Yun-Optik: „Clean, modern, ohne Schnörkel“

Das Bild zeigt MArc Schubert von Nun-Optik
Marc Schubert holt ein Glas aus dem Lager am "Verkaufstresen".
© DOZ: Ingo Rütten

Wir sind clean, modern, ohne Schnörkel“, beginnt Marc Schubert das Gespräch, „das ist koreanische Klarheit ohne Spielerei.“ Es ist Montagvormittag, zwei Minuten nach elf Uhr, Berlin-Mitte, das Stadtzentrum der Hauptstadt erwacht,  die Touristen haben das Frühstück und die Morgentoilette beendet und strömen auf die Straße – und Yun-Optik hat vor 120 Sekunden die Türen aufgeschlossen. Etliche der Passanten bleiben regelmäßig am Schaufenster von Yun-Optik stehen, besser noch; sie kommen ins Geschäft, was weniger an der ausgefallenen Dekoration und schon gar nicht an der auffallenden Außenleuchtreklame liegt. Letztere fehlt völlig. Abgesehen von Schriftaufklebern an den großen Fenstern, die den Blick ins Ladeninnere freigeben, deutet nichts darauf hin, dass hier innerhalb von 20 Minuten hochwertige Brillen ausgesucht, aufgesetzt und mit nach Hause  genommen werden können. Fast nichts, denn die enorme, industriell anmutende Fertigungsmaschine hinter der Scheibe schindet ungeheuren Eindruck und lockt die Leute an; sie vermittelt auch den Eindruck, dass die hier arbeitenden Menschen etwas tun, von dem sie Ahnung haben. 

Dieses Zuhause der flanierenden Kundschaft ist oft erst über den Flughafen  Tegel zu erreichen, denn mindestens die Hälfte der Kunden sind nur Gäste in der Stadt. Englisch ist deswegen nicht nur die Sprache beim Kundengespräch, sondern dient auch zur Verständigung unter den sieben Mitarbeitern. Mit dem Geschäftsführer, den hier alle nur CJ nennen, hat das nichts zu tun, obwohl der aus Korea  stammt. Chuljoo Yun ist nur selten in seinem Flagshipstore in Berlin, seinem bislang einzigen Store weltweit, was der koreanische Geschäftsmann schon in diesem Jahr ändern möchte. 

Yun, das ist ein koreanischer Brillenglashersteller, dessen Chef sich gefragt hat, warum er nicht auch direkt komplette Brillen verkaufen sollte. Fern der Heimat, im Zentrum Europas. Oder dort, wo eine der beiden Töchter lebt: in Berlin. Im  Oktober 2015 eröffnete CJ das Geschäft, die Kabel über der Eingangstür deuten noch auf Baustelle, ebenso scheint die deutsche Website des Unternehmens eine textliche Überarbeitung gut gebrauchen zu können. Während sich um die Leuchtreklame, die schon bald die Kabel hinter sich verschwinden lässt, anlässlich des Kundenandrangs zunächst niemand so richtig gekümmert hat, ist die Frage nach der Homepage an Schubert schon eher ein Tritt ins Fettnäpfchen. „Darum kümmere ich mich selber“, was allerdings recht schwierig ist, da die Texte zunächst aus dem Koreanischen ins Englische und dann ins Deutsche übersetzt werden müssen. 

Klarer Look zum Image des Unternehmens passend

Schubert vertritt seinen Vorgesetzten,  Store-Leiter Mirko Weiß, und erzählt, dass Yun-Optik auf rund 240 Quadratmetern hier drei Fassungskollektionen anbietet, deren klarer Look zum Image des Unternehmens passt. Die Komplettpreise von 99 Euro für Acetat- beziehungsweise 149 Euro für Titanfassungen (oder in der noch leichteren und flexibleren Variante aus Ultem) führen nicht zu zeitaufwendigen Diskussionen mit dem Kunden, höchstens zu Fragen, wie das möglich ist: Yun spart als Hersteller natürlich bei den Gläsern den Zwischenhandel komplett aus und lässt die Brillenfassungen auch gleich in der Nähe von Seoul für sich fertigen. Der 100 Euro starke Aufpreis für eine Brille mit Gleitsichtgläsern stört daher nur wenige Kunden, jedoch bedeutet diese Wahl, dass die Brille nicht wenige Minuten später vorne im Laden direkt neben der monströsen Schleifmaschine zusammengesetzt werden kann. Yun hat 12.000 Einstärkengläser mit bis zu wahrlich exotischen Werten auf Lager, natürlich alle voll vergütet und mit den üblichen Extras versehen. Gleitsichtgläser werden innerhalb von drei Tagen geliefert. Dieses unglaubliche Glaslager sorgt in den kommenden Wochen für rege Betriebsamkeit bei den Mitarbeitern, denn es gilt für die Sonnenbrillenkollektion samt 5.000 weiteren – diesmal getönten – Brillengläsern Platz zu schaffen. 

Yun-Optik verkauft stationär und online. Jeder Kunde muss sich ohnehin mit einem iPad noch vor der Refraktion ein digitales Kundenkonto erstellen, das spart tatsächlich Zeit und macht Nachbestellungen einfach. Im Laden gibt es dadurch eigentlich kein Papier: mit Ausnahme der Papiertüten der Lagergläser und der Bons, die mit Barcodes versehen die Kundendaten transportieren und den Verkaufs- und Beratungsvorgang bis zur Abgabe der Brille begleiten. Im Wartebereich vor den beiden offenen (!) Refraktionsräumen dominiert ein Fernseher, der anzeigt, wer wann und wo als nächster dran ist. Der Unterschied zum Straßenverkehrsamt: Wartezeiten gibt es kaum, die 20 Minuten von der Eingangstür bis zur neuen Brille sind in der Regel versehen mit etwas Nachspielzeit kein reines Marketing, sondern eher Realität. Auf diese Zeit ist jedenfalls die Schleifmaschine beziehungsweise deren gewendeltes Transportband ausgerichtet; sie könnte schneller, jedoch ließe das die getakteten und einzuhaltenden Abläufe im Store und vermutlich eher die Kunden als die Mitarbeiter „kollabieren“. 

Am Wochenende sind die 20 Minuten doch eher Theorie

Freitags und samstags allerdings sind die 20 Minuten dann für viele Kunden doch eher Theorie. „Je nachdem wie voll die Stadt ist, sind es am Wochenende gerne schon mal rund 80 Brillen, die wir an einem Tag machen“, sagt Schubert. Die zwanzig bis dreißig Brillen, die nach dem sonntäglichen Ruhetag wieder ab montags durch die Maschine laufen, sind nicht nur etwas für hippe Touristen, auch Rentner aus der Hauptstadt gehören zu den Kunden. Kontaktlinsen werden genauso wenig angepasst wie beispielsweise Vergrößernde Sehhilfen – zudem muss Schubert darauf verzichten, sein Wissen als frischer Master der Augenoptik / Optometrie anwenden zu können. „Nach Optometristen wird von den Kunden – gerade den internationalen – zwar gefragt, doch das optometrische Wissen nutzen wir in der Theorie. Soll ich einem Amerikaner auf der Durchreise wirklich den Fundus untersuchen?“

Das Konzept dürfte sich in weiteren Stores kaum ändern. Die Geschäftspartner, die CJ regelmäßig nach Berlin lotst und durchs Geschäft führt, sind ähnlich begeistert wie die meisten Kunden. Die vielen Berliner Augenoptiker, die schon mal inkognito reingesehen haben, waren allerdings auch meistens durch einen besonderen Gesichtsausdruck zu erkennen. Probleme gibt es mit den vielen Kollegen in der Nähe nicht, auch wenn sie vor allem wegen der Preise natürlich kritisch sein müssen. Dass man dafür bei Yun-Optik viele Brillen verkaufen muss, liegt auf der Hand. 

Für CJ, besser gesagt Chuljoo Yun, geht es aber auch darum, seine Brillengläser bekannt zu machen, fernab der Heimat – auch deswegen dient der Berliner Store als Showroom. Ob der koreanische  Unternehmer das bald in einer weiteren deutschen Stadt macht, vielleicht in Hamburg oder München? Viele Städte werden für solch ein Konzept kaum infrage kommen.