Von Großwallstadt in die Welt

Alcon Spies
Dr. Achim Spies (l.) ist Leiter eines Produktionsbereiches im Alcon-Werk in Großwallstadt.
© Alcon

Kontaktlinsen sind ein ästhetisches Produkt. Von Ästhetik allerdings bin ich gerade weit entfernt. Die Schuhe sind von Schutzhüllen umschlossen, der weiße Kittel überdeckt das T-Shirt, die Haube auf dem Kopf hat wenig Stylisches und zu guter Letzt ist da noch der Bartschutz, der das Bild komplettiert. „Wir arbeiten hier an einem Medizinprodukt, da ist es wichtig, die Hygienevorschriften einzuhalten“, erklärt Dr. Achim Spies, Leiter eines Produktionsbereiches im Alcon-Werk in Großwallstadt. Selbstverständlich hat auch er sich entsprechend geschützt und bittet mich zum Abschluss noch, meine Hände zu desinfizieren. Erst jetzt öffnen sich die Türen und, auch wenn ich viele Leute ebenfalls verhüllt herumlaufen sehe, richtet sich der Blick sofort auf die Maschinen. 

Alcon Produktion
Die Kontaktlinsenproduktion bei Alcon läuft annährend vollautomatisiert. Wegen
der strengen Hygienevorschriften müssen alle Mitarbeiter jedoch Schutzkleidung
tragen. (Foto: Alcon/Göttermann)

„Diese Anlagen sind mit Sicherheit eine Besonderheit bei uns“, so Spies. „Unsere Prozesse und Maschinen werden von unserer Forschung und Entwicklung (F&E) am Standort entworfen, mit externen Maschinenbaufirmen entwickelt und mit Hilfe des Produktionsengineerings in die Produktion eingeführt. Dies geschieht Hand in Hand, F&E, Produktion und Eurologistik arbeiten als bereichsübergreifendes Team zusammen.“ 

Von der Glasform zur Kontaktlinse

Am Anfang steht eine Glasform, die mit einem am Standort entwickelten chemischen Mix befüllt wird. „Schon bei den Glasformen achten wir auf höchste Präzision. Insbesondere die Randkontur hat großen Einfluss auf den Tragekomfort und der soll für den Kontaktlinsenträger so hoch wie möglich sein“, verdeutlicht Spies. Nachdem die Glasform zugeklappt worden ist, werden mittels ultraviolettem Licht die Moleküle der Substanz vernetzt und innerhalb weniger Sekunden entsteht die Kontaktlinse. Die Belichtung ist dabei so konzipiert, dass verschiedene Parameter zeitgleich gefertigt werden können. Wie in einem Rundlauf wandert die Kontaktlinse von Station zu Station, wird vollautomatisch von der Glasform entnommen, im nächsten Schritt zusammen mit einer Salzlösung in die kleine Plastikschale gegeben und anschließend zu den bekannten Blisterstreifen mit fünf Kontaktlinsen zusammengeführt und verschlossen. Menschliche Hilfe wird nur benötigt, um neues Verpackungsmaterial einzulegen, Salzlösung oder die chemische Grundsubstanz für die Kontaktlinsen nachzufüllen. Im Schnitt einmal wöchentlich wird die Belegung der Lineartische gewechselt, besonders gängige Parameter werden auch über einen längeren Zeitraum hergestellt. Zeitgleich werden die Anlagen wöchentlich gewartet und gereinigt, der einzige Moment, in der die Produktion, die ansonsten 24 Stunden an sieben Tagen der Woche stattfindet, ruht. Innerhalb der Anlagen ist die Hygienestufe nochmal erhöht. „Wir müssen darauf achten, dass die Partikelbelastung so gering wie möglich gehalten wird. Entsprechend wird dieser Wert regelmäßig gemessen. Um jegliche Keimgefahr nochmals zu reduzieren, werden die Blisterstreifen vor dem Einlegen in die Verpackung nochmals autoklaviert, um die lange Haltbarkeit von bis zu drei Jahren zu garantieren.“

Blisterstreifen Alcon
In Großwallstadt werden unter anderem die Dailies-Kontaktlinsen
​​​​​​hergestellt. (Foto: Alcon / Göttermann)

Die Mitarbeiter des Produktions­bereiches arbeiten in einem Drei-Schicht-System bei Alcon. Ein großer Teil des Teams ist für die ständige und regelmäßige Qualitätskontrolle zuständig. „Wir produzieren hier ein Premiumprodukt und wollen eine gleichbleibende Qualität gewährleisten. Zur Kontrolle sind wir zwar gesetzlich verpflichtet, es ist aber selbstverständlich auch unser Anspruch, den Kunden ein perfektes Produkt zu liefern“, erklärt Spies. Die regelmäßigen Kontrollen führen auch dazu, dass eventuelle Fehler schnell bemerkt werden und die entsprechende Charge gegebenenfalls frühzeitig aus dem Verkehr gezogen werden könnte. Erst nach erfolgreicher Qualitätskontrolle gehen die Blisterstreifen auf ihre weitere Reise und werden – ebenfalls fast völlig automatisiert – zu 5er, 30er oder 90er Packs verpackt. Während in der Produktion in Großwallstadt also technisches und medizinisches Know-how miteinander zu einer Symbiose verschmelzen, geht es gleich nebenan im Europalager Eurologistik darum, Technik und Logistik perfekt aufeinander abzustimmen.

Eurologistik beliefert 28 europäische Länder

Rund 40.000 Kontaktlinsen-Vari­anten werden bei Alcon produziert und natürlich auch gelagert. Im Schnitt verlassen rund 25.000 Sendungen mit etwa 400.000 Verpackungseinheiten das Lager pro Tag. Am Empfang holt mich Patrick Finsterseifer, Head Warehouse Euro­logistik, ab. Kurz vor Betreten der Lagerhallen bleiben wir vor einem großen Schaubild stehen. Zahlen und Fakten sind hier aufgeführt, die nicht nur mich als Besucher beeindrucken, sondern auch die Mitarbeiter jeden Tag aufs Neue motivieren sollen. Ganz oben notiere ich die Zahl 99,65 Prozent – Liefertermintreue steht davor. „Wir wollen so nah wie möglich an die 100 Prozent“, erklärt Finsterseifer, im Prinzip ginge es immer nur um die Kommastellen hinter der 99. Bei Alcon bedeutet das, dass die eingehenden Kundenaufträge noch am gleichen Tag verarbeitet und versendet werden. Nur rund zwei Stunden dauert es im Schnitt, ehe nach Auftragseingang die Ware zur Auslieferung bereitliegt. In Spitzen­zeiten können die Ausgangssendungen dabei sogar bei über 40.000 (mit knapp 800.000 Verpackungseinheiten) liegen. Wie das möglich ist, wird mir spätestens am Ende des Rundgangs klar.

Alcon Sotierer
Tausende Produkte werden als sogenannte „Schnelldreher“ vollautomatisiert
auf die Reise geschickt. Das Nachfüllen bleibt aber Handarbeit. (Foto: Alcon)

Beim Betreten der Halle herrscht keine Hektik, und auch kein undurchsichtiges Gewusel. Stattdessen schweift der Blick über unzählige Förderbänder. „Unsere Logistik läuft annähernd vollautomatisch“, untermauert Finsterseifer meinen ersten Eindruck. Er bezieht seine Aussage dabei in erster Linie auf die Produkte, die viel und oft gefragt sind. „Schnelldreher“ heißt das in der Logistiksprache. Sobald ein Auftrag eingeht, wird dieser automatisch ausgedruckt und eingescannt – und ein Automatismus in Gang gesetzt. Aus einem speziellen Kommissioniersystem, das insbesondere in der Pharma- und Kosmetikindustrie im Einsatz ist, werden die entsprechenden Verpackungen auf das Band ausgegeben und auf die Reise geschickt. Hunderte, nein tausende Verpackungen sind einsortiert und müssen regelmäßig nachgefüllt werden. Immer wieder werden die Verpackungen gescannt, sodass zu jeder Zeit zu sehen ist, wo sich die Bestellung befindet. „Und nicht nur das, wir müssen bei einem eventuellen Rückruf jederzeit in der Lage sein, genau zu sagen, welches Produkt, wann und wohin verschickt wurde“, erklärt Finsterseifer. Auch wenn die Verpackungen einen globalen Charakter haben, kann im laufenden Prozess, ebenfalls vollautomatisch, auch ein Aufkleber für das entsprechende Zielgebiet aufgebracht werden. Nach und nach landen die Bestellungen in blauen, grauen oder schwarzen Kommis­sio­nierbehältern unterschiedlicher Größe. In denen geht es nun weiter in Richtung Packstation.

Neben den „Schnelldrehern“ gibt es auch „Langsamdreher“, sprich Produkte, die nicht automatisch kommissioniert werden, sondern bei denen manuell nachgeholfen werden muss. Über eine Treppe geht es eine Etage nach oben. Auch hier herrscht keine Hektik, allerdings sieht man immer wieder Damen mit kleinen grauen Behältern in den Gängen verschwinden und später wiederauftauchen. Jeder, der schon einmal bei dem großen schwedischen Möbelhaus am Ende des Rundgangs ein Regal gesucht hat, darf sich nun gerne an diese Bilder erinnern, denn das Prinzip ist ähnlich. Natürlich wird auch bei der manuellen Kommission jedes Produkt in Verbindung mit dem Auftrag einzeln eingescannt.

Alcon Autopack
Der Autopack ist so etwas wie das Herzstück der Eurologistik. Der Greifarm
sortiert die Produkte vollautomatisiert in die Kartons ein und gibt sie
anschließend weiter zum nächsten Arbeitsschritt. (Foto: Alcon)

Autopack ist das Herzstück

Doch wie kommen Schnell- und Langsamdreher eigentlich im endgültigen Paket zusammen? Die Antwort ist der sogenannte Autopack. Die vollautomatische Verpackungsanlage ist so etwas wie das Herzstück des einzigen Logistikzentrums von Alcon in ganz Europa. Auf zwei parallellaufenden Bahnen werden sowohl die manuell als auch die vollautomatisch abgefertigten Bestellungen zusammengeführt. Ein wenig muss man es sich vorstellen, wie auf einer Autobahn kurz vor einer Mautstation. Auf den Bahnen laufen die Bestellungen auf verschiedenen Spuren und werden hinter einer Art Schleuse, an der natürlich wieder alle Verpackungseinheiten gescannt werden, zusammengeführt. Dabei ist es völlig egal, ob der manuell bereitgestellte Teil der Bestellung früher oder später kommt. Denn dank eines Pufferspeichers werden Bestellungen in Regalsystemen vollautomatisch zwischengelagert. Anhand des Bestellumfangs berechnet die Verpackungsanlage automatisch die Kartongröße und mit Hilfe eines Pick-Roboters werden die Verpackungseinheiten vom Band sofort in den Karton gelegt. Sogar ein ausgeklügeltes Packschema je nach Größe ist hinterlegt. „Seit fünf Jahren haben wir die Anlage in Betrieb“, erklärt der Leiter des Lagers, „sie wurde von eigenen Ingenieuren speziell für unsere Bedürfnisse konzipiert.“ So werden in den folgenden Schritten die Versandscheine beigelegt, der Deckel aufgebracht und verklebt sowie die individuellen Versandinformationen sofort auf den Deckel gedruckt, um somit auf Etiketten im Sinne der Nachhaltigkeit zu verzichten.

Kurz vor Erreichen der letzten Station auf unserem Rundgang entdecke ich eine Anzeigetafel, auf der in Rot, Orange und Grün verschiedene Zahlen aufleuchten. „Da sehen wir, welche Aufträge heute noch erledigt werden müssen, welche bereits verschickt wurden und welche im Zeitplan später noch anstehen.“ Letztere werden natürlich, wenn Kapazitäten frei sind, ebenfalls noch am gleich Tag verarbeitet. 

Alcon Transport
In großen weißen Säcken werden die Bestellungen gesammelt und anschließend
in das Bestimmungsland verschickt. (Foto: Alcon)

Mittlerweile sind die versandfertigen Verpackungseinheiten auf den letzten Metern des Laufbands angekommen. Rechts und links sind große weiße Säcke platziert, die jeweils von außen mit Ländernamen markiert sind. „Das System, die Pakete nach Ländern zu sortieren und ganze Säcke zu versenden, hat sich rentiert“, verdeutlicht Finster­seifer. Die Feinverteilung findet dann jeweils im Zielland statt. Durch die gute Anbindung an die Autobahn und die Nähe zum Flughafen Frankfurt bietet der Standort Großwallstadt logistisch einige Vorteile und garantiert, dass das Alcon Versprechen auch eingelöst werden kann: „Heute bestellt, morgen im Geschäft.“

Gerade zu Wochenbeginn sammeln sich durch das Wochenende mehr Aufträge an, als gegen Ende der Woche. Auch kurz vor der Urlaubszeit laufen alle Maschinen auf Anschlag, um die Wünsche der Augen­optiker und Kunden zu erfüllen. Insgesamt werden von Großwallstadt aus 28 Länder mit Kontaktlinsen beliefert, hinzu kommt die Distribution für den mittleren Osten und Afrika. Von Großwallstadt in die ganze Welt.