Wieder für alle Schüler ansprechbar Der hörakustische Praxisfall: Einseitige Taubheit

Unterrichtssituation

(Links) Wer sich als Pädagoge seinen Schülern zuwenden will, sollte auf beiden Ohren gleichermaßen gut hören können. Einseitige Taubheit kann sich auch dieser Lehrer nicht leisten.

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Erstveröffentlichung in der DOZ 09/2025.

Infolge einer starken Grippe im Kindesalter verlor Herbert Schempp das Hörvermögen des rechten Ohrs. Schempp ist Lehrer für Mathematik und Physik an einem Gymnasium und trägt bislang auf dem linken Ohr ein HdO-Hörsystem konventioneller Bauart mit einer Schallschlauchotoplastik. Da das Gerät schon mehr als sechs Jahre alt und Schempp technischen Neuerungen zugewandt ist, besucht er einen Hörakustiker, um sich ein neues modernes Gerät zu besorgen. Der Hörakustiker führte die Anpassung selbst durch. Nach dem audiologischen Vorgespräch wurde eine sorgfältige Otoskopie durchgeführt. Es ergab sich folgender Befund (in Tabellenform wie folgt notiert): Die Audiometrie erfolgte zunächst für das linke Ohr, weil der Kunde angab, auf dem rechten Ohr taub zu sein. Es ergab sich ein leichter bis mittlerer Hörverlust mit einem Schallleitungsanteil im Tieftonbereich (Versteifungstyp). Die Unbehaglichkeitsschwelle für Töne liegt nahezu im Normalbereich. Bei der Bestimmung der Luft- und Knochenleitung für das rechte Ohr ohne Vertäubung ergaben sich wie bei einer Taubheit zu erwarten Schattenkurven durch Überhören auf die Knochenleitung des linken Ohrs. Schempp gab auch bei jeder Prüffrequenz an, den Ton im linken Ohr zu hören. Die Messungen bei 125 Hz und 250 Hz wurden wegen Fühlschwellen nicht durchgeführt.

Taub oder resthörig?

In manchen Fällen geben Kunden an, dass ein Ohr taub sei, obwohl sich bei einer Überprüfung eine Resthörigkeit ergibt. Um dies bei Herbert Schempp auszuschließen, erfolgte eine Überprüfung der Luftleitung rechts mit gleitender Vertäubung für den Wert von 1,5 kHz. Ab einem Prüfpegel von 105 dB wurde die Messung für den Probanden unangenehm und deshalb abgebrochen. Messungen für Frequenzen, die eine noch höhere Hörschwelle aufweisen, erscheinen daher sinnlos. Ein zweiter, zu einer tieferen Frequenz hin verschobener Versuch bei 1 kHz, führte zum gleichen Ergebnis. Noch tiefere Frequenzen machen wegen der Fühlschwelle keinen Sinn. Die Audiometrie bestätigt also die Angabe des Kunden, dass sein rechtes Ohr taub ist. Viele Menschen mit einseitiger Taubheit können Unterhaltungen in einer ruhigen Umgebung häufig noch gut folgen. Nichtsdestotrotz hat sie gravierende Folgen: die räumliche Orientierung ist erschwert; es ist schwieriger, Hintergrundgeräusche herauszufiltern; um Gesprächen in großer Runde folgen zu können, muss ständig der Kopf gedreht werden; beim Überqueren der Straße muss der Betroffene große Vorsicht aufbringen, um Warntöne nicht zu überhören. Nicht zuletzt erfordert das asymmetrische Hören von Musik große Konzentration und wirkt deshalb nicht entspannend. Insbesondere klassische Musik lässt das Klangvolumen oft vermissen.

Tabelle Otoskopie

Otoskopie für Herbert Schempp. Die straffen Trommelfellnarben links können (aber müssen nicht unbedingt) einen Hinweis auf eine Schallleitungsstörung geben, ansonsten sind die erhobenen Befunde unauffällig.

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Beratungsgespräch durch den Hörakustiker

Die audiologischen Messungen haben bestätigt, dass das rechte Ohr taub ist. Deshalb kommt nur ein Hörgerät für das linke Ohr oder eine BiCROS-Lösung in Frage. Das linke Ohr hat einen leichten bis mittelschweren Hörverlust. Der Vorteil für Herbert Schempp besteht bei einer BiCROS-Lösung darin, dass er im Klassenraum die Schüler unabhängig von ihrer Sitzposition besser verstehen kann, was bislang nicht der Fall war. Das Sprachaudiogramm beweist, dass mit dem linken Ohr ein 100-prozentiges Sprachverständnis für Einsilber bei einem Pegel von 85 dB erreicht werden kann. Der Verstärkungsbedarf mit Reserve beträgt deshalb nach dem Sprachaudiogramm circa 35 dB. Das Gerät sollte über einen LAmax von mindestens 120 dB verfügen. Die Otoskopie ergab, dass prinzipiell alle Gerätebauformen eingesetzt werden können. Bei der Wahl des Werkstoffs für die Otoplastik müssen jedoch bestehende Kontakt-Allergien des Kunden berücksichtigt werden. Eine Verglasung, Vergoldung oder eine Otoplastik aus Titan sollte erwogen werden. Bislang stand Schenk einer CROS-Lösung ablehnend gegenüber, trotzdem erklärt ihm der Hörakustiker die sich ergebenden Vorteile. Schempp störte in der Vergangenheit die bei einer CROS-Lösung übliche Kabelverbindung zwischen beiden Geräten. Da inzwischen aber eine drahtlose Kommunikation zwischen den Geräten verwirklicht werden kann, wollte er die CROS-Lösung testen. Nach einer Gewöhnungszeit von 14 Tagen nahm der Lehrer insbesondere beim Unterricht die Vorteile der BiCROS-Lösung wahr. Die Wahl fiel schließlich auf ein HdO-BICROS-System mit ausgelagertem Hörer der Firma Ulhoff. Da das Auftreten einer Okklusion bei geschlossener Versorgung auftreten könnte, wurde eine okklusionsfreie Titanotoplastik für das linke Ohr hergestellt.

Medizinischer Hintergrund: Gehörlosigkeit auf einem Ohr. Gehörlosigkeit auf einem Ohr Gehörlosigkeit bzw. Taubheit ist der nahezu völlige Ausfall der Hörempfindung auf dem betroffenen Ohr. Eine einseitige Taubheit (SSD = Single Sided Deafness) ist in einigen Fällen angeboren. Ursache können auch Viruserkrankungen wie Röteln, Medikamente, Alkoholgenuss oder Rauschgiftkonsum während der Schwangerschaft sein. Bei der Geburt können Sauerstoffmangel oder mechanische Traumen eine Taubheit verursachen. Ertaubungen können nach einem Hörsturz, Hirnhautentzündungen oder einer Virusinfektion auftreten. Weitere Ursachen können Verletzungen oder Folgen eines chirurgischen Eingriffs sein.

Grafik Hörakustik

Das Ton- und Sprachaudiogramm von Herbert Schempp.

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Klassenzimmer Grafik Hörakustik

Beim Frontalunterricht ist es für Herbert Schempp schwierig, die Schüler zu verstehen, die rechts von ihm sitzen.

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Technisches Wissen: CROS-Sonderversorgung

Hörsysteme außerhalb der üblichen Bauformen werden als Sonderbauformen bezeichnet. Die CROS-Versorgung (Contralateral Routing of Signals) zählt zu den Sonderversorgungen, es wird das akustische Signal von einer meist tauben Kopfseite auf das Gegenohr geleitet. Diese Bauform wird heute fast nur noch bei einseitiger Taubheit eingesetzt. Früher wurden auch zur Vermeidung von Rückkopplungen CROS-Formen entwickelt, die Entwicklung von effektiven Rückkopplungsschaltungen machen dieses Einsatzgebiet entbehrlich. Als grundsätzliche Alternative ist – je nach Befundkonstellation – auch ein Cochlea-Implantat in Betracht zu ziehen. Der Vorteil eines Cochlea-Implantats besteht darin, dass ein binaurales Hören erreicht werden kann, während alle CROS-Lösungen dem Gehirn letztendlich nur eine monaurale Signalanalyse ermöglichen. Bei einer CROS-Versorgung wird das akustische Signal an der nichtversorgbaren Kopfseite mit einem Mikrofon erfasst und auf die versorgbare Gegenseite geleitet. Während in der Vergangenheit unterschiedliche CROS-Arten eingesetzt wurden, werden jetzt praktisch nur noch der „normale“ CROS und BiCROS eingesetzt (weitere Infos zu CROS-Versorgungen finden Sie übrigens im Werk „Hörakustik Praxis“ auf Seite 92). Im Gegensatz zu den CROS-Trägern ist bei BiCROS-Trägern eine Versorgung des Hörverlusts auf dem besser hörenden Ohr notwendig. Deshalb werden auf beiden Kopfseiten Mikrofone benötigt. Die Signale der Mikrofone werden in diesem Fall nur an das besser hörende Ohr übertragen. Die BiCROS-Versorgung bietet die Möglichkeit, den Hörgeräteträger von beiden Seiten her anzusprechen. Da das linke Ohr von Herbert Schempp einen Hörverlust aufweist, ist hier eine BiCROS-Lösung empfehlenswert. Der ist mit seinen neuen Geräten auch deshalb sehr zufrieden, da er zusätzlich moderne Funktionen wie etwa die Bluetooth-Verbindung zu seinem Mobiltelefon benutzt.

Grafik Hörakustik

Aufbau einer BiCROS-Versorgung: Das Signal der tauben rechten Seite wird drahtlos auf das linke Ohr übertragen

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Fazit

Bei einseitiger Taubheit gehen wichtige akustische Informationen auf der betroffenen Seite verloren. Mittels CROS bzw. BiCROS-Sonderversorgung kann dieses Manko reduziert werden, eine echte binaurale Schallanalyse ist jedoch auch dann nicht möglich. Echte Binauralität liefert erst die Implantation eines Cochlea-Implantats auf der tauben Seite.

Geschrieben von

Jens Ulrich

Jens Ulrich

Jens Ulrich, 1949 in Frankfurt geboren, ist Diplom-Ingenieur und Diplom-Physiker, Hörgeräteakustiker, Fachbuchautor und Dozent mit Meistertiteln in Augenoptik und Elektrotechnik.

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