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DOZ
12 | 2013
AKTUELL
RECHTSLAGE
Augenoptiker und Augenärzte stehen – teilweise – im Wettbewerb zueinander.
Wenn es um die Refraktionsbestimmung oder optometrischen Dienstleistungen
geht, sind sie gewissermaßen Konkurrenten. Das ist nicht neu. Neu sind auch nicht
die Abgrenzungsbemühungen. Vereinfacht lautete bisher die Abgrenzungsformel:
Testen, Messen und Auffälligkeiten aufdecken – das dürfen (auch) Augenoptiker;
Diagnostizieren – das dürfen (nur) Augenärzte. Nun hat das Verwaltungsgericht
Düsseldorf in einem Urteil vom 23. September 2013 (Aktenzeichen 7 K 6749/12)
einen neuen Begriff ins Spiel gebracht: die Verdachtsdiagnose. Sie kann ein Mittel
sein, die Kommunikation zwischen Augenoptikern und Kunden deutlich zu ver-
bessern.
Geklagt hatte ein staatlich geprüfter
Augenoptiker mit anglo-amerikanischer
Optometristen-Ausbildung. Bislang führ-
te der bei seinen Kunden optometrische
Messungen durch, um Auffälligkeiten an
den Augen festzustellen. Handelte es sich
um behandlungsbedürfte Auffälligkeiten,
so empfahl er den Kunden einen Arztbe-
such. Dieser Untersuchungsablauf war
für den Augenoptiker ein Ärgernis. Denn
im Anschluss an seine Empfehlung kam
es immer wieder zu Nachfragen der Kun-
den, die er nicht aufrichtig beantworten
durfte. So musste er Fragen zu Augen-
erkrankungen immer abblocken oder re-
lativieren, gleichzeitig aber die Kunden
von der Notwendigkeit eines Arztbe-
suches überzeugen. Um diese Kommuni-
kationsschwierigkeiten zu beseitigen,
beantragte er eine Teil-Heilpraktikerlaub-
nis, beschränkt auf das Organ „Auge“
und das visuelle System. Mit dieser
Erlaubnis wollte der Augenoptiker das
Recht erhalten, seinen Kunden mitzutei-
len, welche konkrete Augenerkrankung
aus seiner Sicht vorliegt.
Behörde versagte
die gewünschte
Heilpraktikererlaubnis
Gegenüber der Behörde wies er darauf
hin, dass das Bestehen einer fachlichen
Prüfung nicht Voraussetzung für die
Erteilung der Heilpraktikererlaubnis sein
dürfe. Schließlich habe er in den USA die
Prüfung zum Optometristen bestanden,
sodass er unter anderem in Großbritan-
nien und in den Niederlanden berechtigt
sei, Diagnosen zu stellen und dabei auch
Medikamente zu verabreichen. Die Be-
hörde sah dies anders und versagte die
gewünschte Erlaubnis.
Im Ergebnis bestätigte das Verwal-
tungsgericht Düsseldorf die behördliche
Entscheidung, aber mit einer unerwar-
teten Begründung: Die Heilpraktiker-
erlaubnis sei nicht zu erteilen, da sie dem
Augenoptiker keine beruflichen Vorteile
gebe. Bereits aufgrund der Augenopti-
kermeisterverordnung sei er berechtigt,
gegenüber den Kunden eine „Verdachts-
diagnose“ auszusprechen. Die abschlie-
ßende Diagnose, Grundlage der ärzt-
lichen Behandlung, bleibe ohnehin dem
Arzt vorbehalten. Bei Lichte betrachtet,
so das Gericht, sei bereits die an den
Kunden gerichtete fachliche Empfehlung
des Augenoptikers, einen Arzt aufzu-
suchen, eine Verdachtsdiagnose: Was
anderes, als der Verdacht einer Augener-
krankung, soll Grund für die Empfehlung
sein? Natürlich hege der Augenoptiker
einen Krankheitsverdacht. Er würde doch
nie einen aus seiner Sicht eindeutig ge-
sunden Kunden an einen Arzt verweisen.
Verwaltungsgericht
hat Recht
Das Verwaltungsgericht hat Recht: Es
gibt in der Tat keinen (rechtlich relevan-
ten) Unterschied zwischen dem Hinweis
„Ich habe bei Ihnen abklärungsbedürfte
Auffälligkeiten an den Augen festgestellt.
Bitte gehen Sie zu einem Augenarzt“ und
„Ich habe den Verdacht, bei Ihnen liegt
eine Katarakt vor. Bitte gehen Sie zu einem
Augenarzt“. In beiden Fällen besteht bei
Kunden mit chronisch-degenerativen
Augenerkrankungen die (theoretische)
Gefahr, dass durch das Nichterkennen
von erheblichen Veränderungen eine
frühzeitige Feststellung und Behandlung
der Erkrankung verzögert wird. Ohne
die Gefahr zu bagatellisieren, so ist sie
deswegen nur theoretisch, da Kunden
mangels Beschwerden eine bestehende
chronisch-degenerative Augenerkran-
kung (zunächst) nicht bemerken und des-
halb keine Veranlassung haben, sich ärzt-
lich untersuchen zu lassen. Konsequent
merkte das Bundesverfassungsgericht im
Screening-Beschluss aus dem Jahr 2000
an, die Gefahr bestehe nur bei unwissent-
lich erkrankten Menschen, die durch eine
(falsche) optometrische Untersuchung
von einem geplanten Arztbesuch ab-
gehalten werden. Diese Gefahr könne
bereits durch einen einfachen Hinweis
begegnet werden: „Ich habe heute nichts
Verdächtiges/Auffälliges feststellen kön-
nen. Allerdings kann das Vorliegen einer
ernsthaften Augenerkrankung nur ein
Arzt ausschließen. Generell empfehle ich
Ihnen einen regelmäßigen Besuch beim
Augenarzt.“
Ausblick
Was bedeutet diese Entscheidung nun
für die Praxis, für die Augenoptiker in
Deutschland? Wenn ein Kunde mit einem
konkreten Krankheitsverdacht konfron-
tiert wird, dann führt dies für ihn unwei-
gerlich zu einer enormen psychischen
Belastung. Deshalb sollte niemand leicht-
fertig schwerwiegende Erkrankungen ins
Blaue „diagnostizieren“. Daher muss
jeder Augenoptiker, der beabsichtigt, sei-
ne Kunden nach einer optometrischen
Untersuchung mit einem konkreten
Krankheitsverdacht zu einem Arzt zu
schicken, vorher kritisch seine eigenen
fachlichen Kompetenzen prüfen; Berufs-
abschlüsse sind zweitrangig. Auch ZVA-
Präsident Thomas Truckenbrod mahnt:
„Das absolute Minimum sollten die Kom-
petenzen sein, die mit der Weiterbil-
dungsprüfung „Optometrist (HWK/ZVA)“
erworben werden können. Regelmäßige
Weiterbildung ist unverzichtbar, um das
Fachwissen stets aktuell zu halten.“
n
Dr. Jan Wetzel
Verdachtsdiagnose:
Neues aus der Grauzone
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