DOZ 9-2013 Vorschau - page 2

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DOZ
09 | 2013
Im 18. Jahrhundert war durch massiven
Raubbau der Wald bis auf wenige, den
Adligen zur Jagd vorbehaltene Forste fast
vollständig aus Mitteleuropa verschwun-
den. In dieser Situation verfasste Hans
Carl von Carlowitz (1645–1714) das Buch
„Sylvicultura Oeconomica“, welches zur
Ostermesse 1713 – also vor genau 300
Jahren – in Leipzig erschien. Hier findet
sich erstmalig der Begriff „Nachhaltig-
keit“. Seinerzeit war es ein wichtiges
ökonomisches Anliegen, „wie eine […]
Conservation und Anbau des Holtzes anzu-
stellen [seien] / daß es eine continuirliche
beständige und nachhaltige Nutzung gebe
/ weil es eine unentbehrliche Sache ist.“
Carlowitz – Oberberghauptmann aus der
Bergbaustadt Freiberg in Sachsen – for-
derte nachhaltiges Wirtschaften aus Sor-
ge darum, dass dem sächsischen Berg-
bau das Grubenholz ausginge.
Ursprünglich war Nachhaltigkeit ein
Thema der Forstwissenschaften. Erst seit
den 1980er Jahren im vergangenen Jahr-
hundert hat auch die Politik diesen Be-
griff für sich entdeckt. Nachhaltigkeit wird
nach dem heute favorisierten Drei-Säulen-
Modell auf ökologische, ökonomische
und soziale Nachhaltigkeit beschränkt.
Die Rubrik „Green DOZ“ widmet sich ver-
stärkt Themen der ökologischen und öko-
nomischen Nachhaltigkeit.
Eine allgemeinere Bedeutung von
Nachhaltigkeit sieht in ihr den Inbegriff
von Dauer, Beständigkeit oder Nachwir-
kung von Entscheidungen und Handlun-
gen. Jeder Mensch muss jeden Tag Ent-
scheidungen treffen, deren Auswirkungen
weit über den Tag hinaus fortbestehen
können. Ein junger Mensch, der sich für
eine Lasik-Operation entscheidet, muss
unter Umständen mit Komplikationen
leben, die ein Leben lang fortbestehen
und die er im jugendlichen Eifer nicht er-
kannt hat oder erkennen wollte.
Gilt Nachhaltigkeit auch für Wissen?
Wie lange wirkt einmal erworbenes Wis-
sen nach? Während sich natürliche Res-
sourcen wie Erdöl oder Holz durch Aus-
beutung erschöpfen können, wird die
Ressource „Wissen“ nicht weniger, wenn
man sie benutzt oder mit anderen teilt.
Hier besteht folglich kein Nachhaltig-
keitsproblem; dieses entsteht an ande-
rer Stelle. Wissen – genauer betrachtet
wissenschaftlich-technisches Wissen –
veraltet, altes Wissen muss durch neues
Wissen, das durch Forschung und Ent-
wicklung gewonnen wird, ersetzt wer-
den. Früher „wussten die Alten durch
Erfahrung mehr als die Jungen. Um fit
zu bleiben, muss man heute mit der Ab-
schreibung des eigenen Wissens umgehen
können“, formulierte Hariolf Grupp vom
Fraunhofer Institut für Innovationsfor-
schung in Karlsruhe. Lebenslanges Lernen
ist die logische Konsequenz der begrenz-
ten Nachhaltigkeit des wissenschaftlich-
technischen Wissens. Hier leistet die
DOZ mit ihren Fachbeiträgen und Opto-
metrie-Artikeln einen Beitrag.
Glücklicherweise gibt es aber auch
Wissen mit nachgewiesener Nachhaltig-
keit; dies lässt sich dem Begriff „Bildung“
zuordnen.
Dem ersten Bundeskanzler wird in An-
lehnung an ein Kölsches Sprichwort der
Ausspruch zugeschrieben (hier in hoch-
deutscher Diktion): „Was interessiert mich
mein Geschwätz von gestern.“ Der zweite,
meistens nicht zitierte Teil des Sprich-
worts lautet: „Nichts hindert mich, weiser
zu werden.“
Dr. Andreas Berke
EDITORIAL
Dr. Andreas Berke
Vorsitzender des Wissenschaftlichen
Beirates der DOZ und Dozent an der
Höheren Fachschule in Köln.
Schreiben Sie uns Ihre Meinung!
Wie nachhaltig
ist Wissen?
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