Klage gegen den Wohnzimmerverkauf

Frauen mit Sonnenbrillen
Brillenparty: Außer Spaß am Verkauf werden laut Homepage keinerlei Vorkenntnisse benötigt, um eine solche zu leiten.
© Screenshot www.Brillenparty.de

Manche Kunden freuen sich, wenn ihr Augenoptiker ihnen anbietet, eine Auswahl verschiedener Fassung ausleihen zu dürfen: Zuhause kann man die Modelle in Ruhe begutachten, verschiedene Outfits dazu testen, Freunde um ihre Meinung fragen und die Entscheidung ohne Hektik treffen. Ein Anbieter hat aus dieser Vorgehensweise ein Geschäftsmodell entwickelt und lässt auch durch fachfremde Personen Brillen im Wohnzimmer verkaufen.

Brillenpartys, die ähnlich wie die bekannten Tupperpartys funktionieren, sind aus Kundensicht vielleicht ein gutes Konzept. Es ist zumindest nachvollziehbar, dass sich einige Kunden im Fachgeschäft mit der Brillenauswahl schwertun. Im gemütlichen Kreis, zu Hause oder unter Freunden, steigt die Kauflaune und man entscheidet sich möglicherweise auch eher einmal für ein (zusätzliches) Modell, zu dem man sonst nicht gegriffen hätte. Werden gewisse Rahmenbedingungen erfüllt, ist eine Brillenparty beim Stammkunden möglicherweise sogar ein gelungenes Firmenevent für Augenoptikbetriebe. Nach anschließender Terminvereinbarung können alle nötigen relevanten Messungen im Betrieb ergänzt werden.

Brillenparty suggeriert eine Fachberatung

Fakt ist, dass dies bei dem Anbieter „Brillenparty“ nicht gemacht wird und die beworbene „Fachberatung“ Verbraucher in die Irre führen kann. „Brillenparty“ gibt es seit dem 2. April 2014 in Deutschland und seit dem 1. November 2017 auch in der Schweiz. In Deutschland wurde laut eigener Angaben das Personal im Jahr 2017 um 200 Prozent aufgestockt, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Dabei handelt es sich bei den sogenannten Brillenstylisten aber nicht immer um Augenoptikergesellen oder Augenoptikermeister. Denn außer dem Spaß am Verkauf werden laut Homepage (www.brillenparty.de) keinerlei Vorkenntnisse benötigt, um eine Brillenparty zu leiten; im Rahmen einer „kurzweiligen“ Schulung würde den Verkäufern „alles weitere“ beigebracht.

Anders als beim Internetkauf, wird bei „Brillenparty“ suggeriert, dass durch die „Fachberatung“ die passende Fassung unter Mithilfe der Stylistin ausgesucht wird. Auch wenn es eventuell noch Farb- und Stilberatungen gibt (wenngleich die Beispielbilder auf der Firmenhomepage dies nicht immer unter Beweis stellen können), ist es an dieser Stelle überflüssig zu erwähnen, worauf es neben den modischen Aspekten beim Fassungskauf ankommt.

Brillen
©Screenshot www.Brillenparty.de

„Günstiger als bei jedem Optiker“

Die sogenannten Visio-Rx-Stylisten bekommen bei „Brillenparty“ einen Musterkoffer mit Brillen gestellt und sind angehalten, ihn mindestens zweimal die Woche auf einer Party zum Einsatz zu bringen. Dafür wird ihnen ein Verdienst zwischen 1.600 und 2.000 Euro pro Monat versprochen. Vollzeit-Stylisten mit drei bis fünf Partys pro Woche haben sogar Aussicht auf bis zu 4.000 Euro im Monat – dazu kommen Boni für geworbene Visio-Rx-Stylisten.

Dass Qualität seinen Preis hat, ist bekannt und ob man bereits bei rund 70 Euro Komplettpreis für Einstärkenbrillen und rund 115 Euro für die Gleitsichtbrille (Stand Januar 2018) von solcher Qualität sprechen kann, sei einmal dahingestellt. So heißt es hier wohl eher „Der Preis ist heiß“, schließlich will „Brillenparty“ „günstiger als bei jedem Optiker“ sein.

Es macht ebenfalls angreifbar, zu schreiben, dass durch eine firmeneigene Softwarehilfe namens „Perfect-Fit“ sowohl die „perfekte Einpassung der Gläser in das Gestell“ ermöglicht als auch die „richtige Anpassung an die Gesichtsform“ sichergestellt wird. Ob dies der Fall ist, soll der Kunde nach Zustellung der Brille mithilfe aufgebrachter Zentrierpunkt auf den Gläsern im Spiegel überprüfen.

Anpassung der Brille über Videotutorials?

Die Software ermittle Pupillendistanz und eine Einschleifhöhe über eine Front- und eine Seitenaufnahme des Kunden mit seiner Fassung. Jeder, der mit einem Videozentriersystem arbeitet, weiß um die zu beachtenden Faktoren. Es ist fraglich, ob diese in den Schulungen ausreichend vermittelt werden. Eine vorangepasste Fassung ist jedoch bekanntlich Grundvoraussetzung für eine genaue Ermittlung der Zentrierdaten, was die Stylisten eher nicht leisten können. Eine Brillenparty-Teilnehmerin beschreibt im Internet, dass sie die Anpassung der erworbenen Brillen selbst übernehmen sollte. Über Videotutorials sollte sie die Anpassung mittels Fön, Zangen und diverser Werkzeuge erlernen. Da viele Brillenpartykunden wahrscheinlich eher den Augenoptikbetrieb für die Anpassung aufsuchen werden, sollte die Überlegung angestellt werden, diese Dienstleistung an Fremdbrillen kostenpflichtig durchzuführen.

Die Meinungen der Teilnehmer sind im Übrigen durchwachsen. Viele geben sehr gute Bewertungen für die Brillenpartys ab und freuen sich über günstige Preise und Brillenanprobe vor Ort. Aber auch schlechte Kritiken sind massig vorhanden. Es wird unter anderem bemängelt, dass der Service mit Erhalt der Brille aufhört und Dienstleistungen, wie beispielsweise die Brillenanpassung, nicht ausgeführt werden. Auch sind viele Kunden trotz Wahl der dünnsten Gläser enttäuscht, dass diese dennoch aus der Fassung ragen und sie sich somit als falsche Wahl herausstellten.

Wer steht nun hinter „Brillenparty“ und wie ist das Geschäftsgebaren rechtlich einzuordnen? Im Impressum der Brillenparty-Homepage findet sich die Visio Services International Limited, die auf Nicosia in Zypern firmiert. Visio-Rx ist beim Onlineanbieter Visio Services AG aus Wollerau in der Schweiz im Impressum gelistet.

Urteil von allgemeiner Bedeutung

Die Wettbewerbszentrale hat mit Schriftsatz vom 16. November 2016 unter anderem aufgrund einer Beschwerde des Zentralverbandes der Augenoptiker und Optometristen (ZVA) Klage beim Landgericht Essen eingereicht. Auch wenn Zypern zur EU gehört, sei es nicht prozessökonomisch, ein außerdeutsches Unternehmen zu verklagen. Der Prozess würde womöglich langwierig und teuer, so Dr. Jan Wetzel vom ZVA. Aus diesem Grund hat die Wettbewerbszentrale eine in Deutschland, genauer gesagt in Wuppertal, agierende und wohnende Person angegriffen. Grundsätzlich geht es der Wettbewerbszentrale dabei nicht um das konkrete Unternehmen „Brillenparty“, sondern um das allgemeine Geschäftsmodell. Anderenfalls könnte eine andere Firma eine ähnliche Art von „Party“ anbieten. Wird jedoch das Modell des Anbietens von Brillen im Stile von „Brillenparty“ untersagt, ist dies von allgemeiner Bedeutung.

Kundengespräch
©www.Brillenparty.de

Der Beklagten wird vorgeworfen, das Augenoptikerhandwerk auszuüben, ohne in der Handwerksrolle eingetragen zu sein. Sie gilt somit als Mittäterin. Im Rahmen von Verkaufsveranstaltungen habe sie Verbraucher mit Korrektionsbrillen versorgt, ohne dass sie zur selbständigen Ausübung des Augenoptikerhandwerkes berechtigt sei. Im August fand eine mündliche Verhandlung statt. In diesem Termin schien das Gericht gewillt zu sein, die Klage abzuweisen. Es wurde in Folge eines Schriftsatzes der Prozessbevollmächtigten der Wettbewerbszentrale jedoch anders entschieden und das Verfahren im Herbst wiedereröffnet. Erster Beschluss: Im März 2018 ist die von der Wettbewerbszentrale als Zeugin angebotene Kundin der Beklagten zu hören.

„Alles andere sei Wettbewerbsverzerrung“

Die Beklagte räumt bisher zwar ein, Glas- und Fassungsberatung anzubieten sowie den Pupillenabstand zu messen, argumentiert jedoch, dass es sich hier um einfache Tätigkeiten handeln würde, die nicht einem Augenoptikermeister vorbehalten seien.

„Es ist völlig absurd, so zu argumentieren“, findet Dr. Wetzel. „Der komplette Prozess der Brillenversorgung gehört in Meisterhand. Zwar sehe ich in der Brillenparty keine ökonomische Bedrohung für Augenoptiker, wohl aber eine Aufspaltung des Versorgungsprozesses.“ Es dürfe nicht gestattet werden, einzelne Schritte bis zur finalen Versorgung des Verbrauchers auszulagern, um somit Wettbewerbsvorteile zu erhalten. Alles andere sei Wettbewerbsverzerrung. Wetzel: „In Zeiten des Fachkräftemangels versuchen einige Firmen, in den Markt zu dringen und sich dabei die kostenintensive Meisterpräsenz zu sparen.“

Autorin: Claudia Büdel

Über den Ausgang der Klage wird die DOZ berichten.