Strategie mit klarer Zielgruppe

Ace & Tate: Hipster auf dem Vormarsch

In den vergangenen Jahren haben neue Vertriebsformen die Branche erobert, einige Unternehmen richten sich nahezu ausschließlich an ein junges, hippes Publikum, wollen dabei selbst zur Marke werden und haben fast die gesamte Lieferkette in der eigenen Hand. Besonders sichtbar wird das derzeit bei Ace & Tate. Die DOZ hat sich den Filialisten genauer angeschaut und mit Stephan Hecht, Head Optician DACH, über dessen Expansionsbestrebungen gesprochen.
„Ace & Tate“-Filiale in der Schanzenstraße in Hamburg

Ace & Tate-Filiale in der Schanzenstraße in Hamburg

© Ace & Tate

Erstveröffentlicht in der DOZ 08I21

Die Brille als Modeaccessoire ist längst ein alter Hut. Oder doch nicht? Marktteilnehmer wie beispielsweise Mister Spex, Eyes + More und seit neuestem auch Viu und Ace & Tate sprechen insbesondere eine mode affine, in der Regel urbane und vor allem junge Zielgruppe, manchmal auch Hipster genannt, an. Und das offenbar mit Erfolg. Mister Spex strebt soeben an die Börse und wird dort nach dem Einstieg beispielsweise der Ankerinvestoren Janus Henderson und M&G sowie Luxottica Holland B.V. mit einer Preisspanne von 763 bis 895 Millionen Euro bewertet (siehe S. 16). Eyes + More hat sich mittlerweile zu einem der größten Filialisten der Branche entwickelt. Nach den Zahlen des jüngsten ZVA-Branchenberichts kommt das Unternehmen inklusive Franchisepartnern auf 182 Filialen bei einem Nettoumsatz von 75,9 Millionen Euro.

Und auch die beiden Newcomer Viu und Ace & Tate wachsen rasant. Im Winter 2012/2013 in der Schweiz gegründet, expandierte Viu bereits 2015 nach Deutschland. Mittlerweile betreibt das Unternehmen hierzulande 28 Filialen und arbeitet mit vier weiteren Partnerstores zusammen. Ganz ähnlich Ace & Tate, ebenfalls 2013 gegründet. Zunächst als reiner Onlineanbieter gestartet, öffnet vor knapp fünf Jahren der erste Store in Berlin, bald darauf der zweite in München. Heute kommen die Nieder länder auf 23 Filialen in Deutschland (mehr zur Strategie von Ace & Tate in Deutschland lesen Sie im Interview mit Stephan Hecht, Head Optician DACH, im Anschluss).

Online und stationär wird zusammengedacht

Ace & Tate setzt dabei ganz auf die eingangs erwähnten Hipster als Zielgruppe. Man wolle die so bezeichnete Zielgruppe der Generation Y und der Generation Z ansprechen, heißt es auf Nachfrage aus dem Unternehmen. Man baue „das Markenerlebnis von den Kunden her auf. Sie sind technikaffin, legen Wert auf Stil und Nachhaltigkeit und suchen nach Qualität zu günstigen Preisen“. Das spiegelt sich auch in den Filialen wider: sehr hell, sehr übersichtlich und ausladend. Auch in der Bildsprache wird ausschließlich das Zielpublikum angesprochen, alles wirkt hip und modern.

Ace & Tate Innenansicht Laden

Die Brille wird als „Fashion Item“ positioniert. Die urbane Zielgruppe soll die passende Brille für jedes Outfit finden.

© Ace & Tate

Und so soll auch das Einkaufserlebnis gestaltet werden. Für die so bezeichnete Customer Journey hat man klare Vorstellungen: „Viele unserer Kunden werden auf ihrer Customer Journey mehrere Touchpoints der Marke nutzen. Sie orientieren sich online, stöbern in unseren verschiedenen Modellen im Geschäft und nutzen dann unseren Home-Try-On-Service, um ihre Fassung auszuwählen. Oft kommen sie für einen kostenlosen Sehtest vor dem Kauf in unsere Filialen und kehren für den Kauf online zurück.“

Der Preis ist nur die halbe Wahrheit

Das besondere an Ace & Tate und auch an Viu ist, dass sich beide Unternehmen selbst als Marke beziehungsweise als Fashion-Brand positionieren. Die Niederländer entwerfen alle Fassungen selbst. Produziert wird bei Partnern in Italien, China und Kambodscha. Zu den Glaslieferanten wird nur mitgeteilt, dass man mit einem niederländischen Familienbetrieb mit „über 100 Jahren Branchenerfahrung“ sowie mit einem japanischen Zulieferer mit Standort in Thailand zusammenarbeite. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass man in Sachen Fassungen unabhängig von Markenlieferanten ist und die Vorteile des direkten Vertriebs der eigenen Produkte nutzt. Man verzichtet bewusst auf das Markenversprechen großer Labels oder
das besondere Etwas der Independent Labels. Vielmehr teilt Ace & Tate selbstbewusst mit: „Wir sind selbst eine Marke. Die Leute kaufen bei uns, weil sie der Marke Ace & Tate vertrauen und sie bevorzugen. Sie wissen, dass wir exzellenten Service, Qualitätsprodukte und ein angenehmes Einkaufserlebnis bieten.“

Ace & Tate Laden Inneneinrichtung Hamburg

Der Ladenbau zielt klar auf ein junges, hippes Publikum – so wie hier in Hamburg in der Bahrenfelder Straße.

© Ace & Tate

Dass man auf den Preis als Verkaufsargument setzt, verwundert kaum. Ist aber auch nur die halbe Wahrheit. Brillen mit Einstärkengläsern werden für 100 Euro angeboten, Gleitsichtbrillen für 300 Euro. Sonnenbrillen starten bei 100 Euro ohne Korrektion und enden bei 350 Euro mit Gleitsicht. Die halbe Wahrheit ist der Preis als Verkaufsargument, weil die Brille als „Fashion Item“ verstanden wird. Man will Brillen "für jeden Anlass und Stil“ anbieten. Im besten Falle, so scheint das Kalkül, wird die Zielgruppe eben nicht eine oder zwei Brillen kaufen, sondern eine für jedes Outfit. Zwar bietet Ace & Tate selbstverständlich auch Gleitsichtbrillen an, die Zielgruppe jedoch ist weit vom Gleitsichtalter entfernt. Die gesamte Bildsprache des Unternehmens ist ausgelegt auf die eingangs erwähnte modeaffine, urbane und junge Zielgruppe. Daher wird man beispielsweise ein Model, das älter als (geschätzte) 30 Jahre ist, für die Fassungen mit Namen „Easton“, „Neil“, „Pierce“ oder „Damien“ vergeblich suchen. Die Devise, wonach mit Sonnen- und Einstärkenbrillen Frequenz geschaffen, aber mit Gleitsichtkunden letztlich Ertrag erwirtschaftet wird, scheint hier nicht zu gelten. Die Frage danach, wie sich der Umsatz von Ace & Tate in Bezug auf Einstärken- und Gleitsichtbrillen verteilt, wird denn auch wiederholt abgebügelt mit dem Hinweis, dass man „keine Finanzdaten über unser Produktportfolio“ teile.

Nachhaltig oder verantwortungsvoll?

Ace & Tate spielt aber die Klaviatur eines hippen Marktauftritts bis zum Ende. Entsprechend darf auch das Thema Nachhaltigkeit nicht fehlen, das seit einiger Zeit auch die Augenoptik erreicht. Dabei nennt das Unternehmen Nachhaltigkeit lieber „Responsibility“. Diese Verantwortung sei ein grundlegender Aspekt des eigenen Geschäfts. „Unser Ziel ist es, ein Gleichgewicht zwischen Zweck und Gewinn zu finden, indem wir in unserem gesamten Geschäftsbetrieb nachhaltige Optionen finden, die dazu beitragen können, unseren ökologischen Fußabdruck zu verringern. Wir werden uns nie als nachhaltiges Unternehmen bezeichnen können, aber halten uns selbst in der Verantwortung, so wenig Schaden wie möglich anzurichten.“

Die Frage allerdings, wie der Anspruch, Brillen als „Fashion Item“ zu betrachten und damit so viele Brillen wie möglich zu verkaufen, in Einklang mit einem „verantwortungsvollen“ Geschäftsmodell zu bringen ist, kann Ace & Tate wohl kaum beantworten. Wie schwierig eben dieser Spagat in der Praxis ist, zeigt die in Teilen konträre Aussage von Stephan Hecht im folgenden Interview. Und es ist ein Spagat, den auch all die anderen Anbieter von Mode- oder sogar Fast- Fashion- Produkten zu bewältigen haben. Letztlich kommt es offenbar ohnehin eher darauf an, ob der eigenen Zielgruppe der Anspruch „auf dem Weg“ zu sein glaubwürdig genug erscheint.

Interview mit Stephan Hecht: "Es gibt noch relativ viele Möglichkeiten zur Expansion"

Mit 23 Filialen ist Deutschland längst der größte Markt für Ace & Tate geworden. Und nach der Corona-Pandemie will man weiter wachsen. Die DOZ sprach mit Stephan Hecht, dem Head Optician DACH, über die Wettbewerbssituation und die Expansionsbestrebungen.

DOZ: Herr Hecht, zwischen Fielmann, Apollo, Pro Optik und all den anderen Filialisten sowie den starken traditionellen Augenoptikern: Wo ist da noch Platz für einen weiteren Filialisten im deutschsprachigen Markt?
Stephan Hecht: Modische Brillendesigns kennt man klassischerweise von den Independent Labels traditioneller Augenoptiker, günstige Preise von den großen Ketten. Durch unsere eigenen Designerinnen und Designer und den direkten Vertrieb konnte Ace & Tate beide Kundenwünsche vereinen. Des Weiteren sind transparente Kommunikation und sehr guter Service von Anfang an Kernelemente der Firmenphilosophie. So konnten wir viele Kunden gewinnen und unseren Platz in der Optikbranche.

Stephan Hecht

Stephan Hecht ist Head Optician DACH bei Ace & Tate

© Ace & Tate

Wer sind Ihre direkten Wettbewerber? Und was unterscheidet Sie von ebendiesen?
Im Vergleich zur traditionellen Augenoptik im Allgemeinen heben wir uns vor allem durch unsere einfache und transparente Preisgestaltung ab. Vom Konzept am ähnlichsten sind zwar Viu und Eyes + More. Allerdings sprechen wir durch das Design unserer Brillen und unsere Corporate Identity eine jüngere Klientel an. Außerdem bewegen wir uns in einem anderen Preissegment als Viu. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist unser Weg, ein nachhaltiger Brillenhersteller zu werden. Hier gehören wir zu den Ersten in der Branche, die dieses Ziel nicht nur in Teilen, sondern fürs gesamte Unternehmen verfolgen.

Ace & Tate expandiert in ganz Europa. Mit 23 Niederlassungen ist Deutschland inzwischen der stärkste „Ace & Tate“-Markt. Wie unterscheidet sich der deutschsprachige von anderen Märkten? Warum ist Deutschland so interessant?
Der deutsche Augenoptikmarkt befindet sich – wie auch in anderen europäischen Ländern – im Wandel. Viele Kunden sind offen für Veränderungen und neue Ideen. In unserem Herkunftsland, den Niederlanden, ist dies aber noch deutlicher der Fall. In anderen Regionen, zum Beispiel Großbritannien, verhält sich der Markt dagegen konservativer. Auch die Regularien sind dazu äquivalent. Während in einigen Regionen Europas Fachverkäufer als selbstverständlich angesehen werden, ist der Augenoptikberuf und die Kundenwahrnehmung in Deutschland geprägt vom Handwerk und der Meisterpräsenz. Dagegen sind die Befähigungen, Rechte und Pflichten im englischsprachigen Raum und Skandinavien deutlich komplizierter. Deutschland positioniert sich hier also sozusagen in der Mitte und bietet schon allein wegen der Größe noch relativ viele Möglichkeiten zur Expansion.

Ace & Tate Laden Inneneinrichtung Berlin

Die erste Ace & Tate-Filiale in Deutschland eröffnete 2016 in der Alten Schönhauser Straße in Berlin.

© Ace & Tate

Die Brillenbranche leidet in Deutschland unter einem Fachkräftemangel. Gerade für ein expandierendes Unternehmen kann aber Personalmangel zum Problem werden. Wie sehen Sie die Situation? Wie gehen Sie vor, um geeignetes Personal für Ihre Filialen zu rekrutieren?
Der Beruf des Augenoptikers ist herausfordernd und vielfältig. Lange Zeit war der Verdienst jedoch in großen Teilen der Branche verhältnismäßig gering. Im Kontrast dazu machten die hohen Ausbildungskosten zusammen mit dem erheblichen Aufwand die Weiterbildung zur Augenoptikermeisterin wenig attraktiv. In den vergangenen Jahren hat sich die Situation verändert, Gehälter sind gestiegen und die Branche ist noch vielfältiger geworden. Dementsprechend sehen wir wieder mehr Absolventen der Meisterschulen. Auch wir sind immer auf der Suche nach qualifizierten und motivierten Mitarbeitern. Das ist selbstverständlich ein wichtiger Aspekt für unsere Expansion und hat auch Einfluss auf die Wahl von neuen Standorten. Wir suchen über verschiedene Kanäle. Digital in Sozialen Netzwerken, einem eigenen Infobereich auf unserer Website, aber auch klassisch mit Aushängen in Schulen und unseren Stores. Zusätzlich hilft die Zusammenarbeit mit Personalvermittlern.

Einzelhandelsmieten, insbesondere in hochfrequentierten Innenstadtlagen, werden immer teurer. Lohnt es sich überhaupt, in Top-Lagen zu investieren?
2020 hat Ace & Tate das „Responsible Retail Concept“ eingeführt, das die Art und Weise, wie und wo wir neue physische Einzelhandelsstandorte eröffnen, völlig neu gestaltet. Dieses neue Konzept stellt sicher, dass zukünftige Filialeröffnungen sowohl flexibel als auch modular sind, sodass Ace & Tate fließend und nachhaltig auf zukünftige Herausforderungen im Einzelhandel reagieren kann.

Sie hatten im Zuge der Corona-Krise die Expansionsbemühungen in Deutschland gebremst. Jetzt gibt es Anzeichen, dass die Pandemie zu Ende geht: Wie geht es weiter?
Wir gehen gestärkt aus der Krise hervor und haben die Zeit für interne Verbesserungen, wie zum Beispiel neue Produkte, genutzt. Unsere Expansion ist weiterhin ein wichtiges Thema. Angesichts des weiterhin vorsichtigen Kundenverhaltens und der nicht vorhersehbaren Entwicklung im Herbst/Winter gehen wir weiterhin mit Bedacht vor. Unser Fokus liegt zuerst auf dem Ausbau der Präsenz in größeren Standorten.

Das Gespräch führte Marcel Rotzoll