Der retinale Venenverschluss (RVV)

abstraktes Bild vom Auge
Ein Praxisfall: Der retinale Venenverschluss.
© AdobeStock / Yucel Yilmaz

Retinale Venenverschlüsse stellen die häufigste primäre Durchblutungsstörung des Auges dar. Dabei ist der Zentralvenenverschluss (ZVV) die zweithäufigste vaskuläre Erkrankung der Netzhaut nach der diabetischen Retinopathie. Ein drohender Zentralvenenverschluss ist eine seltene, schlecht definierte Erkrankung, die sich zurückbilden oder zu einem vollständigen Venenverschluss entwickeln kann. Charakteristisches Leitsymptom ist das Verschwommensehen, das beim Aufwachen am stärksten ist und später nachlässt. [1, 2, 5] Ein Praxisfall.

Anamnese

Ein langjähriger Kunde stellt sich im Rahmen unseres Augenfürsorge-Programms zur jährlichen Kontrolle vor. Der 68-Jährige konnte seit unserer vorigen Augenglasbestimmung keine großen Sehveränderungen feststellen. Die zu diesem Zeitpunkt neu angefertigte Gleitsichtbrille leistet hervorragende Dienste und somit konnte er auch die anschließende Lkw-Prüfung mit Bravour bestehen.

Heute berichtet er von seiner veränderten körperlichen Konstitution. Zu seiner lang bestehenden rheumatischen Erkrankung kommen seit einigen Monaten eine signifikante Steigerung des Blutdrucks mit Vorhofflimmern, eine Gewichtszunahme und Veränderung der Cholesterinwerte. Auf diese Veränderungen führt er das leichte, morgendliche Schleiersehen auf dem rechten Auge zurück.

Die Medikamentenanamnese zeigt folgende Aufstellung:

Medikament Anwendung
Allopurinol erhöhte Harnsäurewerte
Candecor comp.

erweitert indirekt die Blutgefäße

Simavastatin ratio Cholesterinsenker
Bisoprolol ß-Blocker, Blutdrucksenker
Lixiana Vorbeugung von Schlaganfall und Embolie bei Vorhofflimmern
Ezetrol ergänzt die cholesterinsenkende Wirkung

Familienanamnese: Bluthochdruck

Soziales Umfeld / Beruf: Rentner, Lkw-Fahrer

Letzter Augenarzttermin 2017: alterstypischer Normbefund

Symptome und Befunde

Visuelles System

  • Gleitsichtbrille
  • keine Doppelbilder
  • keine asthenopischen Beschwerden
  • leichtes Nebligsehen mit dem rechten Auge
  • veränderte Farbwahrnehmung: blau-gelb

Optometrische Messungen: 6/2018 –  Vorjahresbefund

Führungsauge: OS

Pupillenreaktionstest

  • beide Augen (OU): 4,5 mm bei Dunkelheit, 3,0 mm bei Helligkeit
  • kein relativer afferenter Pupillendefekt (RAPD) – (Swinging-Flashlight-Test)
  • veränderte Farbwahrnehmung: blau-gelb → durch Ishihara bestätigt

Visus getragene Brille: 1/2011

  • Ferne  R: sph -1,25 cyl +1,50 A   72° Vcc 0,8+, L: sph -0,75 cyl +0,75 A 114° Vcc 0,8
  • Nähe: Add. 2,25

Augenglasbestimmung:

  • Ferne  R: sph -1,50 cyl +1,25 A   79° Vcc 1,0, L: sph -1,00 cyl +0,50 A 108° Vcc 1,00
  • Nähe: Add. 2,50 für circa 38 cm Vcc 0,9+

Binokularsehen: ohne pathologische Befunde

Kontrastempfindlichkeit

  • OD/OS: entsprechend der Altersnorm

Vorderkammertiefe (mm): OD: 2,77 – OS: 2,87
Augeninnendruck (IOP) 9.30 Uhr – NCT

  • OD: 13,0 mm/Hg – 15,8 mm/Hg  (korrigiert nach Dresdner Tabelle)
  • OS:  11,0 mm/Hg – 13,4 mm/Hg  (korrigiert nach Dresdner Tabelle)

Augenhintergrund (Abb. 1 und 2)

  • Glaskörper: normal OU
  • Papille: normal OU
  • Cup to Disc Ratio: 0,2 OU
  • Makula: normal OU
  • Gefäße: Arterien-Venen-Verhältnis: 0,5
  • Peripherie: normal OU

Optometrische Messungen: 4/2019

Augenhintergrund (Abb. 3 und 4)

Visus cc OD: von 0,95 (6/18) auf 0,1 mit Metamorphopsien – OS: 1,0

Nachfrage beim Kunden: Um einen möglichen, drohenden Schlaganfall oder Herzinfarkt auszuschließen wurde nach genauen Symptomen gefragt:

  • keine latente Parese oder Schmerzen im linken Arm
  • keine feinmotorischen Störungen und Gangunsicherheit
  • keine Angstzustände
  • kein Herzrasen

Pupillenreaktionstest

  • kein relativer afferenter Pupillendefekt (RAPD) – (Swinging-Flashlight-Test)
Bild links: rechte zentrale Netzhaut. Bild rechts: linke zentrale Netzhaut. Bei der Fundusfotografie konnten ausschließlich alterstypische  Veränderungen festgestellt werden, die sich innerhalb der Normvarianz befanden.
Bild links: rechte zentrale Netzhaut. Bild rechts: linke zentrale Netzhaut. Bei der Fundusfotografie konnten ausschließlich alterstypische Veränderungen festgestellt werden, die sich innerhalb der Normvarianz befanden.

Verdachtsdiagnose

Der Kunde leidet an einem Hemizentralvenenverschluss des rechten Auges. Das zeigt sich in den typischen Punkt- und Fleckblutungen in der unteren Netzhauthälfte sowie am stak reduzierten Visus mit Metamorphopsien. Im linken Auge konnten keine Auffälligkeiten gefunden werden.

Behandlung

Wir haben sofort den Augenarzt des Kunden von unserem vorliegenden Fotobefund und dem reduzierten Visus unterrichtet. Daraufhin wurde der Patient von seinem Schwiegersohn direkt in die Praxis gebracht, wo sich unsere Verdachtsdiagnose bestätigte.

(3) rechte zentrale Netzhaut mit multiplen, teils flammenförmigen Punkt- und Fleckblutungen § (4) linke zentrale Netzhaut ohne  Auffälligkeiten § Für die bessere Erkennbarkeit der Einblutungen wurde ein Grünfilter (rotfrei) verwendet.
Bild links: rechte zentrale Netzhaut mit multiplen, teils flammenförmigen Punkt- und Fleckblutungen. Bild rechts: linke zentrale Netzhaut ohne  Auffälligkeiten. Für die bessere Erkennbarkeit der Einblutungen wurde ein Grünfilter (rotfrei) verwendet.

Die weitere Diagnostik und Behandlung wurde dann von der Universitätsaugenklinik Freiburg durchgeführt. Rückblickend stellt sich die Frage, ob die veränderte Blau-Gelb-Farbwahrnehmung auf die Medikamenteneinnahme zurückzuführen oder erste sanfte Hinweise auf das Netzhautgeschehen waren (siehe Symptome und Befunde).

Informationen aus der Notfallsprechstunde – Klinik für Augenheilkunde

Es zeigte sich im OCT kein Makulaödem. In der Angiographie fanden sich keine neovaskulären Areale. Somit sind intravitrale Injektionen oder eine Laserkoagulation aktuell nicht angezeigt. Empfohlen werden regelmäßige Kontrollen beim niedergelassenen Augenarzt und eine weitere kardiovaskuläre Abklärung über den Hausarzt.

Fluoreszenzangiographie nach 65 Sekunden

Bild 5 u 6
Bild links: rechte zentrale Netzhaut. Bild rechts: linke zentrale Netzhaut - Bei der Fluoreszenzangiographie zeigt sich das Fehlen von Neovaskularisationen und Hypofluoreszenz in der zentralen Netzhaut. Zum Vergleich findet im linken Auge kein Flüssigkeitsaustritt statt.

Diskussion

Der ischämische Zentralvenenverschluss ist durch einen sich rasch entwickelnden Verschluss charakterisiert, der eine verminderte Netzhautperfusion, Kapillarverschlüsse und Netzhauthypoxie zur Folge hat. Dies kann zu einer erheblichen Gefäßleckage, Rubeosis iridis und einem Neovaskularisationsglaukom führen.
Bei venösen Thrombosen bildet sich das Blutgerinnsel am Ort der Verstopfung. Am Auge sind das meist funktionelle Engstellen, wie der Durchtritt der Zentralvene durch die Lamina cribrosa sclerae oder an Gefäßkreuzungen. Als Auslöser zählen Gefäßwandschäden, herabgesetzte Blutflussgeschwindigkeit und veränderte Blutzusammensetzung (Virchow-Trias). Grundlage ist häufig eine sklerotische Wandveränderung einer Begleitarterie, die dann Druck auf die Vene ausübt. Bei arterieller Hypertonie, hohem Intraoklulardruck, Diabetes mellitus oder Blutgerinnungsstörungen treten Venenverschlüsse häufiger auf.

Die Symptome eines retinalen Venenverschlusses entwickeln sich innerhalb von Stunden oder wenigen Tagen. Betroffene bemerken plötzlich einen dunklen Schleier vor dem Auge, andere eine Verzerrung beim Sehen (Metamorphopsien). Das wichtigste Symptom ist eine verminderte Sehschärfe. Ausgeprägte Beschwerden gehen aber meist nicht auf das Konto des Venenverschlusses selbst, sondern werden von einem Makulaödem verursacht. Die meisten akuten Veränderungen bilden sich über die folgenden neun bis zwölf Monate zurück. Restbefunde können eine epiretinale Gliose in der Makula und Pigmentveränderungen sein. Selten entwickelt sich eine subretinale Fibrose, die der exudativen altersbedingten Mauladegeneration gleicht.

Ein bestehender Bluthochdruck ist der einflussreichste Faktor bei der Entstehung eines retinalen Venenverschlusses – ein Problem, das Raucher und Menschen mit Diabetes mellitus überdurchschnittlich häufig betrifft. Auch ein zu hoher Cholesterinwert oder ein gesteigerter Harnsäuregehalt des Blutes erhöht das Risiko. Im Auge selbst kann ein erhöhter Augeninnendruck (Glaukom) einen Venen verschluss auslösen.

Je nachdem, welche Vene verschlossen ist, unterscheidet man zwei Arten des retinalen Venenverschlusses:

Ist die Zentralvene betroffen, liegt ein Zentralvenenverschluss (ZVV) oder auch Zentralvenenthrombose vor. Hier ist der Blutabfluss aus der gesamten Netzhaut gestört. Ein solcher Zentralvenenverschluss deutet sich durch Verschwommensehen an. Sind die kleineren Äste der Zentralvene blockiert, handelt es sich um einen Venenastverschluss (VAV). Meistens ereignet er sich dort, wo sich Arterien und Venen kreuzen. Ein Venenastverschluss verläuft meist günstiger, der Sehverlust ist milder und oft auf einen bestimmten Teil des Gesichtsfelds begrenzt. [1, 2,3, 4, 5]

Fazit

Notfälle am Auge frühzeitig erkennen, die Situation korrekt einschätzen und richtig handeln, das liegt heute auch in der Verantwortung der Augenoptiker und Optometristen.

Die DOZ veröffentlicht unter der Rubrik Optometrie Beiträge, die vom Wissenschaftlichen Beirat der DOZ begutachtet, auf ihre fachwissenschaftliche Tragfähigkeit überprüft und freigegeben wurden. Nähere Auskünfte erteilt die Chefredaktion unter schenk@doz-verlag.de - der Artikel wurde in der Ausgabe 08/2019 veröffentlicht.


Autor: Randy Freitag (EurOptom, Heilpraktiker) ist Gründer des Augen-Fürsorgezentrums sowie Inhaber von Hoffmannoptik in Neuenburg und Müllheim.


Literatur

[1] Klinische Ophthalmologie, Kanski, Unban & Fischer,  6. Auflage
[2] A. Burk, R. Burk; Checkliste Augenheilkunde; Thieme- Verlag, 1999
[3] A. Berke, Allgemeinerkrankungen und das Auge,  DOZ-Verlag, 2. Auflage, 2009
[4] A. Berke, Ch. Rauscher, Altern und Auge, DOZ Verlag, 2007
[5] www.uniklinik-freiburg.de/augenklinik