Versuch: Code wandelt Laute in Nervenreize

Mäuse und Menschen hören das Gleiche

Forschende der Universität Oldenburg haben auf ihrer Suche nach der Ursache für Altersschwerhörigkeit eine vielversprechende Entdeckung gemacht. Wie sie im Fachmagazin eNeuro berichten, konnten sie einen Code entschlüsseln, mit dem bestimmte Laute vom Ohr ans Gehirn übermittelt werden. Dieses Wissen könnte dazu beitragen zu verstehen, wie und ob sich der Code im Alter verändert.
Eine Frau hält ihre Hand hinters Ohr

Mongolische Wüstenrennmäuse haben ähnlich wie Menschen, Probleme Vokale voneinander zu unterscheiden. Zumindest legt das eine Untersuchung der Universität Oldenburg nahe.

© Adobe Stock / Dan Race

Wie die Universität Oldenburg in einer Mitteilung erklärt, ist es den beiden Neurowissenschaftlerinnen Dr. Amarins Heeringa und Prof. Dr. Christine Köppl gelungen zu beweisen, dass unterschiedliche Laute im Ohr nicht zu unterschiedlichen Anzahlen von Nervenimpulsen führen, sondern viel mehr die Pausen zwischen diesen Impulsen eine unterschiedliche Länge aufweisen. Zu diesem Ergebnis kamen sie nach einer Untersuchung der auditiven Informationsverarbeitung von Mongolischen Wüstenmäusen. Den Tieren wurden unterschiedliche Laute vorgespielt um festzustellen, welche Informationen der Hörnerv als elektrische Reize ans Gehirn überträgt. Die wesentliche Herausforderung beim Hören sei es, die gewünschten Informationen von Hintergrundgeräuschen abzugrenzen. Die Forscherinnen spielten den Tieren aus diesem Grund nicht nur verschiedene einsilbige Sprachproben vor, sondern gleichzeitig Nebengeräusche, die einem Stimmengewirr ähnelten.


 

Hören als Decodierungsprozess

Den Hörprozess selbst beschreiben die Forscherinnen in der Mitteilung dabei als Decodierungsvorgang: Die Geräuschkulisse aus Sprachproben und Nebengeräuschen gelangt als Schallwelle, die das Trommelfell vibrieren lasse, zum Mittelohr. Über die Gehörknöchelchen übertragen sich die Vibrationen auf die Hörschnecke (Cochlea) und auf die Sinneszellen, die die Vibration in elektrische Impulse umwandelten. Diese Impulse würden wiederum vom Hörnerv übertragen. Die vom Ohr empfangenen Geräusche würden in einen Code aus elektrischen Impulsen übersetzt, der im Gehirn wieder decodiert und schließlich zur bewussten Wahrnehmung des Gehörten wird. Die größte Herausforderung der beiden Forscherinnen bestand laut eigener Aussage darin, aus dem komplexen Code, der die gesamte vorgespielte Geräuschkulisse übertrage, exakt die Information zu finden, die die unterschiedlichen Vokallaute transportiere. An dieser Stelle fanden sie heraus, dass die unterschiedlichen Laute unterschiedlich lange Pausen zwischen den Impulsen hervorrufen, jedoch keine andere Anzahl von Nervenimpulsen. Über die verschiedenen Zeitmuster ließ sich ein grafisches Muster erkennen. Dabei seien laut Heeringa und Jüchter zwischen den Lauten wie „a“, „e“ oder  „i“ deutliche Unterschiede zu sehen gewesen. Ein sehr ähnliches grafisches Muster fand sich für die Laute „e“ und „i“, die auch ähnlich klingen und deshalb auch beim Hören schnell verwechselt würden. Daraus schließen die Forscherinnen, dass das „Verhören“ bei diesen ähnlich klingenden Lauten bereits im Ohr seine Ursache habe und nicht erst beim Decodieren im Gehirn. 

Vokale schwieriger zu unterscheiden

Dass Mongolische Wüstenrennmäuse die verschiedenen Vokale in menschlicher Sprache tatsächlich unterscheiden könnten, hatte zuvor eine Partnerstudie von Carolin Jüchter, Dr. Rainer Beutelmann und Prof. Dr. Georg Martin Klump, ebenfalls von der Universität Oldenburg, gezeigt, die im Fachmagazin „Hearing Research“ veröffentlicht wurde. Das Team brachte den Tieren bei, ihre Warteposition auf einer Plattform zu verlassen, wenn sie in einer Umgebung mit Hintergrundgeräuschen wahrnahmen, dass sich eine immer wieder vorgespielte Sprechprobe plötzlich veränderte. In einem Vergleichstest mussten auch menschliche Probandinnen und Probanden solche Lautveränderungen anzeigen. Sowohl Menschen als auch Tieren fiel es dabei leichter, zwischen Vokalen als zwischen Konsonanten zu unterscheiden. Und es zeigte sich auch, dass die Tiere in der Praxis tatsächlich Probleme hatten, die Vokale, die in den Versuchen von Heeringa ähnliche Zeitmuster aufwiesen, zu unterscheiden.

Die beiden Erstautorinnen der Studien, Amarins Heeringa und Carolin Jüchter, sind in den Abteilungen „Cochlea- und Hirnstammphysiologie“ sowie „Zoophysiologie und Verhalten“ tätig, die unter anderem im Exzellenzcluster Hearing4all zusammenarbeiten. Ihr gemeinsames Forschungsinteresse liege besonders auf der Frage, was genau sich im Ohr bei einer Altersschwerhörigkeit verändert. Um Antworten auf diese Frage zu finden, wollen sie auch die Untersuchungen an älteren Mongolischen Wüstenrennmäusen gemeinsam durchführen.


Quellen: 
Amarins N. Heeringa, Christine Köppl: „Auditory Nerve Fiber Discrimination and Representation of Naturally-Spoken Vowels in Noise”, eNeuro (2022), doi.org/10.1523/ENEURO.0474-21.2021
Carolin Jüchter, Rainer Beutelmann, Georg Martin Klump: „Speech sound discrimination by Mongolian gerbils”, Hearing Research (2022), doi.org/10.1016/j.heares.2022.108472