Corona-Krise: Interview mit Mido-Präsident

Mido-Präsident Giovanni Vitaloni
Die DOZ sprach mit Giovanni Vitaloni, Präsident der Mido, über die schwere Entscheidung die italienische Fachmesse abzusagen.
© DOZ / Angela Mrositzki

Die Mido hat die Konsequenzen aus der andauernden Corona-Krise gezogen: Wie die Organisatoren am 02. April bekannt gaben, wird die Brillenmesse nach der zunächst angekündigten Verschiebung auf Anfang Juli in diesem Jahr nun doch nicht stattfinden können. Als neuer Termin wurden das Datum vom 06. bis 08. Februar 2021 festgesetzt. Im kommenden Jahr soll auch das 50. Mido-Jubiläum feierlich nachgeholt werden.

Im Interview mit der DOZ sprach Mido-Präsident Giovanni Vitaloni über die schmerzhafte, aber aus Sicht der Verantwortlichen notwendige Entscheidung, über deren Konsequenzen und die Perspektiven für Aussteller und Besucher.                      

DOZ: Giovanni Vitaloni, wie haben Sie persönlich diese Wochen seit dem Beginn der Krise in Europa und speziell in Italien erlebt?

Giovanni Vitaloni: Die medizinische und gesundheitliche Ausnahmesituation, hervorgerufen durch das Covid-19 Virus, hat uns mit großer Besorgnis erfüllt, und natürlich waren wir uns unser großen Verantwortung bewusst. Italien war das erste europäische Land, das durch die Krise schwer getroffen wurde. Seit dem 21. Februar, dem Tag, an dem der erste Infektionsfall in unserem Land bekannt wurde, haben wir unsere Überlegungen an die sich täglich verändernden Szenarien angepasst. Vom Beginn der Krise an haben alle Mitarbeiter unermüdlich daran gearbeitet, ein neues Messedatum zu ermitteln, um den Anforderungen der Branche gerecht zu werden.

Wie sind Sie und das Team der Mido mit der Krise umgegangen, auf welcher Basis haben Sie Ihre Entscheidungen getroffen?

Es gab mehrere Phasen. Im Januar wurden wir zunächst mit dem Auftreten des Virus in China konfrontiert, die daraus notwendige Entscheidung war die Absage an die Aussteller im asiatischen Pavillon. Am 21. Februar, mit der ersten Infektion in Italien, war uns bewusst, dass es nicht mehr möglich gewesen wäre, im Rahmen einer Messe die Sicherheit für Aussteller und Besucher zu garantieren. Deshalb haben wir den Institutionen vorgegriffen und beschlossen, die Mido zu verschieben.

Mido im Jahr 2019
Erst verschoben, dann abgesagt: Die Mido sollte Ende Februar stattfinden, aber wegen des Coronavirus wurde die Messe auf den Sommer verschoben. Nun wurde der internationale Branchentreff für 2020 abgesagt. © Mido

Innerhalb weniger Tage wurden die Daten für den Monat Juli festgelegt und mitgeteilt. Anfang Juli schien da noch ein der Situation angepasster geeigneter Zeitraum. Nach der Verschärfung des Notstands in Italien sowie in anderen Ländern Europas und auf der ganzen Welt mussten wir dann doch eine noch rigorosere Entscheidung treffen und die 50. Mido auf den Februar 2021 verschieben.

Unser Verantwortungsbewusstsein als Unternehmer, vor allem aber die humane Verantwortung für unsere Familien, unsere Kinder, unsere Kollegen zwang uns zu dieser Entscheidung – vor die wir nie hätten gestellt werden wollen, und schon gar nicht in diesem besonderen Jahr des 50-jährigen Jubiläums der Mido. Die gegenwärtige Situation, von der Experten leider annehmen, dass sie sich kurzfristig nicht wesentlich verändern wird, erlaubt keine Veranstaltung dieser Art. Zumal wir meinen, dass die 50. Mido es verdient hat, dass wir sie gemeinsam und mit einem vollkommen anderen Spirit begehen können. An ihrer Vorbereitung haben wir hart gearbeitet und werden dies weiterhin tun, aber die Situation zuletzt erforderte mutige und klare Entscheidungen.

Hat die Mido direkt mit Ausstellern gesprochen, welche Reaktionen gab es von den Teilnehmern?

Die Reaktion aller Teilnehmer sowie der beteiligten Organisationen war verständnisvoll und empathisch. Es ist ja jedem klar, dass eine Veranstaltung wie die Mido, die erhebliche logistische Herausforderungen und Investitionen mit sich bringt, nicht einfach kurzfristig durchzuführen ist. Wir haben einen Verwaltungsrat, der alle Bereiche quer durch unsere Branche repräsentiert, von den großen Industrieunternehmen über die kleinen und mittelständischen Betriebe bis zu den Herstellern und Zulieferern von Komponenten etc. Alle sehen sich in der Verantwortung und haben diese Entscheidung verstanden und befürwortet, obwohl sich auch alle der unvermeidlichen Auswirkungen bewusst sind. Und es herrschte ebenso absolute Einigkeit darüber, dass wir alles in unserer Macht stehende tun müssen, um den Schaden einzudämmen.

Welchen Folgen hat die Absage der 50. Edition für die Mido und wie werden diese aufgefangen? Wurde eine Verschiebung auf den Spätsommer oder Spätherbst zuletzt ausgeschlossen?   

Die Folgen sind schwerwiegend sowohl für die Messe als wirtschaftliches Unternehmen als auch für die gesamte augenoptische Branche, da es nicht möglich war, die neuen Brillenkollektionen, Innovationen und neue Technologien im Glasbereich sowie Werkzeuge und Maschinen vorzustellen. Mido ist die internationale Referenzmesse für die Branche und repräsentiert die Leistungsstärke der italienischen und auch der internationalen Brillenproduktion. Speziell in Italien ist dies eine wichtige Ressource für die Wirtschaft des Landes.

Besucher auf der Mido 2019
Ein Bild, das es in diesem Jahr nicht zu sehen geben wird: Die Mido wird erst
2021 wieder stattfinden. © Mido

Anhand der Zahlen der Besucherfrequenz 2019 (59.500) und der Anzahl der Aussteller (1323) lässt sich unmittelbar ablesen, wie groß der Schaden sein wird und wie sehr wir unsere zukünftigen Aktivitäten intensivieren müssen, um eine schnelle Erholung der Branche zu ermöglichen. Italien exportiert ja rund 90 Prozent seiner Produktion, hauptsächlich tragen dazu kleine und mittlere Unternehmen bei, für welche die Umsatzverluste auf rund 50 Prozent geschätzt werden. Wobei die Prozentsätze für diejenigen, die vornehmlich den inländischen Markt bedienen, vermutlich noch höher liegen. Denn obwohl die Augenoptik zu der Kategorie von Läden gehört, die weiterhin geöffnet bleiben durften, haben viele Geschäfte geschlossen, da die aktuelle Nachfrage gleich Null ist. Viele Unternehmen entschieden sich sogar, ihre Produktion auf die derzeitigen Anforderungen des Gesundheitswesen umzustellen, indem sie Schutzbrillen und -masken herstellen. Auf diese Weise wird versucht, einerseits einen sinnvollen Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten, aber eben auch die Produktion zu retten. Ich kann mir vorstellen, dass auch andere Länder diesen Maßnahmen folgen werden.

Wir müssen so schnell wie möglich wieder aufbauen, was in diesen schwierigen Monaten verloren gegangen ist. Hier kann die Mido eine grundlegende Rolle spielen und eine Allianz zwischen Ausstellern und Besuchern in einem Klima des Vertrauens schaffen. Der Motor, der jetzt ausgeschaltet ist, muss neu gestartet werden, damit jeder die Möglichkeit hat, seine Produkte zu präsentieren. Deshalb denken wir bereits über einen Neustart nach.

Hätte ein alternatives Datum 2020, beispielsweise am Ende des Sommers oder Herbstes, keinen Sinn mehr gemacht?

Wir haben lange darüber nachgedacht, aber uns entschlossen, die 50. Ausgabe auf das kommende Jahr zu verschieben. Die Mailänder Messe hat bereits eine volle Agenda, denn es wurden auch andere Veranstaltungen in diese Zeit verschoben. Zudem wollen wir keinen Bruch im traditionellen Veranstaltungskalender der Optikbranche verursachen und damit die Unternehmen vor noch weitere problematische Entscheidungen stellen, insbesondere nach einer Krise wie dieser. Denn wir müssen berücksichtigen, dass für Anfang Oktober die Silmo auf dem Programm steht. Ebenso schien es uns wenig sinnvoll, innerhalb weniger Monate zwei Ausgaben der Mido durchzuführen.

Das neue Datum ist nun wieder nahe an der Opti 2021, exakt einen Monat später. Ist es für europäische Unternehmen sinnvoll, dass zwei große Messen zeitlich so dicht beieinander liegen?

Die Opti hat vornehmlich den deutschen Markt als Referenz, die Mido hat eine weitaus größere internationale Reichweite, weshalb wir in der Nähe der beiden Veranstaltungen kein Problem sehen. Das Messedatum auf Anfang Februar 2021 vorzuziehen, war ein Wunsch diverser Aussteller, die es für den Wettbewerb für vorteilhaft halten, ihre Neuheiten früher als gewohnt dem internationalen Markt zu präsentieren. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Mido auf diese Weise außerhalb der Modewochen stattfinden wird, mit dem Vorteil geringerer Kosten für Aussteller und Besucher und einer noch größeren Sichtbarkeit in der Berichterstattung der Medien.

Die Corona-Krise wird die Welt verändern. In die Zukunft gedacht: Welche möglichen Konsequenzen können Sie sich für die Mido vorstellen?

Ich glaube, dass diese Krise viele wirtschaftliche und soziale Aspekte unseres Lebens verändern wird. Entscheidungen werden zukünftig noch mehr von der Vernunft und einem geschärften Bewusstsein bestimmt werden. Es geht darum, konkret zu sein, das Überflüssige zu eliminieren. Die sozialen Beziehungsebenen werden sich verändern, wir müssen uns auf neue Lebensbedingungen einstellen. Aber der Mensch hat sich immer angepasst. Ich denke, wir sind in der Lage, unsere Gewohnheiten zum Schutz unserer Sicherheit zu verändern. Unser Arbeitsleben betreffend könnte ich mir vorstellen, dass wir uns mehr auf Berater oder Berufsverbände verlassen werden, die darauf vorbereitet sind, im wirtschaftlichen Bereich auf neue Bedürfnisse zu reagieren.

Die Mido 2021 wird möglicherweise nicht die gleiche sein, wie die letzte Messeedition. Vielleicht müssen wir akzeptieren, uns durch Handschuhe und Masken zu schützen. Aber die Messen in unserer Branche werden weiter bestehen, für den Markt haben sie eine grundlegende Bedeutung. Darüber hinaus stelle ich mir die zunehmende Implementierung digitaler Kanäle vor. Während wir uns mit der Mido auf die Edition 2021 vorbereiten, wurde bereits die Plattform MIDO4U geschaffen, die Ausstellern und Besuchern die Möglichkeit gibt, in direkten Kontakt zu treten.

Die Fragen stellte Angela Mrositzki