AKTUELL
DOZ
09 | 2016
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Er kommt! Sicher. Früher oder später wird Fielmann seine Brillen
im Internet verkaufen. Der Onlineshop des Branchenriesen wird
aber unabhängig vom Zeitpunkt seiner Premiere allenfalls nur
noch ein Nachbeben in der Augenoptik auslösen. Schon jetzt
haben die Magnituden ein Maß erreicht, das die stationären
Kollegen erzürnt. Andererseits blicken sie hoffnungsvoll auf all
das, was noch auf sie zukommen mag. Hoffnungsvoll, dass der
„9-Fakten-Brief“, der von Essilor an alle seine Kunden geschickt
wurde, mehr ist als der Versuch, ein „No-Go“ salonfähig zu
machen. Schließlich, so ähnlich klingt es aus Freiburg, trete das
Unternehmen nur auf den ersten Blick in den Wettbewerb zu den
stationären Partnern; im zweiten Schritt rette oder zumindest
bewahre es deren Existenz(berechtigung).
Letztlich schwingt gar die Hoffnung mit, dass der ungeliebte
große Bruder aus Hamburg ein weiteres Mal einen Pflock in die
Branche ramme, der alle anderen Mitstreiter in die Schranken
weist: damit sich der Otto-Normal-Augenoptiker endlich wieder
gezielt auf seinen Konkurrenten einstellen und der Verbraucher
endlich verstehen kann, was er online beim Brillenkauf erwarten
darf – und was eben nicht! Günther Fielmann und mit ihm die
Verantwortlichen des Unternehmens werden nicht müde zu beto-
nen, man könne jederzeit online gehen, wolle aber zunächst unter
anderem den Markt weiter unter die Lupe nehmen. Da werden sie
in den kommenden Wochen und Monaten ein bisschen was zu
tun bekommen, gerade als alle dachten, die Onlinehändler hätten
ein Einsehen und bemühten sich um ihre Daseinsberechtigung
auf dem stationären Markt.
Teilung in stationär und online hat
zukünftig keine Berechtigung mehr
Die augenoptische Brache in stationär und online zu teilen, hat
in der Zukunft keine Berechtigung mehr. Diese Zukunft mag
ohne den virtuellen Einkaufskorb bei Fielmann noch ein Stück
weit entfernt sein, aber der neue Onlineshop von Apollo und die
Aktivität des in dieser Hinsicht „kaufwütigen“ Brillenglas-Gigan-
ten Essilor sind gewiss viel mehr als Vorbeben. Die Aussagekraft
der Übernahme der MyOptique Group und deren Onlineshops
durch Essilor leidet jedoch unter der Wucht der Erkenntnis, dass
der Weltmarktführer der Brillenglaslieferanten plötzlich ganz
offen und ungeniert zum Wettbewerber seiner treuen Kunden
avanciert – „im ersten Schritt“. Ganz ähnlich verhält sich das bei
der 1935 eingeführten Richter-Skala, je heftiger das Beben, desto
ungenauer die Messung. Charles Richter führte mit der Magni-
tude dieses Maß für die Erdbebenstärke ein, die Augenoptik ist
derweil noch auf der Suche nach der Qualität, die überhaupt mit
dem Onlinekauf einer Brille erreicht werden kann.
Mag sein, dass die Essilor-Gruppe letztlich Gutes im Schilde führt:
auch für ihre Kunden, und damit sind an dieser Stelle zunächst
noch die Augenoptiker gemeint. Die Abschaltung des Online-
shops
eyebuydirect.de(wohlgemerkt: es ist nur der deutsche
Shop offline) wirkt dennoch nicht nur wie eine Nebelkerze für
die weitaus explosivere Meldung wenige Tage später. Es wirkt
auch ein bisschen planlos und könnte die neuerliche Runde in
der Warteschleife im hohen Norden vor der perfekten Landung
erklären. Essilor bleibt im Gegensatz zu Fielmann jedoch alles
andere als tatenlos und übernimmt „mal eben“ die MyOptique
Group, ehe jemand branchenfremdes auf diese Idee kommt und
plötzlich mit Brillen nur noch Geld verdienen möchte.
Brille: Online.
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