„Interdisziplinäre Optometrie“

Cover "Interdisziplinäre Optometrie"
Das Fachbuch "Interdisziplinäre Optometrie" ist ab sofort im DOZ-Shop erhältlich.
© DOZ

600 Seiten. Dr. Michaela Friedrich ist nach eigener Aussage „sehr glücklich, dass das Buch jetzt endlich fertig geworden ist“. Die Autorin von „Interdisziplinäre Optometrie. Visuelle Störungen im Zusammenhang mit Störungen in anderen Teilsystemen und im Gesamtsystem Mensch“ hat vier Jahre an ihrem Werk gearbeitet, von dem sie hofft, dass es mit seinem neuen, fachübergreifenden Ansatz „die deutschen Augenoptiker und Optometristen anspricht.“

Das sollte es, denn mit diesem Buch wird es für Augenoptiker / Optometristen möglich, ihr Wissen um interdisziplinäre Aspekte – zum Beispiel aus dem Bereich der Ergo- oder Physiotherapie – zu erweitern und verantwortungsvoll in der Praxis einzusetzen. Es soll als Unterstützung dienen, sodass der Augenoptiker oder Optometrist gegebenenfalls auch während der optometrischen Untersuchung nachschlagen kann, welche Untersuchungen und welches Management er aufgrund bestimmter Symptome vorschlagen kann. Damit soll eine interdisziplinäre Befunderhebung und Versorgung von Menschen mit komplexen Störungen unter visueller Beteiligung ermöglicht werden. Ein Buch mit hohem Nutzwert also, zu dessen Erscheinen im DOZ-Verlag Daniela Zumpf mit der Autorin sprach.

Manuela Friedrich
Manuela Friedrich ©privat

DOZ: Mit welchem Ziel haben Sie das Buch geschrieben?

Dr. Michaela Friedrich: In der multimedialen Welt von heute werden sehr hohe Anforderungen an das visuelle System gestellt. Häufig kommt es zu Überbelastungen. Reine Fehlsichtigkeiten können hier zusätzlich belasten, häufiger entstehen jedoch Binokularstörungen. In vielen Fällen treten diese jedoch nicht isoliert auf, sondern stehen im Kontext mit anderen Störungen, zum Beispiel Entwicklungsstörungen, Lese-Rechtschreib-Problemen oder Symptomen durch Stress oder durch dauerhafte Tätigkeiten an Bildschirmen und Displays. In der augenoptischen Praxis ist der Visus aber nach wie vor fast immer die wesentliche Messgröße zur Bewertung der Leistungsfähigkeit des visuellen Systems. Veränderungen des Sehens werden zumeist nicht erfasst. Ich wollte gerne das Wissen weitergeben, das ich mir in den letzten Jahren zu visuellen Störungen und Störungen in anderen Teilsystemen und im Gesamtsystem Mensch angeeignet habe, im Besonderen aus einer interdisziplinären Betrachtung. Mein Ziel war also ein Praxisbuch zu komplexen Störungen mit visueller Beteiligung, deren Analyse und Versorgung.

Was sind die Kernaussagen Ihres Buches?

Erstens: Sehen ist zeitlebens ein veränderlicher Prozess. Zweitens: Visuelle Störungen können im Zusammenhang mit anderen Störungen stehen. Und drittens: Eine Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen ist bei komplexen Störungen unabdingbar.

Wie lange haben Sie an diesem Buch gearbeitet?

Es sind zum Schluss fast 600 Seiten geworden – über vier Jahre, wobei ich auf dem Gebiet mittlerweile schon über 13 Jahre arbeite und die Ergebnisse und Erfahrungen meiner praktischen und wissenschaftlichen Tätigkeit natürlich mit eingeflossen sind.

Was erwartet den Leser von „Interdisziplinäre Optometrie“?

Ein Einblick in andere Fachdisziplinen, deren Methoden und Anwendungsgebiete sowie fundiertes Wissen zu komplexen Störungen mit visueller Beteiligung, das über die klassische Augenoptik und Optometrie hinausgeht.

Wurde die interdisziplinäre Betrachtungsweise von visuellen Störungen bisher ignoriert?

Meines Erachtens schon. Die traditionelle deutsche Augenoptik enthält ein solides Grundlagenwissen zu Fehlsichtigkeiten und deren Korrektion. Die angloamerikanisch geprägte Optometrie beschäftigt sich mit Binokularstörungen sowie darauf abgestimmten Versorgungen. Damit kann Menschen mit visuellen Störungen ein entsprechendes Management angeboten werden. Wie eingangs erwähnt, treten heutzutage visuelle Störungen jedoch selten isoliert auf. Veränderungen des Sehens und komplexe Störungen mit visueller Beteiligung werden in der klassischen Augenoptik in Deutschland nicht erfasst. Bisher liegen, vor allem im Bereich der Augenoptik, nur sehr wenige fundierte Erkenntnisse zu umweltbedingten Einflüssen auf das Sehen beziehungsweise Sehverhalten sowie zu visuellen Störungen und Störungen in anderen Teilsystemen oder im Gesamtsystem Mensch vor – und schon gar nicht aus einer interdisziplinären Betrachtung heraus.

Interessierte schmökern im Buch von Manuela Friedrich
Kaum erschienen, schin im Mittelpunkt des Interesses: Besucher des Augenoptischen Koloquiums
in Jena durften "Interdisziplinäre Optometrie" schon probelesen. ©Josefine Dolata

Ist Ihr Buch der erste Fachtitel, der die interdisziplinäre Betrachtung in der deutschen Forschung untersucht?

Das Buch ist meines Erachtens das erste Werk dieser Form, in dem wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse dargelegt werden und in dem Wissen aus anderen Fachgebieten transformiert und für die Optometrie erschlossen wird. Ich habe aber nicht nur Forschungsergebnisse aufgelistet: Mir geht es vor allem darum, was man aus diesen Erkenntnissen für die optometrische Praxis ableiten kann.

Würden Sie Ihr Buch als Pflichtlektüre für Augenoptiker und Optometristen bezeichnen? An welche Leser richtet sich Ihr Buch?

Ein Buch zur Kontaktlinsen anpassung wird sich nur jemand kaufen, der auch Kontaktlinsen anpasst. Es wäre schön, wenn es ein Standardwerk für die Optometrie wird. Derzeit werden diese Aspekte aber noch viel zu wenig berücksichtigt, nicht nur in Deutschland. Die Optometrie hat sich in Deutschland bis jetzt noch nicht so durchgesetzt, wie sie in angloamerikanischen Ländern praktiziert wird. Wenn wir das geschafft haben, wäre der nächste Schritt, seinen Horizont um interdisziplinäre Aspekte zu erweitern. In diesem Zusammenhang fällt mir ein, dass mir jemand mal gesagt hat, Optometrie sei nicht teilbar. Dem kann ich nur zustimmen, wobei die Standardausbildung und Ausübung der Optometrie meines Erachtens dann auch interdisziplinäre Aspekte einschließen müsste. Dafür arbeite ich täglich und hoffe, das Buch liefert hierfür einen wesentlichen Beitrag.


Michaela Friedrich, geboren 1977, studierte nach ihrer Augenoptikerlehre (1999 bis 2003) Augenoptik mit dem Abschluss als Dipl.­Ing. (FH) an der Fachhochschule Jena. 2006 / 07 absolvierte sie ein Masterstudium für Augenoptik / Optometrie an der TFH Berlin. Die Tätigkeit bei einem Optometristen in Manchester (Großbritannien) lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die internationale Optometrie. Seit vielen Jahren interessiert sie sich für Kinderoptometrie und interdisziplinäre Zusammenhänge des Sehens und promovierte 2013 zur „Interdisziplinären Optometrie“. Seit 2004 arbeitete sie in verschiedenen Projekten für Forschung, Lehre und Organisation an der Ernst­Abbe­Hochschule Jena in Kooperation mit JenALL e. V. im Fachgebiet Augenoptik / Optometrie / Ophthalmotechnologie / Vision Science. Michaela Friedrich ist seit 2004 Dozentin an der EAH Jena, ihr Schwerpunkt liegt auf der Analyse und dem Management von Menschen mit komplexen Störungen unter visueller Beteiligung.