Wie sinnvoll ist der „Formelfall der Brillenglaszentrierung“?

Fassung mit jeweils einem Brillenglas mit jeweils einem Prisma
Bei einer Prismenbrille kommt es auf die korrekte Zentrierung der Brillengläser an.
© IVBS / Nicola Stollenwerk

Die Anforderungen an eine erfolgreiche Brillenglasversorgung von Patienten/Kunden mit einer Heterophorie sind vielfältig. Ein wichtiges Thema ist die korrekte Zentrierung prismatisch wirkender Brillengläser, da es hier zu einer gegenseitigen Beeinflussung von Zentrierdaten und prismatischer Wirkung kommen kann. Bei der Bestimmung der prismatischen Korrektion werden hinsichtlich der Zentrierung der Mess- und Korrektionsgläser unterschiedliche Strategien verfolgt. Hier sind die „Pupillenmittenzentrierung“ (PMZ) und der „Formelfall der Brillenglaszentrierung“ zu unterscheiden. Beide Zentrierstrategien besitzen Vor- und Nachteile. Um mögliche Fehler zu vermeiden, werden diese hier aufzeigt und mit einem praxisbezogenen Vorschlag zur sach- und fachgerechten Anfertigung prismatischer Korrektionsbrillen ergänzt.

Zu Beginn einer Korrektionswertermittlung muss die Messbrille exakt so ausgerichtet werden, dass monokular die Fixierlinie des rechten beziehungsweise linken Auges durch die Mitten der Mess gläser verläuft. Geht man davon aus, dass diese die Verbindungsgerade zwischen dem in der Fovea-Mitte abgebildeten Objektpunkt und der Mitte der Eintrittspupille des Auges darstellt, so erfolgt die Ausrichtung der Messgläser auf Pupillenmitte.[1] Wenn nun die Vorneigung der Messbrille entsprechend der geforderten Nullblickrichtung für die Ferne des Klienten 0° beträgt, sind sowohl Bezugspunkt- als auch Augendrehpunktforderung eingehalten. [2]

Nach Durchführung der monokularen Refraktionsbestimmung für die Ferne erfolgt die Heterophorie-Bestimmung. [3] Bei dieser werden die auf das Augenpaar bezogenen prismatischen Messwerte für die Ferne ermittelt. Verwendet man die Teste der Mess- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase (MKH), so ermöglichen die am Kreuztest eingesetzten Messprismen es dem heterophoren Augenpaar, in Richtung seiner Ruhestellung abzuweichen. Folglich wird nicht mehr durch die optischen Mittelpunkte der bei der monokularen Refraktionsbestimmung ermittelten sphärischen und zylindrischen Messgläser geblickt. Dies hat weitreichende Folgen hinsichtlich der nun vor dem Auge tatsächlich vorhandenen prismatischen Wirkung. Um sich diesem Problem verständlich zu nähern, soll das System Auge-Messbrille näher betrachtet werden. Abbildung 1 in der Bildergalerie am Ende des Artikels zeigt ein Auge, das durch ein prismatisches Messglas schaut. Die Abweichung in Richtung Ruhestellung soll durch den Abstand (Δx) zwischen Durchblickpunkt in Ruhestellung (DR) und Durchblickpunkt bei ursprünglicher Pupillenmittenzentrierung (DP) des Messglases verstanden werden. Aufgrund der Ablenkung des Hauptstrahls zur Basis der prismatischen Wirkung des Messprismas erfolgt die Abweichung des Auges entgegengesetzt dieser Basislage.

Es wird ersichtlich, dass die Größe der Abweichung (Δx) in Richtung Ruhestellung von der Ablenkung (α) des Hauptstrahls und somit von der prismatischen Wirkung (P0) des Messglases sowie vom Hornhautscheitelabstand (HSA) beziehungsw. Drehpunkt-Scheitelabstand (bʹ) abhängt. Δx lässt sich durch folgende Formel berechnen:

Formel Brillenglaszentrierung

Δx in mm, b′ in mm, P0 in pdpt (1)

Mit zunehmender prismatischer Wirkung des Messglases und zunehmendem HSA vergrößert sich diese Strecke Δx - s. Abbildung 2 weiter unten in der Galerie.

Ein Messglas mit einer prismatischen Wirkung von 1,0 pdpt hat folglich eine Abstandsänderung der Durchblickpunkte von 0,25 mm bezogen auf einen HSA von 12 mm zur Folge. Beträgt der HSA jedoch 16 mm, erhöht sich dieser Abstand auf 0,30 mm.

Der PMZ-Fall der Brillenglaszentrierung

Da der Heterophorie-Bestimmung bereits eine monokulare Refraktionsbestimmung für die Ferne vorausgegangen ist, befinden sich im Normalfall die ermittelten sphärischen und zylindrischen Messwerte in der Messbrille. Aufgrund eines zusätzlich eingesetzten Messprismas und der dadurch bedingten Abweichung in Richtung Ruhestellung der Augen wird nicht mehr durch die optischen Mittelpunkte der sphärischen und zylindrischen Messgläser geblickt. Es ergibt sich eine prismatische Nebenwirkung als eine unendliche Reihe von immer kleiner werdenden Abweichungen aus der ursprünglichen Pupillenmittenzentrierung in Richtung Ruhestellung. Die prismatische Gesamtwirkung setzt sich so aus dieser prismatischen Nebenwirkung und der Wirkung des eingesetzten Messprismas zusammen. An einem Beispiel soll dies näher erläutert werden - s. Abbildung 3 in der Galerie.

Mit einem HSA von 15 mm befindet sich ein Messglas mit sphärischer Wirkung (Sʹ) von +8,0 dpt vor dem Auge des Klienten. Aufgrund der Pupillenmittenzentrierung sieht das Auge durch den optischen Mittelpunkt dieses Glases. Wird nun ein Messglas mit prismatischer Wirkung (P0) von 4,0 pdpt in die Messbrille eingesetzt, beginnt das Auge sich aufgrund dieser prismatischen Wirkung entgegengesetzt der Basislage dieses Messprismas in Richtung Ruhestellung zu drehen. Nach Formel 1 entspricht diese Abweichung von der Pupillenmittenzentrierung Δx = 1,14 mm (Abb. 3 (Reihe 1); Tab. 1 (Reihe 1)). Dies bedeutet, der Durchblickpunkt liegt nun 1,14 mm neben dem optischen Mittelpunkt des Messglases mit sphärischer Wirkung. Unter Berücksichtigung der einfachen Prentice-Regel (Formel 2) ergibt sich so eine prismatische Gesamtwirkung (Pges) von 4,912 pdpt (Tab. 1 (Reihe 1)). [4]

P = Δx ∙ S′
P in pdpt, Δx in cm, S′ in dpt

Diese Erhöhung der prismatischen Wirkung vor dem Auge führt zu einer weiteren Bewegung des Auges entgegengesetzt der Basis in Richtung Ruhestellung. Die Abweichung des Durchblickpunkts von der Mitte des Messglases beträgt nun 1,399 mm (Abb. 3 (Reihe 2); Tab. 1 (Reihe 2)). Dieser erhöhte dezentrale Durchblick hat zur Folge, dass sich somit auch die prismatische Gesamtwirkung auf 5,119 pdpt erhöht (Tab. 1 (Reihe 2)). Eine weitere Bewegung des Auges entgegen der Basisrichtung setzt ein, was letztendlich zu einer erneuten Erhöhung der prismatischen Gesamtwirkung führt (Tab. 1 (Reihe3)).

Diese Reihen entwickeln sich mathematisch unendlich weiter und nähern sich in unendlich kleinen Abständen einem Grenzwert für die Abweichung von der Pupillenmittenzentrierung sowie der real vor dem Auge befindlichen prismatischen Gesamtwirkung (Abb. 4).

Am Beispiel eines Brillenglases mit einer sphärischen Wirkung von -8,0 dpt wird deutlich, dass grundsätzlich bei Gläsern mit einer negativen optischen Wirkung diese Reihenentwicklung zu einem anderen Abweichungsverhalten (Δx) des Auges in Richtung Ruhestellung führt. Das Auge „pendelt“ sich hier auf einen Endwert ein, der durch den Grenzwert dieser Reihenentwicklung beschrieben wird. Entsprechend verhält sich die Änderung der realen prismatischen Gesamtwirkung (P0) vor dem Auge (Abb. 5; Tab. 2)).

Führt man eine Grenzwertbetrachtung durch, lässt sich der Betrag der Abweichung des Auges von der Pupillenmittenzentrierung in Richtung Ruhestellung aufgrund des eingesetzten Messprismas sowie die letztendlich reale prismatische Wirkung vor dem Auge berechnen. Man erhält Gleichungen, die direkt diese Ergebnisse liefern. [4]

Formel


Δx in mm, b′ in mm, S′ in dpt, P0 in pdpt (3)

Formel


Pges in pdpt, b′ in mm, S′ in dpt, P0 in pdpt (4)

Der PMZ-Fall bei Messgläsern mit sphärozylindrischer Wirkung

Die Berechnung der real vor dem Auge wirkenden prismatischen Wirkung beim Einsetzen von Messprismen in Kombination mit sphärischen und zylindrischen Messgläsern bei schräger Achslage soll am Beispiel folgender Kombination von Messgläsern beschrieben werden:

sph.: +8,0 zyl.: -2,0 A 125° 5 pdpt Basis 0° HSA 16 mm

Im ersten Schritt wird die Wirkung des prismatischen Messglases auf die Hauptschnitte der sphärozylindrischen Kombination verteilt. Dies ist durch Anwendung von Winkelfunktionen leicht möglich. Es ergibt sich eine prismatische Wirkung von 4,10 pdpt in Richtung 35°. Diese Richtung entspricht einer Hauptschnittwirkung von +6,0 dpt. In 305°, also der Hauptschnittwirkung +8,0 dpt, besitzt diese Messglaskombination eine prismatische Wirkung von 2,87 pdpt. Im zweiten und dritten Schritt erfolgen nun die Berechnungen der realen prismatischen Wirkungen aufgrund der Abweichung des Auges von der Pupillenmittenzentrierung, hauptschnittweise. Nach Formel 4 ergibt sich für den Hauptschnitt +6,0 dpt eine realprismatische Wirkung vor dem Auge von 4,98 pdpt. Für den Hauptschnitt +8,0 dpt errechnet sich eine real-prismatische Wirkung von 3,75 pdpt. Diese senkrecht zueinander wirkenden Prismen lassen sich als ein resultierendes Prisma von 6,23 pdpt Basis 357,97° zusammenfassen. Abschließend soll diese real vor den Augen vorhandene prismatische Wirkung in die horizontale (also 0°) und vertikale (also 270°) Richtung aufgeteilt werden. Es ist somit festzuhalten, dass aufgrund des eingesetzten Messprismas von 5 pdpt in 0° und einer zusätzlich in der Messbrille vorhandenen sphärozylindrischen Korrektion von sph.: +8,0 zyl.: -2,0 A 125°, bei einem HSA von 16 mm, die vor dem Auge real vorhandene prismatische Wirkung in 0°: 6,23 pdpt und in 270°: 0,22 pdpt beträgt. Die tatsächlich bestehende prismatische Wirkung weicht deutlich von der des eingesetzten Messprismas ab.

Dieses beschriebene unveränderte Beibehalten der ursprünglichen Pupillenmittenzentrierung der Messgläser bei Durchführung einer Heterophorie- Bestimmung wird als „PMZ-Fall der Brillenglaszentrierung“ bezeichnet. [1]

Der Formel-Fall der Brillenglaszentrierung

Ein exaktes Nachführen der Mitten der Messgläser entsprechend der eingenommenen Ruhestellung der Augen beim Einsetzen eines Messprismas in die Messbrille hat zur Folge, dass es zu keiner prismatischen Nebenwirkung kommen kann, da die Fixierlinien der Augen weiterhin durch die optischen Mitten der sphärozylindrischen Messgläser verlaufen. Die Strecke dieser Nachführung ist von der Wirkung des Messprismas und des Hornhautscheitelabstandes abhängig. Da zwischen diesen beiden Größen ein linearer Zusammenhang besteht (Abb. 2), lässt sich eine Aussage für das Maß der Nachführung der Messgläser bezogen auf die Wirkung eines Messprismas von 1 pdpt treffen (Abb. 6).

Für einen HSA ≤14 mm ist beim Einsetzen eines Messprismas von 1 pdpt das Nachführen der Messgläser in Richtung Ruhestellung der Augen – also entgegengesetzt der Basisrichtung des Messprismas – von 0,25 mm erforderlich, um das Entstehen einer prismatischen Nebenwirkung zu vermeiden (Abb. 6 in der Galerie, gelber Bereich). Liegt jedoch ein HSA größer als 14 mm vor, sollten die Messgläser um 0,3 mm entgegen der Basislage des prismatischen Messglases nachgeführt werden (Abb. 6 in der Galerie, grüner Bereich). Das Festlegen auf derartige Pauschalwerte wird üblicherweise als „Faustformel“ bezeichnet. Insofern bezeichnet man das beschriebene Nachführen als „Formel-Fall der Brillenglaszentrierung“.[5] Der Vorteil der Nachführung der Messgläser während der Hetero phorie-Bestimmung gegenüber dem PMZ-Fall besteht darin, dass die Stärke des Messprismas der real vorhanden prismatischen Wirkung vor den Augen entspricht.

Fehlerquellen des Formel-Falls der Brillenglaszentrierung

Jedoch liefert dieses Vorgehen eine Reihe von Fehlerquellen, die die Genauigkeit der Messergebnisse einer Heterophorie-Bestimmung beeinträchtigen können.

Setzt man zum Beispiel ein Messglas mit prismatischer Wirkung in die Messbrille, das spontan zur Nullstellungswahrnehmung eines Heterophorie-Tests führt, so muss nach erfolgter Nachführung der Messgläser entsprechend dem Formel-Fall der Brillenglaszentrierung erneut die Wahrnehmung des jeweiligen Heterophorie-Tests geprüft werden. Dies ist notwendig, da sich die real vor dem Auge befindliche prismatische Wirkung aufgrund der Nachführung geändert hat. Es ist naheliegend, dass die Nullstellungswahrnehmung des Heterophorie-Tests nun nicht mehr vorliegt. Es muss folglich nach jeder Änderung der Messglasposition vor den Augen die Test-Wahrnehmung erneut überprüft werden. Dieser zeitliche Mehraufwand kann negative Auswirkungen auf die Konzentrationsfähigkeit des Klienten und somit auf die Präzision der Messung haben.

Die Realisierung des Formel-Falls ist prinzipiell nur möglich, wenn man eine Messbrille mit der nötigen Ablesegenauigkeit besitzt. Diese sollte wenigsten 0,25 mm betragen, um bei einem Messglas mit einer prismatischen Wirkung von 1,0 pdpt ein entsprechendes Nachführen zu realisieren. Üblicherweise werden jedoch Messbrillen mit einer Ablesegenauigkeit von 0,50 mm verwendet (etwa die UB6 der Firma Oculus). Diese erlaubt ein genaues Nachführen der Messgläser erst ab 2,0 pdpt. Bei prismatischen Werten <1,0 pdpt ist folglich eine genaue Nachführung entsprechend der „Faust formel der Brillenglaszentrierung“ nicht möglich.

Um dem Formel-Fall vollständig zu entsprechen, bedarf es weiterhin einer Messbrille, die ein Nachführen der Messgläser auch in vertikaler Richtung gestattet. Ist dies nicht möglich, kann eine Änderung der Messglasposition beim Einsetzen eines Messprismas mit vertikaler Basislage nicht erfolgen. Die Umsetzung des Formel-Falls ist nicht möglich.

Somit stellt sich die Frage nach den Vorteilen einer Heterophorie-Bestimmung unter Berücksichtigung des Formel-Falls der Brillenglaszentrierung. Auch „eine für beide Augen ungleiche Vignettierung des Gesichtsfelds“ kann erst beim Einsetzen von Messgläsern mit einer prismatischen Gesamtwirkung von mehr als 24,0 pdpt auftreten. [5] Dieser Wert ist mathematisch leicht nachvollziehbar, nimmt man ein zentrales Gesichtsfeld von 18°, einen HSA von 28 mm (das Messprisma befindet sich im vordersten Einschub der Messbrille) und einen Messglasdurchmesser von 21 mm an. Praxistests konnten bestätigen, dass es bei 24,0 pdpt zu keiner durch den Klienten wahrnehmbaren Vignettierung kommt.

Um Fehler hinsichtlich der Heterophorie-Bestimmung zu vermeiden, ist die unveränderte Beibehaltung der bei der Anpassung der Messbrille vorgenommenen Pupillenmittenzentrierung während der gesamten Korrektionsbestimmung empfehlenswert.

Empfehlung

Bislang existieren seitens der Brillenglasindustrie keine einheitlichen Standards zur Umsetzung prismatischer Korrektionen. Einige Hersteller verlangen, dass die zu bestellenden prismatischen Brillengläser aufgrund einer Heterophorie-Bestimmung nach Formel-Fall ermittelt werden, andere nach PMZ-Fall. Es sind sogar Firmen am Markt vertreten, die innerhalb ihres eigenen Brillenglassortiments zwischen beiden Zentriermöglichkeiten variieren. Aufgrund oben dargestellter Überlegungen sollten alle Hersteller von Brillengläsern einheitlich den PMZ-Fall als Standard zugrundelegen. Die Bestellung der Brillengläser kann dann aufgrund einer Heterophorie-Bestimmung ohne veränderte Pupillenmittenzentrierung erfolgen.

Zur Berechnung der real vor den Augen wirkenden prismatischen Werte werden dem Glashersteller die Korrektionswerte mitgeteilt, die sich nach der Korrektionsbestimmung unter Beibehaltung der Pupillenmittenzentrierung in der Messbrille befanden. Zur exakten Umsetzung der Korrektions- in Gebrauchswerte sollten außerdem die Positionen der Messgläser in der Messbrille (Ort des Einschubs), der HSA und die horizontalen wie vertikalen Zentrierdaten in Mess- und Korrektionsbrille übermittelt werden.

Aufgrund dieser Daten ist es dem Brillenglashersteller möglich, die real vor dem Auge vorhandene optische Wirkung während der Korrektionswertbestimmung in die Gebrauchssituation zu übertragen.

Werden diese Brillengläser geliefert, befinden sich auf den Glastüten die Angaben der Gebrauchswerte – so auch die prismatischen Werte, die während der Korrektionswertbestimmung real wirkten.

Arbeitet man diese Gläser in die Korrektionsfassung des Klienten ein, muss beachtet werden, dass die Augen entsprechend dieser, nun in den Brillengläsern vorhandenen prismatischen Wirkung, in Ruhestellung, also entgegengesetzt der Basisrichtung abweichen werden. Dadurch müssen sich zwangsläufig die Zentrierdaten der zuvor ermittelten Pupillenmittenzentrierung für die Ferne ändern. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen.

Nach PMZ-Fall der Brillenglaszentrierung werden folgende Werte ermittelt:

R sph.: +8,0 zyl.: 0,0 A 0° 4,0 pdpt Basis 180°

L sph.: +8,0 zyl.: 0,0 A 0° 4,0 pdpt Basis 0°

Der Mittenabstand der Messbrille beträgt aufgrund der Pupillenmittenzentrierung 64 mm. Dabei ist dieser für rechts und links gleichverteilt, also: R: 32,0 mm und L: 32,0 mm. Die Korrektionswertermittlung wird bei einem HSA von 15 mm durchgeführt.

Die ermittelten Zentrierdaten für die ausgewählte Korrektionsfassung des Klienten beträgt ebenfalls in horizontaler Richtung für die rechte Seite 32 mm und für die linke Seite 32 mm. Der gemessene HSA wird mit 15 mm gemessen.

Aufgrund dieser Daten liefert der Brillenglashersteller nun Brillengläser mit folgenden Werten:

R sph.: +8,0 zyl.: 0,0 A 0° 5,18 pdpt Basis 180°

L sph.: +8,0 zyl.: 0,0 A 0° 5,18 pdpt Basis 0°

Der prismatische Teil dieser Gesamtwirkung lässt sich mit Formel 4 leicht überprüfen.

Würde man diese Gläser nun, bezogen auf die horizontalen Zentrierdaten für die rechte und linke Seite, mit je 32 mm einarbeiten, würde sich eine fehlerhafte prismatische Gesamtwirkung vor den Augen ergeben. Die Augen werden hinter diesen Gläsern wieder in Ruhestellung abweichen. Dadurch werden die Durchblickpunkte vom Ort der optischen Mittelpunkte der Gläser abweichen und es kommt zu einer fehlerhaften prismatischen Wirkung. Um dies zu umgehen, muss die Einarbeitung der Gläser in horizontaler Richtung korrigiert werden. Für dieses Beispiel ergibt sich nach Formel 1 ein Korrekturwert pro Seite von 1,48 mm entgegengesetzt der Basisrichtung. Die Zentrierdaten für die Einarbeitung der Brillengläser in die Korrektionsfassung in horizontaler Richtung lauten nun R: 30,5 mm / L: 30,5 mm.

Glashersteller, die den PMZ-Fall als Voraussetzung für die Bestellung von Brillengläsern mit prismatischer Wirkung bereits fordern, geben auf den Glastüten nicht nur die „reale prismatische Wirkung“ der Gläser an, sondern auch den Korrekturwert, um den die Gläser gegenüber der Pupillenmittenzentrierung versetzt eingearbeitet werden müssen.

Um auch hier mögliche Fehlerquellen zu vermeiden wäre es sinnvoll, dass die Brillenglashersteller alle Brillengläser mit einer entsprechenden Anzeichnung versehen, die der Lage des Bezugspunktes entspricht, also die Korrektur der Zentrierdaten in Form einer Stempelmarkierung gleich berücksichtigt.

Umrechnung PMZ-Prisma in Formelfall-Prisma
Abb. 7: Eingabemaske des Programms zur Umrechnung der prismatischen Wirkung nach
„PMZFall“ in die prismatische Wirkung nach „FormelFall“ (entwickelt von Michaela Reinhard).

Eine einheitliche und standardisierte Vorgehensweise hinsichtlich Bestimmung, Bestellung, Fertigung und Einarbeitung von Brillengläsern mit prismatischer Wirkung wird die Umsetzung der Korrektionswerte in die Gebrauchswerte nicht nur vereinfachen, sondern auch mit einer höheren Präzision ermöglichen. Die konsequente Beibehaltung der Pupillenmittenzentrierung während der Bestimmung der Korrektionswerte ist hier die sinnvollste Vorgehensweise. Lässt sich die Brillenglasindustrie auf dieses Vorgehen ein und fertigt grundsätzlich auf Basis des PMZ-Falls Brillengläser mit prismatischer Wirkung, wird eine große Fehlerquelle bei der Umsetzung der Korrektionswerte in die Gebrauchswerte vermieden.

Für den interessierten Augenoptiker und Optometristen bietet sich bereits jetzt die Möglichkeit, dieser Empfehlung zu folgen. Im Studiengang Augenoptik/Optometrie der Beuth Hochschule für Technik Berlin wurde ein Programm entwickelt, das die Umrechnung der prismatischen Werte ermöglicht. Die Ergebnisse der Heterophorie-Bestimmung unter Beibehaltung der Pupillenmittenzentrierung können leicht in die Bestellwerte umgerechnet werden (s. Abb. 7). Zusätzlich ermittelt dieses Programm die Zentrierdatenänderung für die Einarbeitung der Brillengläser in die Korrektionsfassung aufgrund der real wirkenden prismatischen Werte während der Heterophorie-Bestimmung.

So ist es möglich, während der Heterophorie-Bestimmung die Pupillenmittenzentrierung beizubehalten und trotz der Forderung des Brillenglasherstellers nach dem Formel-Fall der Brillenglaszentrierung die richtigen Korrektionswerte zu bestellen. Dieses Programm ist derzeit ausschließlich für Mitglieder der Internationalen Vereinigung für Binokulares Sehen (IVBS) kostenlos von deren Website zu beziehen. [6]

Fazit

Es konnte in diesem Beitrag aufgrund theoretischer Betrachtungen gezeigt werden, welche Auswirkung das Einsetzen eines Messprismas in die Messbrille auf die real vor dem Auge vorhandene prismatische Wirkung hat. Aus diesem Grund werden zurzeit unterschiedliche Strategien bei der Bestimmung der prismatischen Korrektion hinsichtlich der Zentrierung der Mess- und Korrektionsgläser verfolgt, die als „PMZ-Fall“ und „Formel-Fall“ beschrieben werden.

Die exakte Umsetzung des Formel-Falls der Brillenglaszentrierung in die Praxis ist schwierig und birgt eine Reihe von Fehlerquellen, die zu einer fehlerhaften Umsetzung der prismatischen Messwerte in die Gebrauchswerte führen kann. Eine unbeabsichtigte Unterkorrektion beziehungsweise Überkorrektion wäre die Folge, die wiederum zur Unverträglichkeit der gefertigten Brille führt. Die Beibehaltung der Pupillenmittenzentrierung während der gesamten Korrektionswertermittlung vermeidet diese Fehlerquellen. Würden die Glashersteller einheitlich für ihr gesamtes Glassortiment den PMZ-Fall als Voraussetzung für die Bestellung von Brillengläsern mit prismatischer Wirkung fordern, könnten die ermittelten Korrektionswerte einer Heterophorie-Bestimmung nahezu fehlerfrei in die Gebrauchswerte überführt werden.

Um der in diesem Fachbeitrag gemachten Empfehlung bereits jetzt folgen zu können, besteht zunächst nur für Mitglieder der IVBS die Möglichkeit, das in der Beuth Hochschule für Technik Berlin erstellte Programm zur Umrechnung der Korrektionswerte bei Pupillenmittenzentrierung in die Bestellwerte zu nutzen.

Der Artikel ist auf der Grundlage eines Vortrags entstanden, der am 19. Mai 2019 im Rahmen des Kongresses der Internationalen Vereinigung für binokulares Sehen (IVBS) in Stuttgart gehalten wurde.


Professor Stepjan ReissProfessor Dr. Stephan Reiß ist Dozent im Studiengang Augenoptik/Optometrie an der Beuth Hochschule Berlin. Er ist insbesondere in der Lehre und Forschung in den Bereichen technische und experimentelle Optik, Brillenoptik und Kontaktoptik eingebunden. Der ausgebildete Augenoptiker erlangte nahezu alle in Deutschland erreichbaren Qualifikationen, unter anderem den Master of Science auf dem Gebiet der Laser- und Optotechnologien sowie den akademischen Grad Dr. rer. nat., der ihm von der Universität Rostock auf dem Gebiet der experimentellen Physik verliehen wurde. Stephan Reiß ist Mitglied der DOG und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der IVBS.


Literatur

[1] Goersch, H.: Wörterbuch der Optometrie. Verlag Bode Pforzheim; 2. Aufl., 2001.

[2] Schulz, W. und Eber, J.: Brillenanpassung. Zentralverband der Augenoptiker Düsseldorf; 1997.

[3] IVBS (Hrsg.): Richtlinien zur Anwendung der MKH. 4. Aufl., Internationale Vereinigung für Binokulares Sehen; 2012.

[4] Diepes, H. und Blendowske, R.: Optik und Technik der Brille. Optische Fachveröffentlichung GmbH Heidelberg; 2. Aufl., 2005.

[5] Goersch, H.: Zentrierung von Brillengläsern mit prismatischer Wirkung. DOZ, 9/1989; 9-16.

[6] IVBS (Hrsg.): [Zuletzt geprüft am 10.6.2020], Verfügbar unter: https://www.ivbs.org/intern/softwaretool-zentrierwerte/.