinnen und -anwärter ihr Können im gesamten Spektrum der Augenoptik zeigen müssen.
Praxisbezug: Eine Kundin oder ein Kunde mit Sehproblemen wird vorgestellt – die Aufgabe umfasst Anamnese, Refraktion, optometrische Untersuchungen und die Beurteilung von Brillen oder Kontaktlinsen.
Komplexität: Mehrere Teilbereiche fließen zusammen. Neben Messungen und Analysen wird erwartet, dass die Kandidaten ihre Vorgehensweise fachlich begründen.
Bewertung: Neben den Untersuchungsergebnissen zählen Kommunikation und Beratungskompetenz. So wird die Fähigkeit geprüft, fachliche Expertise in eine verständliche Empfehlung für die Kundschaft zu übersetzen.
Ziel: Die Situationsaufgabe stärkt die Praxisnähe und macht deutlich, dass Augenoptikermeisterinnen und -meister reale Problemstellungen ganzheitlich lösen können. Die Teilbereiche der Situationsaufgabe werden jeweils gesondert gewertet.