Farbexpertin Francesca Valan

Über die Bedeutung des Kolorits im Brillendesign

„Die neuen Dimensionen der Farbe“ lautet der Titel eines Vortrags und Branchentalks mit der Farbexpertin Francesca Valan, zu dem die Mido in Kooperation mit dem DOZ-Kundenmagazin Sublime Eyewear einlädt. Auf dem internationalen Branchentreff in Mailand (8.-10. Februar) wird Valan auf dem Forum „The Vision Stage“ über Trends und Gegentrends, über emotionale, ikonische und symbolische Farben sowie über die Bedeutung des Kolorits im Brillendesign sprechen.
FARBE

 Ihre Sprache ist die Farbe! Francesca Valan in ihrem Mailänder Studio umgeben von Farbmustern und Farbtafeln.

© Angela Mrositzki, Francesca Valan

Erstveröffentlicht in der DOZ 02|25

Die studierte Industriedesignerin Francesca Valan ist spezialisiert auf die Gestaltung von Farbkonzepten, Materialien und Oberflächen: Von Technik über Möbel und Haushaltsgeräte bis hin zu Sportartikeln und Kinderspielzeug berät sie Unternehmen zur Farbgestaltung ihrer Corporate Identity und des Produktdesigns. Valan weiß um die Wirkung des Kolorits, die Bedeutung von Farbtrends und die Ordnung in der Vielfalt der Farben. Unser erstes Interview für das DOZ-Kundenmagazin Sublime Eyewear fand in ihrem Mailänder Büro statt. Zur Vorbereitung des Mido-Talks sind wir im Palazzo Reale in Mailand verabredet, denn Valan möchte mir die aktuelle Ausstellung über den Maler Edvard Munch zeigen. Zu dessen 80. Todestag präsentiert die Pinakothek hundert Werke aus dem Osloer Munch-Museum – Valanentwickelte dafür das didaktische Anschauungsmaterial. Spricht sie über Farben, fällt es ihr spielend leicht, von der Wissenschaft zur Geschichte, von Farbtheorien zu Farben in der Kunst oder Farbtrends in der Mode zu wechseln.

Der Mido-Talk mit Farbexpertin Francesca Valan findet am 8. Februar 2025 um 12 Uhr statt. Location: The Vision Stage, Halle 1. Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

Francesca Valan, Ihr Mido-Vortrag trägt den Titel „Die neuen Dimensionen der Farbe“. Was besagt er?

Farben sind eine eigenständige Sprache, die sich ständig weiterentwickelt. Und wie jede Sprache weist sie unerforschte Dimensionen auf. Von den drei physikalischen Dimensionen der Farbe – die Rede ist von Farbtönen, ihrer Klarheit und Sättigung – spricht man seit den Tagen des Bauhauses. Sie führen uns zu klassischen Farbharmonien. Die vierte Dimension der Farbe umfasst Materialien und Oberflächen, da bewegen wir uns auf der Ebene der metachromatischen Harmonien, sprechen von einem Gleichgewicht zwischen Farben und Materialien. Heute entwickelt sich die Sprache der Farben hin zu neuen Harmonien, die nicht mehr nur visuell und materiell sind, sondern alle unsere Sinne einbeziehen, die Farbe in Verbindung setzen mit Gefühlen, sogar mit unserem Geruchssinn. Das Ergebnis ist sehr subjektiv, sehr emotional: Unsere ganz persönlichen Farbfavoriten, also Farben, die für unsere Persönlichkeit bedeutend sind, vermischen sich mit den Farben unser Erinnerungen.

Die neuen Dimensionen der Farbe sind also viel weiter gefasst?

Ich sehe die neuen Dimensionen in der Ethik, in der Symbolik und in der Sphäre der Emotionen. Die ethische Dimension führt uns zu zeitlosen Farben, die nicht so schnell aus der Mode kommen und die visuelle Lebensdauer eines Produkts eher verlängern als verkürzen. Das Symbolische und Emotionale ist mit der Privatsphäre verbunden: Farben rufen in uns Erinnerungen und Emotionen hervor. Wenn wir eine Farbe auswählen, treffen wir diese Entscheidung basierend auf unserem Charakter, unserer Persönlichkeit. Diese beiden Dimensionen führen zu unterschiedlichen Gestaltungsansätzen und kompensieren sich teilweise gegenseitig.

Farbdesign

Prominenter Kunde: Für den weltbekannten Spielwarenhersteller Lego entwickelte Valan ein Farbmanual. Für die italienische Brillenindustrie bietet sie Fortbildungen zum Thema Farbdesign an.

© Angela Mrositzki, Francesca Valan

Was halten Sie von Rudolf Steiners Zitat: „Die Welt der Farben kann nicht von der Vernunft dominiert werden. Wir müssen sie mit dem Gefühl erfassen.“

Ich teile seine Ansicht! Wir bewegen uns tatsächlich von einer objektiven Herangehensweise an die Farbe zu einer subjektiveren, von der physischen Farbe von Newton zur emotionalen und symbolischen Farblehre Goethes.

Wie wichtig sind Farbtrendanalysen? Wie sehr beeinflussen sie das Produktdesign, die Mode oder das Brillendesign?

Derartige Analysen sind wichtig, weil sie den Verbraucher für eine Farbe prädisponieren und es der Industrie leichter machen, ein Produkt dieser Farbe zu verkaufen. Ich denke aber, dass wir nicht mehr von Farbtrends sprechen sollten. „Persönliche“ Farben lassen sich nicht von allgemeinen Trends leiten. Allerdings: Die „Pantonefarben des Jahres“ machen mir Spaß! Sie sind ein interessantes Phänomen, weil sie die Aufmerksamkeit auf das Thema Farbe lenken: Die „Farbe des Jahres“ schlägt ein wie ein Komet, der uns alle für einen Moment in seinen Bann zieht und dann wieder verschwindet. Aber dahinter steht eine konsumistische Einstellung: Im Handumdrehen präsentieren alle Produkte die Farben des Jahres, die tatsächlich nur ein Jahr überdauern. Trends, die Menschen für eine Farbe empfänglich machen, sind Teil der Marketingstrategien. Jetzt aber, da Farbe zum Ausdruck emotionaler Freiheit wird und stärker mit der persönlichen Sphäre verknüpft ist, sind Farben über Trendanalysen weniger vorhersehbar und auch weniger beeinflussbar: Nicht zuletzt durch die Vielzahl an unterschiedlichen Verbrauchertypologien mit jeweils sehr unterschiedlichen Einstellungen und Vorlieben. Statt eine Farbe zu tragen, die nicht unseren emotionalen Wünschen entspricht, wählen wir eine klassische Farbe. Diese ikonischen, zeitlosen Farben wie Weiß, Schwarz, Rot - oder auch Havannatöne bei der Brille - sind für vorübergehende Moden nahezu „undurchlässig“. Stattdessen ermöglichen sie es, tiefer in das Thema Farbe in Verbindung zur Oberflächentextur und zum Finishing eines Produkts einzutauchen. So sehe ich auch die Reduzierung von Farbvarianten als ethisch gerechtfertigt, denn sie vermindert Produktionskosten und vereinfacht die Auswahl für die Verbraucher.

Farbdesign

Kulturelle Projekte sind ihr ein Herzensanliegen, häufig kuratiert Francesca Valan Ausstellungen. Wo es um Farben geht, wird ihre Expertise geschätzt.

© Angela Mrositzki, Francesca Valan

Wie sehr sollte das Brillendesign Trends folgen?

Trendanalysen zu erstellen, die für alle Produkte geeignet sind, ist schwierig, die Märkte sind sehr uneinheitlich. Vorhersagen bleiben oft generisch und nützen Produktdesignern wenig. Ich glaube, dass Trends, die ad hoc aufgenommen und auf die Identität eines jeden Unternehmens und dessen Produkte zugeschnitten werden, nützlicher sind. Designerinnen und Designer sollten die Metatrends kennen, aber auch in der Lage sein, sie im Lichte der ikonischen Farben ihres Unternehmens zu verstehen und neu zu interpretieren. Vielleicht gibt es Märkte, die noch immer von kurzen Modezyklen beeinflusst sind. Meine Empfehlung ist, darüber hinauszugehen und zu versuchen, die Identität der Produkte zu stärken, nach den ikonischen Farben der Marke zu suchen und diese zu aktualisieren. Aus diesem Grund gewinnt das CMF-Design (Akronym für Colori, Materiali, Finiture – italienisch für Farben, Materialien, Oberflächen; Anm. d. Red.) im Produktdesign immer mehr an Bedeutung, weil hier besonders Wert auf das optische und haptische Erscheinungsbild gelegt wird. Viele Unternehmen haben mittlerweile Spezialisten in ihren Teams, es wurden spezielle Studiengänge geschaffen. Eine Empfehlung: Reduzieren Sie die Farbvariationen und verlagern Sie den Fokus von der Farbe auf das Finish. Denn gerade bei Brillen, die aus nächster Nähe gesehen werden, ist die Qualität der Oberflächenverarbeitung ein sehr wichtiger Aspekt.

FASZINATION

Valan hat eine Methode zur Trendprognose entwickelt, die auf der historischen und statistischen Analyse von Farben nach Marktsektor basiert und die Zyklizität der Farbpräferenzen und die Dauer der Zyklen nach Produkttyp nutzt. Diese Methode lässt sich auch auf Trendstudien im Brillenbereich anwenden.

© Angela Mrositzki, Francesca Valan

Was halten Sie von der Wahl der Farbe des Jahres 2025, Mokka Mousse?

Mokka Mousse, ein warmer Braunton von besonderer Intensität, erinnert an den Genuss von Kakao, Schokolade und Kaffee und spricht unser Bedürfnis nach Komfort an. Denn wer mag keine Schokolade? Es ist eine symbolische und emotionale Farbe. Sehr winterlich, träge, assoziiert sie Ruhe. Persönlich gefällt sie mir, aber in diesem Moment hätte ich eine dynamischere, energiegeladenere Farbe gewählt! Doch eine Farbe allein sagt wenig aus, die Frage bleibt, mit welchem Finish, welcher Textur verbinden wir sie? Eine Farbe allein schafft keine Harmonie.

Francesca Valan

Expertin in Sachen Farbkultur: Francesca Valan unterrichtet Farb- und Materialdesign am Polytechnikum Mailand, am Europäischen Institut für Design Mailand, der Scuola Politecnica Mailand und lehrt weltweit an Universitäten und Forschungsinstituten. Ihre Arbeiten werden in Architekturund Designzeitschriften und Büchern veröffentlicht.

© Angela Mrositzki, Francesca Valan

Ihr Tipp für Augenoptikerinnen und Augenoptiker: Wie sollten sie die Welt der Farben ihren Kundinnen und Kunden nahebringen?

Befreien Sie sie sich von allen Trendaussagen. Beraten Sie Ihre Kundinnen und Kunden emotional und empfehlen Sie eine gesättigte Farbe, wenn sie eine gesättigte Farbe vorziehen. Sollten sie sich nicht entscheiden können, empfehlen Sie, zwei Brillen zu kaufen – eine nach den Farblehren von Newton und eine nach den Farbtheorien von Goethe!