Azubi Bismella Tajik: „Ich komme glücklich und ich gehe glücklich“

Bismella Tajik
Mit seiner Erfahrung als Schlosser punktet Augen­optiker-Azubi Bismella Tajik in seinem Ausbildungsbetrieb.
© DOZ/Daniela Zumpf
Hans Schneider
„Das Praktikum hat er super gemacht“,
erzählt Hans Schneider (rechts) von der
ersten Begegnung mit Bismella Tajik.
Gemeinsam mit seiner Frau hat der
Sichtbar-Inhaber den jungen Mann unter
seine Fittiche genommen.
© Bernd Kammerer, Stuttgart

Im Iran arbeitete er einige Jahre als Schlosser, aber insgeheim wollte er etwas anderes: Handwerk sollte es sein, ja, aber noch mehr Kontakt mit Menschen und eine Verbindung zu Design und Mode sollte es geben. Das beinahe zwangsläufige Ergebnis: Augenoptiker. Diesen Traum konnte Bismella Tajik erst in Deutschland realisieren, wo er seit knapp drei Jahren lebt. Nachdem es weder im Iran noch in Afghanistan eine Perspektive für den Geflüchteten gab, ist jetzt die Augenoptik seine Zukunft.

Während er über seine Ausbildung spricht, muss Bismella Tajik die ganze Zeit lächeln. Für ihn steht fest, dass er gerne mit Menschen arbeiten will, aber auch das Handwerk soll dabei nicht fehlen. „Ich habe viel recherchiert. Beim Augenoptiker gefällt mir, dass der Beruf so viel mit Design und Mode zu tun hat“, erklärt der Azubi. Seit drei Jahren lebt der 25-Jährige in Deutschland und beginnt gerade sein zweites Lehrjahr als Augenoptiker. „Ich wusste gar nicht, dass es so viele unterschiedliche Materialien gibt. Acetat kannte ich vorher nicht – ich dachte, die Brillen seien aus Plastik. Jede Brille ist individuell, ist anders.“ Bismella Tajik ist im Iran aufgewachsen und geboren, seine Eltern kommen aus Afghanistan. Im Iran arbeitete er als Schlosser.

Zwei linke oder zwei rechte Hände?

Über die Beratung der Caritas erfährt Bismella vom Beruf Augenoptiker. Ein Kollege seines Caritas-­Betreuers kennt den Augenoptiker Hans Schneider. Der führt das Fachgeschäft „Sichtbar“ in Stuttgart. Vor 22 Jahren eröffneten Schneider und seine Frau Angela den Laden. Vor ein paar Jahren begannen sie selber auszubilden, da sie kaum offene Stellen mit Gesellen besetzen konnten. Die Caritas wendet sich direkt an Schneider. Er solle doch den jungen Afghanen mal zum Bewerbungsgespräch einladen. Das führt dazu, das Bismella Tajik ein einwöchiges Praktikum in der Sichtbar absolviert. „Wir wollten sehen, ob er zwei linke oder zwei rechte Hände hat“, erklärt Schneider. Offenbar waren es zwei rechte: „Das Praktikum hat er super gemacht, echt klasse!“

Auch für den 25-Jährigen steht danach fest, dass er genau diesen Beruf ausüben will: „Ich wollte diese Ausbildung unbedingt machen. Ich mag den Kontakt zu Menschen und ich fühle mich dabei wohl.“ Schlussendlich setzt er sich mit seiner handwerklichen Begabung und seiner offenen Art gegen zwei Mitbewerber durch. Zweifel haben die Schneiders trotzdem. Klappt es mit der Sprache? Und droht Bismella während der Ausbildung womöglich die Abschiebung? „Die Handwerkskammer sicherte uns zu, dass er in Baden-Württemberg drei Jahre während der Ausbildung und danach zwei weitere Jahre geschützt ist“, erklärt Angela Schneider. „Das heißt: Er kann bis 2022 nicht abgeschoben werden.“ Auch den jungen Mann plagen Zweifel, allerdings ganz anderer Art: „Ich habe mir vor dem Start echt Sorgen gemacht. Schaffe ich die Ausbildung? Einige Freunde von mir haben ihre Ausbildung abgebrochen.“

Kunden finden es spannend

Angela Schneider
„Die Kunden finden seine Geschichte spannend“,
berichtet Angela Schneider.
© Bernd Kammerer, Stuttgart

Seine Sorgen scheinen unbegründet. Ihn interessiert alles an der Lehre, gesteht er. Der 25-Jährige strahlt, sobald er darüber spricht. „Die Ausbildung macht mir sehr viel Spaß: Ich komme glücklich und ich gehe glücklich!“ Trotz seines holprigen Deutsch, scheut er nicht den Kontakt zu Menschen. „Ich freue mich, wenn ein Kunde in das Geschäft kommt und die anderen beschäftigt sind, dann berate ich.“ Er lerne jeden Tag dazu und gerade den Umgang mit Kunden könne ihm die Schule nicht beibringen. Natürlich gab es auch schon sprachliche Missverständnisse: „Ich wusste zum Beispiel nicht, was ,schmal‘ bedeutet und brachte dem Kunden die falschen Fassungen.“ Angst vor dem Sprechen hat er nicht. „Wir legen in der Sichtbar viel Wert auf Beratung und ich kann den Kunden viel erklären. Das macht mir Spaß und ich kann mein Deutsch verbessern.“ Die Schneiders gehen sehr offen mit der Herkunft von Bismella Tajik um. „Die Kunden nehmen seine Geschichte sehr positiv auf und finden es spannend“, erklärt Angela Schneider.

Spannend ist es in der Tat, warum ein junger Mann diesen weiten Weg von knapp 5.000 Kilometern von Iran nach Deutschland auf sich nimmt. Bismella Tajik muss etwas ausholen, um seine Situation zu erklären. Seine Eltern haben sich damals gegen den Willen der Familien verliebt. Sie flüchteten in den Iran. Doch afghanische Flüchtlinge haben es alles andere als einfach im Nachbarland. Sie werden diskriminiert, sind „Menschen zweiter Klasse“, haben weniger Rechte als Iraner. Bismella will zum Beispiel gerne studieren, darf aber nicht. Er solle erst mal zwei Jahre in Syrien gegen den IS kämpfen, erst dann könne er studieren, erklärt man ihm.

Nach knapp 25 Jahren Benachteiligung gehen seine Eltern zurück nach Afghanistan, doch eine Woche später stirbt sein Vater. Seine Mutter schickt Bismella, ihren einzigen Sohn, mit etwas Geld zurück in den Iran. Sie hat Angst, dass ihm in Afghanistan etwas passiert. Doch im Iran muss er ständig befürchten, dass er ausgewiesen wird. Er verdient etwas Geld und macht sich Mitte des Jahres 2015 auf den Weg nach Europa. Nach einem Monat kommt Bismella in Deutschland an. Als er zwei Jahre später seiner Mutter erzählt, dass er Augenoptiker wird, ist sie erst mal nicht begei­stert.

Im Iran ist der Augenoptiker nur eine Art Verkäufer. Es gibt für den Beruf auch keine Ausbildung. Bismellas Familie versteht den Unterschied erst mal nicht. „Meine deutschen Freunde finden es toll, aber fragen immer: Schaffst du das?“

Schlechteste Note war mal eine Drei

Bismella Tajik
Die handwerkliche Arbeit in der
Werkstatt der Sichtbar macht
dem 25-jährigen Flüchtling viel Spaß.
© Bernd Kammerer, Stuttgart

Unterstützung erhält er auch in der Schule. Sowohl Lehrer als auch Mitschüler helfen ihm beim Lernen. „Wir haben uns auch frühzeitig mit der Berufsschule in Verbindung gesetzt, um auf dem Laufenden zu bleiben, ob Unterstützung benötigt wird“, sagt der Geschäftsinhaber. Von der Caritas erhält Bismella Tajik Nachhilfe in Deutsch, Mathematik und Physik. „Bisher bin ich mit meinen Noten zufrieden, das schlechteste war mal eine Drei.“ Auch im Betrieb unterstützen ihn die Kollegen und die anderen Auszubildenden. Mit seinem Ausbilder Robin Vogt, der vor kurzem seine Meisterausbildung beendet hat, ist er sehr zufrieden: „Er weiß, dass ich anders bin, dass mein Deutsch noch nicht perfekt ist, aber er kann gut damit umgehen und wir verstehen uns.“

Ein Problem jedoch belastet den jungen Mann sehr – seine Wohnverhältnisse. Der 25-Jährige lebt zurzeit in einer Flüchtlingsunterkunft in Ostfildern im Landkreis Esslingen, knapp 13 Kilometer von Stuttgart entfernt.  Er teilt sich ein Zimmer mit drei weiteren Männern. Lernen ist dort nicht möglich. Zu viele Menschen leben in dieser Unterkunft, knapp 200 Männer. „Ich möchte einfach ein bisschen Ruhe zum Lernen haben“, wünscht sich Bismella Tajik. Zum Lernen geht er in die Bücherei.

Seit fast einem Jahr sucht er nun schon eine Wohnung. Die Kollegen und auch die Chefs unterstützen den Azubi, hatten ihm sogar eine Wohnung in Stuttgart organisiert – doch Bismella darf nicht in die baden-­württembergische Hauptstadt umziehen. Wegen seines nicht anerkannten Flüchtlingsstatus muss er im Kreis Esslingen bleiben. Sein Name würde Vermieter abschrecken und auch das Gehalt als Azubi sei ein Problem bei der Wohnungssuche, erklärt er niedergeschlagen. „Ich schreibe keine E-Mails mehr, da habe ich einfach keine Hoffnung. Ich hoffe, dass ich durch Kontakte eine Wohnung finde.“

Davon abgesehen ist Bismella „sehr glücklich, dass ich eine Ausbildung mache, mit der ich zufrieden bin“. Er kennt viele andere Flüchtlinge, die unglücklich in ihrer Ausbildung sind. Bismella kann dagegen seine Fähigkeiten als Schlosser in der Ausbildung einsetzen. „Ich bin sehr stolz, denn durch meine handwerkliche Erfahrung bin ich wirklich sehr gut in der Werkstatt.“ Die sorgfältige Arbeit dort gefällt ihm besonders gut. „Die fertige Brille zu sehen, das Ergebnis zu sehen, ist einfach nur toll. Jede Brille musst du anders bearbeiten.“ Apropos bearbeiten: Bismellas Asylverfahren läuft, Ende dieses Jahres entscheidet ein Gericht über seinen Antrag.


Sollten Sie Informationen über eine zu vermietende Wohnung haben oder sogar selbst eine Wohnung im Landkreis Esslingen anbieten können, dann melden Sie sich bitte bei der DOZ-Redaktion unter checkpoint@doz-verlag.de.