DOZ_11_2013 - page 2

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DOZ
11 | 2013
Die DOZ-Leser, die wissen, dass ich in
Düsseldorf eine Außenredaktion habe,
freuen sich dank der Überschrift schon
auf ein bisschen Fußball…Nein, es geht
diesmal nicht um das runde Leder, nicht
um den beliebten Zweitligisten. Es geht
um Glück.
Als jüngst auf der Obermeistertagung
in Potsdam ein junger Optometrist ans
Mikrophon trat und von seinen Irrungen
und Wirrungen zu seinem neuen beruf-
lichen Glück sprach, hätte man – wahr-
scheinlich noch trotz des Teppichbodens
in dem Tagungsraum – eine Stecknadel
fallen hören können. So still war es im
Auditorium. Der Mann wagte vor 14 Jah-
ren den Schritt in die Selbstständigkeit.
Sein Standort, Schmalkalden, liegt im
Südwesten von Thüringen, eine gemüt-
liche Fachwerk- und Hochschulstadt
südwestlich des Thüringer Waldes. Kopf-
steinpflaster auf dem Marktplatz, ein
Brunnen mit Straßencafes, die im Som-
mer zum Verweilen einladen. Eine Bilder-
buchkulisse an Beschaulichkeit. Könnte
man meinen.
Was sich hinter der Fassade des Fach-
geschäftes des Vortragenden abspielte,
war ab 2008 ein ganz anderes Szenario:
Im Rahmen der Weltwirtschaftkrise fielen
die Umsätze. Zu allem Überfluss rissen
Bauarbeiter direkt vor dem Laden die
Fahrbahn auf. Ein Mitbewerber setzte
preisaggressiv auf Gleitsichtbrillen für
89 Euro. Das war die Zeit, in der sich der
Augenoptikermeister mit seiner Frau –
ebenfalls Meisterin – zusammensetzte,
um sich Gedanken zu machen: „Was
können wir an unserem Geschäftsprofil
ändern?“
Ein Flyer mit einem Hinweis zum The-
ma Fortbildung und „Screening“ flatterte
dabei durch das Büro: „Ob das weiter-
hilft?“, meinte die bessere Hälfte. Das
Papier landete erst mal im Papierkorb. Um
später wieder herausgeholt zu werden…
„Opto-was?“, so lautet das Ende vom
Lied. Denn nicht nur Kunden fragen, was
das denn nun sei: ein Optometrist. Die
harte Zeit der Ausbildung begann im
März 2009 und dauerte ein Jahr. Allge-
meinmediziner, Augenärzte, Betriebswirte
und Biochemiker paukten ihr Wissen in
die Köpfe von 36 Willigen, darunter viele
Selbstständige. Obwohl sie sich nur
schwer erlauben können, ihr Geschäft
sieben Wochen im Stich zu lassen, um
dann jeden Abend nochmal zwei bis
drei Stunden zu lernen. In diesem Einzel-
fall war dies nur mit Unterstützung der
Lebensgefährtin möglich.
250 Unterrichtsstunden und sieben
Mal von Mittwoch bis Sonntag raus aus
dem Geschäftsalltag, rein ins Büffeln. Mit
jeweils sechs Wochen Pause. Ein Akade-
mie-Tag dauerte von acht bis 16.30 Uhr.
Und dann die Prüfung. Die Theorie wurde
an einem Tag abgehandelt und gliederte
sich in zwei große Teile. Dabei mussten
mehr als 300 Fragen beantwortet wer-
den: rund um Herz, Nieren, Leber…Der
Test reichte weit in die Anatomie des
Menschen. Zwei Monate später folgte der
praktische Teil, in dem fünf Stunden lang
geprüft wurde, ob man die gängigen
Tests, von Gesichtsfeld- über Druckmes-
sungen und Anamnese beherrscht. „Von
36 Teilnehmern schafften zwölf den
theoretischen Teil auf Anhieb“, plaudert
der Fachmann auch auf seiner Internet-
seite geschickt aus dem Nähkästchen.
Doch nicht genug: Er sattelte in den
vergangenen zwei Jahren seinen Heil-
praktiker-Abschluss obendrauf.
Selbstzweifel haben ihn gequält, kri-
tische Fragen aus dem augenoptischen
Kollegenkreis, von Mitarbeitern und der
Familie. Doch jetzt ist er froh: Seine Ar-
beit ist erfüllender geworden. Er ist zu-
frieden mit dem, was er tut – das merken
die Kunden. Sein Dienstleistungsumsatz
hat sich von zwei auf sechs Prozent ge-
steigert: nichts zum Überleben, aber um
sich von der Konkurrenz abzusetzen.
Aus der Bedrängnis heraus fand sich
hier wohl auch ein Stück ganz persön-
liches Glück.
Beeindruckt
EDITORIAL
Christine Höckmann
DOZ Chefredakteurin
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