Fachkräftemangel – Mythos oder reale Gefahr?

Augenoptiker in der Werkstatt
Der Fachkräftemangel macht der Branche zu schaffen.
© ZVA

„Wir finden keine Fachkräfte mehr.“ Fast täglich ist dieser Satz in der Branche zu hören. Der Fachkräftemangel ist real. In der aktuellen Engpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit (BA), die am 07. Juli veröffentlicht wurde, steht der Augenoptiker aber nicht drauf. Zwei Mal in Folge führte die BA (Dezember 2015 und Juni 2016) den Augenoptiker in der Fachkräfte­engpassanalyse auf. Schon fast unbemerkt wurde der Augenoptiker im Dezember 2016 von der Liste gestrichen.

[Update 10.07.207, 10:37 Uhr]

In der aktuellen Engpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit (BA), die am 07. Juli veröffentlicht wurde, steht der Augenoptiker nicht drauf. „Für Fachkräfte in der Medizintechnik, der Augenoptik oder der Zahntechnik ist derzeit kein Engpass feststellbar. Da berufliche Substitutionsmöglichkeiten innerhalb der Berufsgruppe zu der diese Fachkräfte gehören nicht gegeben sind  (z. B. zwischen Zahntechnik und Hörgeräteakustik), muss bei den genannten Berufen von einem Mangel ausgegangen werden, obwohl die Vakanzzeit für die gesamte Berufsgruppe die Engpassgrenze nicht erreicht (114Tage). Die berufsspezifische Arbeitslosenquote beträgt für die gesamte Berufsgruppe (Anm. d. Red.: Medizin-, Orthopädie- und Rehatechnik) 1,8 Prozent und für Hörgeräteakustiker 0,9 Prozent“, erklärt die BA in ihrer veröffentlichten Analyse.

Der Mangel. Laut Duden das (teilweise) Fehlen von etwas, was vorhanden sein sollte oder was gebraucht wird. Ein Mangel an der Fachkraft, also jemand, der innerhalb seines Berufs, seines Fachgebiets über die entsprechenden Kenntnisse, Fähigkeiten verfügt. Die Kräftenachfrage wächst auf hohem Niveau dynamisch weiter, meldete BA. Im April waren 706.000 Arbeitsstellen bei der BA gemeldet, 66.000 mehr als vor einem Jahr.

In den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) beklagen die Unternehmen schon seit langem einen Fachkräftemangel. In der Augenoptik fehlt es an Meistern, wie eine Analyse der BA im Juni 2016 feststellte. Laut der Behörde stellt die Engpassanalyse eine Möglichkeit dar, die aktuelle Fachkräftesituation zu bewerten. Sie basiert auf Statistikdaten der Agentur wie den gemeldeten Stellen und registrierten Arbeitslosen. Diese Daten bilden den Markt zu einem wesentlichen Teil ab, aber nicht vollständig: So wird nur etwa jede zweite offene Stelle an die Bundesagentur für Arbeit gemeldet.

Sechs Monate später stellte die Arbeitsagentur keine Indizien mehr fest, die eine erneute Aufnahme des Augenoptikermeisters in die Liste rechtfertigten. Die Branche klagt aber weiter über Probleme bei der Suche nach qualifiziertem Personal. Laut einer Online-Umfrage des Zentralverbandes der Augenoptiker und Optometristen (ZVA) haben vier von fünf befragten Betriebsinhabern Schwierigkeiten das gewünschte Personal zu finden. Drei von fünf Inhabern vertreten die Auffassung, dass der Fachkräftemangel die wirtschaftliche Entwicklung des eigenen Betriebes hemmt.

Keine Verbesserung in Sicht

Unternehmen finden immer schwerer Fachkräfte. Dabei gibt es aber große regionale Unterschiede (siehe Grafik 1: Es sind nur die Bundesländer aufgeführt, bei denen mehr als zehn Betriebe auf die Online-Umfrage geantwortet haben). In Hessen haben alle Betriebe, die Personal einstellen wollen, Probleme geeignetes Personal zu finden. In Rheinland-Pfalz und Bayern ist zwar das Problem unterdurchschnittlich ausgeprägt, allerdings haben immer noch mehr als 70 Prozent Probleme bei der Personalsuche. Nach den Forschern des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) ist branchenübergreifend keine Verbesserung in Sicht. In Westdeutschland geht voraussichtlich jeder dritte Arbeitnehmer in den kommenden 15 Jahren in Rente. In Ostdeutschland sind es in manchen Regionen sogar bis zu 42 Prozent. Im Osten wird sich die Lage wahrscheinlich noch schneller zuspitzen, denn dort können die Unternehmen auch überdurchschnittlich viele Ausbildungsplätze nicht besetzen. In einigen Regionen blieben 2016 bis zu 25 Prozent aller Lehrstellen unbesetzt.

Grafik Onlinebefragung des ZVAs über Personalsuche
Grafik 1: Mehr als 70 Prozent der befragten Unternehmen haben Probleme qualifiziertes Personal zu finden. (© Daniela Zumpf / DOZ)

Unisono wird in Deutschland aus den Prognosen eines erwartet starken Rückgangs der Menschen im Erwerbsalter ein steil ansteigender Mangel an Arbeits- und besonders Fachkräften abgeleitet. Richtig ist, dass hierzulande Fachkräfte knapper werden. Weniger Junge folgen auf die vielen Alten, die heute Schlüsselpositionen besetzen. Während der Fachmesse Opti stand dieses Thema auch auf dem Forum zur Diskussion. Mit dem Thema „Nachwuchssorgen in der Augenoptik: Woran liegt’s? Was können wir tun?“ beschäftigten sich Augenoptiker, Industrievertreter und Verbandsakteure (den ausführlichen Bericht finden Sie in der DOZ-Ausgabe 03 | 2017). Die Ausbildungszahlen steigen, aber die Berufseinsteiger bleiben nicht lange in der Branche. Nach Meinung der Gäste muss sich die Ausbildung wesentlich verbessern.

Augenoptiker auf  der Positivliste

Abhilfe könnte eine stärkere Mobilität von Auszubildenden und Arbeitslosen schaffen. Denn oft gibt es zwar geeignete Kandidaten und Fachkräfte – nur nicht immer in der Region, in der sie gesucht werden. So zeigt die branchenweite IW-Studie, dass deutschlandweit rund 42.700 Stellen besetzt werden könnten, wenn Arbeitslose und Jugendliche mobiler wären und das Bundesland wechseln würden. Deshalb sollte die Politik handeln und Arbeitslose bei Umzügen stärker unterstützen. Auch die Unternehmen können mehr tun. „Mittelständler müssen überregional suchen und Kandidaten bei der Wohnungssuche helfen“, sagt IW-Wissenschaftlerin Paula Risius.

Der Augenoptiker ist weiterhin auf einer Liste – der Positivliste. Positiv drückt nach Duden unter anderem Zustimmung und Bejahung aus. Mit positiv ist hierbei der Zugang zum Arbeitsmarkt außerhalb der EU gemeint. Die Bundesagentur für Arbeit veröffentlichte im Februar 2017 die offizielle Positivliste für Berufe, in denen Fachkräfte von außerhalb der EU Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt bekommen. Unternehmen aus den entsprechenden Berufsgruppen können ihren Fachkräftebedarf auch durch Arbeitnehmer von außerhalb der EU decken. Die BA führt darin insgesamt 34 Berufsgruppen auf, bei denen der Mangel an Arbeitskräften so groß ist, dass auch Auszubildende aus Nicht-EU-Staaten künftig auf diese Stellen in Deutschland vermittelt werden können. Ist ein Beruf zwei Mal von einem Engpass bedroht, wird er in die Positivliste aufgenommen.

Mit Headhuntern gegen den Fachkräftemangel

Hier bietet sich beispielsweise die Beschäftigung von Geflüchteten an, wenn sie die benötigten Qualifikationen besitzen. Branchenunabhängig beschäftigt ein Viertel aller Unternehmen derzeit Geflüchtete oder hat es in den vergangenen drei Jahren getan. Bei Handwerksbetrieben ist es sogar jeder dritte. Das ist das Ergebnis einer Befragung von rund 1.000 Unternehmen im Rahmen des IW-Personalpanels. In 17 Prozent der Unternehmen haben Flüchtlinge inzwischen Praktika absolviert. In jedem zehnten Unternehmen gehen Flüchtlinge einer regulären Beschäftigung nach. Am seltensten befinden sie sich derzeit noch in einer betrieblichen Ausbildung.

Betriebe nehmen aber auch vermehrt die Dienste von sogenannten „Headhuntern“ in Anspruch. Diese suchen gezielt nach Fachpersonal und werben es ab. Das Problem: Da die Begriffe nicht geschützt sind, darf sich im Prinzip jedermann Headhunter oder Recruiter nennen –  unabhängig von seiner Qualifikation. So tummeln sich neben zahlreichen seriösen Angeboten auch schwarze Schafe unter den Dienstleistern. Ein Unternehmen, das sich besonders auf die Vermittlung von Fach- und Führungskräften aus der Augenoptik- und Hörakustik spezialisiert hat, ist die GZE-Consulting in Iserlohn.

Die Zahlen sprechen für sich – es fehlen teilweise Arbeitskräfte, die innerhalb der Augenoptik über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen. Unabhängig davon ob Unternehmen eigene Nachwuchskräfte ausbilden, Arbeitnehmer bei der Mobilität unterstützen, Nicht-EU-Bürger als potenzielle Fachkräfte in Betracht ziehen oder Headhunter beauftragen – es müssen Maßnahmen getroffen werden, um dem Fachkräftemangel vorzubeugen. In diesem Monat legt die Bundesagentur für Arbeit die jüngsten Ergebnisse aus der Engpassanalyse vor. Wir bleiben gespannt und berichten auf dem DOZ-Branchenportal über neue Entwicklungen.