"Ich wollte raus aus dem Topf und ohne Deckel neu starten"

Die.Optrie hebt sich mit einem besonderen Ladenkonzept ab

Die Vision: „Es gibt uns Augenoptiker wie Sand am Meer, also musste der Laden krass werden.“ Das Ziel: „Ich wollte den schönsten Optikerladen im Umkreis von 100 Kilometern.“ Das Ergebnis: „Die.Optrie“ in Regensburg. Augenoptikermeisterin Anna-Magdalena Reichow hat Ende 2024 ihr erstes eigenes Fachgeschäft eröffnet und motiviert nicht nur mit ihrem besonderen Ladenkonzept.
Anna-Magdalena Reichow

Energiebündel: Anna-Magdalena Reichow hat 2024 den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt und innerhalb eines Jahres ihren Betrieb „Die.Optrie“ in Regensburg eröffnet.

© Die.Optrie

Erstveröffentlichung in der DOZ 05|2025.

Es gibt ein Indoor-Baumhaus mit Schaukel. Eine Beratungsarea im American-Diner-Stil. Eine Werkstatt direkt am Schaufenster. Und eine Kaffeebar in der Raummitte mit goldener Zylinder-Decke, die Fans des FC Bayern an die Business Lounge der Allianz-Arena erinnert. Ein Ladenkonzept, das man so in der Augenoptik nur selten findet. „Ich wollte eine Augenoptikerin für alle sein – auch für die ältere Dame mit schlechtem Visus oder das Kind, das keine Lust auf eine Brille hat. Also brauchte ich einen Ort, an dem sich jeder wohlfühlt“, erklärt  Anna-Magdalena  Reichow ihre Idee hinter Die.Optrie. 

Im Dezember 2024 eröffnete die 31-Jährige ein Fachgeschäft, das alles andere als Standard ist. Weg von dem Gedanken einer klassischen Beratungssituation gegenübersitzend am Tisch, versorgt sie zusammen mit ihrem 24-jährigen Mitarbeiter Lukas Achhammer seit einem halben Jahr Kunden mal an der Bar, mal im Baumhaus mit der passenden Sehhilfe. Nach ihrer Lehre bei Fielmann arbeitete sie acht Jahre lang bei einem Tradi in einem Einkaufszentrum, doch einen bestehenden Betrieb irgendwann zu übernehmen, kam für sie nie infrage, wie sie erzählt. „Natürlich trägt man ein gewisses Risiko, wenn man neu gründet. Aber wenn ich einen Laden führe, dann nur nach meinen Ideen und Ansprüchen. Ich habe als kleines Pflänzchen begonnen und mein damaliger Chef hat mich über die Jahre gegossen und gegossen. Ich bin immer weitergewachsen, bis der Deckel draufgemacht wurde. Also wollte ich raus aus dem Topf und ohne Deckel neu starten“, erinnert sich Reichow. 

Baumhaus im Augenoptik Geschäft

Ein Highlight nicht nur für Kinder: Das Indoor-Baumhaus mit Lichtauslässen in Brillenfassungsoptik. Im „Wonderland“ werden kleine Kunden versorgt, entweder mit einer Brille oder mit Spielmöglichkeiten, wenn die Eltern im Beratungsgespräch sind.

© Die.Optrie

"Augenoptiker haben nichts im Einzelhandel verloren"

Ende 2023 kam ihr erstmals der Gedanke, in die Selbstständigkeit zu gehen. Danach ging alles ganz schnell: Nach der Kündigung ging sie auf Standortsuche und entschied sich für das Regensburger Candis-Viertel, wo seit 2021 ein neuer Stadtbezirk entsteht. „Viele hätten mir sicher geraten, in die belebte Altstadt zu ziehen – aber genau das wollte ich nicht. Ich finde, der Augenoptiker hat nichts im Einzelhandel verloren. Natürlich geht in der Fußgängerzone die Sonnenbrille oft schneller über die Ladentheke. Da geht’s dann aber nicht mehr ums Menschliche. Ich denke, auch deshalb wird unser Beruf oft missverstanden.“ Im Juli 2024 folgten dann Mietvertrag und Trockenbau. Gemeinsam mit Objektbau Kienholz entstand aus ihrer Idee bis Dezember ein moderner und familienorientierter Laden.

 

Kaffeebar im Augenoptik Betrieb

Modern und einladend in warmem Apricot-Ton: In der Die.Optrie soll der Mensch (wieder) im Fokus stehen - auch an der Bar beim gemütlichen Kaffee.

© Die.Optrie

Zwei Eröffnungspartys und vier Monate später blickt die Unternehmerin stolz auf eine, wie sie sagt, „wunderschöne, aber auch herausfordernde Zeit“ zurück. Neu gründen bedeutete für sie schließlich auch, beim Kundenstamm bei Null anzufangen. Auf Laufkundschaft kann sie (noch) nicht setzen. Mundpropaganda braucht seine Zeit. Kundenevents kamen schon sehr gut an, sind aber auch sehr aufwendig – und davon müssen die Leute ja erst einmal erfahren. Also nutzt sie die Online-Kanäle und konzentriert sich dabei verstärkt auf die regionale Zielgruppe. Eine gute Sichtbarkeit bei Google & Co. sei wichtig, vor allem aber setzt sie auf Social Media. Auf Instagram teilt sie seit Tag eins ihre Höhen und Tiefen auf dem Weg zur Selbstständigkeit, nimmt die Zuschauer mit durch den Berufsalltag, zeigt Einblicke in die Werkstatt-Arbeit, postet authentische Videos von sich und ihrem Mitarbeiter und erzählt von besonderen Erfolgsmomenten. „Natürlich spreche ich dadurch eine superjunge Zielgruppe an. Aber: Ich spreche eine superjunge Zielgruppe an!“ Das alles funktioniere nicht einfach so nebenbei, wie sie es in der Vergangenheit oft gehört habe. 

Lukas Achhammer

Die.Optrie-Mitarbeiter Lukas Achhammer ist 24, Augenoptikermeister und kennt seine Chefin bereits als Kollegin aus dem vorigen Betrieb.

© Die.Optrie

"Man muss wirklich Bock darauf haben"

„Ich schneide dann auch mal Videos um zwölf Uhr nachts, weil ich tagsüber Brillen verkaufe. Das kann man nur machen, wenn man wirklich Bock darauf hat“, sagt Reichow. Ein Vollzeitprojekt war auch die Gestaltung der Neubau-Ladenfläche. Bei den 190 Quadratmetern wurde nichts dem Zufall überlassen. Durch die Außenwände aus Glasfassaden wird der Raum lichtgeflutet und der Laden zu einem großen Schaufenster. Hohe Decken, Refraktionsräume mit Akustikplatten und Lofttüren aus geriffeltem Glas erstrahlen in den Corporate-Design-Farben. Wo das Auge hinsieht, entdeckt es eine moderne Ausstattung, von den Materialien über die Geräte bis zu den Kaffeetassen. Qualität, die gut aussieht – und kostet. Sich selbstständig zu machen, erfordert bereits Mut, aber für die Gründerin war klar, „entweder ganz oder gar nicht“, wie sie erzählt. „Fachlich wusste ich, das kann nicht in die Hose gehen. Aber natürlich gab es da auch Sorgen. So ein Projekt kostet zwar auch viel Kraft und Nerven, aber mit einem gesunden Selbstvertrauen, genügend Willensstärke und den richtigen Vorbildern und Mentoren geht das.“ Zudem müsse man sich mit Menschen umgeben, die einen weiterbringen und nicht stoppen: „Zum Beispiel hat mich während der Planung ein Augenoptiker zu meinem Grundriss gefragt, warum ich 15 Quadratmeter an Kinder ‚vergeuden‘ wolle.“ Stattdessen habe sie nach Kontakten in der Frühsehförderung gesucht und einen Praktikumstag bei einer Orthoptistin gemacht, von der sie viel in der Versorgung mit Kindern lernen konnte. 

Werkstatt

Durchdachter Ladenbau: Beim Blick in die offene Werkstatt soll schon manch ein Kunde erstaunt festgestellt haben, dass Augenoptiker (tatsächlich) ein Handwerksberuf ist.

© Die.Optrie

„Zu viele in unserer Branche teilen die Einstellung ‚Wieso sollen wir was verändern, uns ging es doch so lange so gut‘. Ich finde, man sollte sich eben nicht auf einer soliden Basis ausruhen, sondern in die Zukunft investieren. Das sind wir der Branche schuldig. Meiner Meinung nach sollte auch jeder einzelne Betrieb in die Ausbildung investieren und Azubis das Handwerk beibringen, damit solche Pflanzen überhaupt entstehen können“, sagt Reichow und zeigt dabei auf ihren jungen Mitarbeiter. Auf die Frage, warum sie sich für den Start einen frisch gebackenen Augenoptikermeister ins Boot geholt hat und nicht lieber jemanden mit langjähriger Berufserfahrung, lacht sie nur. „Bei mir steht der Mensch im Fokus, egal ob bei meinen Kunden oder bei meinen Mitarbeitern. Ich war damals Lukas‘ Ausbilderin und habe direkt gemerkt, dass er mit jeder Art von Kunden gut klarkommt. Wir beide ergänzen uns einfach super und ich würde mich immer wieder so entscheiden. Spätestens ab nächstem Jahr will ich aber auch auf jeden Fall viele kleine Azubis hier herumlaufen sehen. Und da sind noch so viele andere Ideen in meinem Kopf ...“