Präqualifizierung wird aufwändiger und teurer

Die DOZ sprach mit ZVA-Geschäftsführer Dr. Jan Wetzel über die gesamten Auswirkungen des „neuen“ HHVG.
© ZVA

Das Jahr 2018 begann wie das vorige, auch wenn die Meldung in Sachen HHVG dieses Mal erfreulicher war. Im April 2017 schlug das HHVG – das Heil- und Hilfsmittelversorgungsstärkungsgesetz – nach Inkrafttreten erst nach und nach hohe Wellen. Dafür aber haben sich die Gesetzesänderungen mitsamt ihrer Auswirkungen und die Diskussionen um das Verordnungsrecht der Augenoptiker zu einem Dauerbrenner entwickelt. Und deswegen ist das HHVG auch in diesem Jahr in aller Munde: Zuletzt weil das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in Berlin am 4. Januar den Augenoptikern zu einem Etappensieg verhalf, indem es die Regelung über die Versorgungsberechtigung des HHVG teilweise beanstandete.

Das BMG bemängelte den Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom 20. Juli 2017, der eine Regelung erarbeitet hatte, die vorsah, dass Augenoptiker weder die Erst- noch die Folgeversorgungen bei ihren Kunden feststellen dürfen, wenn sie mit der gesetzlichen Krankenkasse abrechnen möchten. Für die Augenoptik bedeutet die Beanstandung des Ministeriums, dass die Richtlinie für das im Februar 2017 neu formulierte HHVG glücklicherweise noch immer nicht in Kraft treten kann.

Sollte sich der G-BA während des Druckprozesses dieser DOZ-Ausgabe entschlossen haben, gegen die Beanstandung des Ministeriums zu klagen, wird sich an dem jetzigen Zustand, in dem bis auf Weiteres alte Regelungen gelten, bis zu einer Dauer von rund zwei Jahren nichts ändern. Ohne Klage müsste der G-BA die Richtlinie überarbeiten, was ebenfalls ein Erfolg für die Augenoptiker ist. Entsprechend zufrieden ist natürlich auch der Zentralverband der Augenoptiker und Optometristen (ZVA), der seit über einem Jahr dafür kämpft, die negativen Folgen der Gesetzesänderungen für die Branche möglichst gering zu halten.

Häufig genug sind Dr. Jan Wetzel als Geschäftsführer des ZVA dabei die Hände gebunden, weil Vieles eben durch das Gesetz selbst geregelt wird, ohne dass irgendjemand Einfluss ausüben kann. Und neuer Ärger steht bereits unmittelbar bevor, denn im Schatten des ohnehin erhöhten bürokratischen Aufwands für die Augenoptiker bahnt sich zumindest augenscheinlich neuer Unsinn seinen Weg: Die Regelungen zur zukünftigen Überwachung der Zertifizierungen im Rahmen der Präqualifizierung eines Betriebes stoßen Dr. Wetzel sauer auf, zumal man den Eindruck haben könnte, an der Ausarbeitung solcher Regelungen sei der ZVA beteiligt. Ein Grund, neben dem erwähnten Etappensieg zu Beginn des Jahres mit Wetzel einmal über die gesamten Auswirkungen des „neuen“ HHVG zu sprechen.

DOZ: Herr Dr. Wetzel, freuen Sie sich als ZVA-Geschäftsführer mehr über den Teilerfolg in Sachen Richtlinie oder ärgern Sie sich mehr über die Arbeit, die noch vor Ihnen liegt, weil das HHVG weiterhin erst seine Tücken im Detail preisgibt?

Dr. Jan Wetzel: Offensichtlich hat unsere immense Arbeit, die im Zuge der Gesetzesänderugen im vergangenen Jahr nötig wurde, auch dazu beigetragen, dass die Hilfsmittelrichtlinie vom Gesundheitsministerium beanstandet wurde. Dies ist ein toller Erfolg und darüber freue ich mich. Auch wenn nun der G-BA gegen die Beanstandung klagt und der Ausgang der Angelegenheit noch lange nicht ausgemacht ist, haben wir durch das geschlossene Agieren des gesamten Verbandes tatsächlich etwas Großartiges erreicht. Wie nachhaltig das Erreichte ist, wird sich nach Abschluss des Gerichtsverfahrens in etwa zwei Jahren zeigen. Dann erst werden wir endlich wissen, wie das HHVG umzusetzen ist. In dieser Zeit können sich die Augenoptiker an unsere Handlungsempfehlungen halten. Die weiteren Baustellen, die das HHVG den Augenoptikern beschert hat, bergen hingegen noch Potenzial für große Verärgerung.

Dr. Jan Wetzel
Dr. Jan Wetzel, ZVA-Geschäftsführer ©ZVA

DOZ: Welche anderen Baustellen meinen Sie?

Da ist vor allem die unsägliche Mehrkostenregelung zu nennen. Augenblicklich ist es ja so, dass die Augenoptiker den Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) die Mehrkosten, die der Kunde für von den Krankenkassen nicht vorgesehene Extras wie zum Beispiel entspiegelte Gläser zahlt, mitteilen muss. Zudem muss die Beratung dokumentiert werden. Der Kunde muss mit seiner Unterschrift bestätigen, dass er aufgeklärt wurde, eine aufzahlungsfreie Brille über die GKV erhalten zu können. Das ist schon deswegen ungeheuerlich, weil die Festbeträge erst zum Ende des Jahres neu beziffert werden müssen. Nicht zuletzt sorgt das angedachte Verfahren zur Präqualifizierung dafür, dass eine Zusammenarbeit mit den Krankenkassen wahnsinnig bürokratisch und teuer wird.

Was genau ändert sich bei der Präqualifizierung?

Die PQ-Stellen müssen sich bis zum Frühjahr 2019 bei der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) akkreditieren. Allein dadurch verteuern sich für die Betriebe die Präqualifizierungskosten. Viel schlimmer ist aber, dass die DAkkS den PQ-Stellen vorschreibt, die bereits für einen Zeitraum von fünf Jahren präqualifizierten Be-triebe zukünftig alle 20 Monate zu überwachen. Damit aber noch nichtgenug: Zumindest für die Betriebe der Gesundheitshandwerke soll die Überwachung in Form einer Vor-Ort-Prüfung erfolgen. Je nach PQ-Stelle steigen die Kosten für eine Präqualifizierung mit den beiden zusätzlichen Vor-Ort-Prüfungen schnell auf über 1.500 Euro und da ist der personelle Aufwand im Betrieb noch nicht einmal mitgezählt. Bedenkt man, dass ein durchschnittlicher Augenoptikbetrieb in Deutschland zwischen 1,2 und 1,5 Prozent seines Umsatzes mit den Krankenkassen erzielt, dann kann man in Anbetracht einer derartigen Bürokratie nur den Kopf schütteln.

War denn die Betriebsbegehung bislang nicht auch ausschlaggebend bei der Präqualifizierung?

Betriebe mit einer alten Kassenzulassung erlangten in aller Regel die Präqualifizierung ohne Betriebsbegehung. Nur bei der Erstpräqualifizierung, die mit einem Eigentümerwechsel oder einem Umbau einherging, musste der Betrieb begangen werden. Gleiches gilt für echte Neugründungen. Die DAkkS argumentiert nun aber, dass für die Überwachung dieselben Kriterien gelten müssten wie bei der Erstpräqualifizierung für Neugründungen – also mit Begehung. Wie die DAkkS zu dieser Erkenntnis gelangt, ist mir vollkommen schleierhaft. Zusätzlich stellt sich aber für uns die Frage, wie die PQ-Stellen den Aufwand bei knapp 2.000 Augenoptik-Betrieben in Deutschland bewältigen wollen? Wir haben mal ausgerechnet: Für die Vor-Ort-Prüfungen – nur in der Augenoptik – bräuchten die PQ-Stellen 30 hauptamtliche Prüfer mit der fachlichen Qualifikation eines Augenoptikermeisters, die rund um die Uhr nichts anders tun als zu prüfen, ob der Kantenfilter und die Messbrille noch vorhanden sind.
Nun gibt es unter dem Dach des ZVA auch eine Tochter, die sich um Präqualifizierungen kümmert – höhere Kosten für die Betriebe bedeuten doch auch höhere Einnahmen.

Ist Ihr Ärger mehr Schein als Sein?

Als wir vor über sechs Jahren eine Präqualifizierungsstelle gegründet haben, war dieser Wahnsinn nicht abzusehen. Niemand rechnete mit einem Comeback der Kassenbrille. Unser Anliegen war es, den Spezialisten im Bereich Low Vision und Kontaktlinsen eine bürokratiearme und kostengünstige Möglichkeit der Präqualifizierung zu bieten. Dieses Angebot möchten wir nun allen interessierten Betrieben unterbreiten. Die Kosten für die Akkreditierung der PQ-Stelle durch die DAkkS und für die Vor-Ort-Prüfungen sind durchlaufende Posten. Hieran verdient die AO-Präqualifizierungs GmbH nichts. Derzeit bedeuten die Verschärfungen durch den Gesetzgeber und die DAkkS vor allem Ärger für den ZVA. Denn der Akkreditierungsunsinn wird dem Verband zugerechnet. Zu Unrecht: Wir wurden weder gefragt noch haben wir diese Dinge mit irgendjemandem verhandelt.

Was glauben Sie sind die Folgen, wenn dieses Verfahren im Frühjahr 2019 umgesetzt wird?

Abgesehen von den Kosten wird es für die Betriebe immer unattraktiver, mit der Gesetzlichen Krankenkasse abzurechnen. Der Bürokratieaufwand wird durch das HHVG nochmal größer, die Mitteilungspflicht über Mehrkosten und die Dokumentation der Beratung, Kostenvoranschläge, Abrechnungen und so weiter spielen eine Rolle. Deswegen ist zu befürchten, dass eine flächendeckende wohnortnahe Versorgung der gesetzlich Versicherten – wie es sie heute glücklicherweise gibt – zukünftig in Deutschland nicht mehr gewährleistet werden kann. Ein gesetzlich Krankenversicherter wird dann bis zum nächsten Filialisten fahren müssen, der nur in den Innenstädten zu finden ist. Damit geht das HHVG mit all seinen Nachwehen deutlich am Sinn und am Zweck vorbei. Von einer „Stärkung der Hilfsmittelversorgung“, so wie dies bereits im Namen des Heil- und Hilfsmittelversorgungsstärkungsgesetz versprochen wurde, kann dann jedenfalls keine Rede sein.

Ihr Lösungsvorschlag?

Lassen wir es so, wie es ist und wie es sich bewährt hat! Warum sollten nach zwanzig Monaten die räumlichen Voraussetzungen im Betrieb andere sein als zuvor? Bereits jetzt werden die Verbraucher in der Augenoptik und damit auch die gesetzlich Versicherten durch die Handwerksordnung und durch das Medizinproduktegesetz geschützt. Die Qualität der augenoptischen Produkte und Dienstleistungen sind in Deutschland so hoch wie vermutlich in keinem anderen Land.
Wie geht es weiter, was macht der ZVA in diesem und in anderen Fällen, um praxistaugliche Lösungen zu finden?
Nicht nur der ZVA ist an einer solchen praktikablen Lösung interessiert, das betrifft alle Gesundheitshandwerke. Anfang März treffen sich Vertreter der Gesundheitshandwerke mit der DAkkS und dem Bundesministerium für Gesundheit, das die Rechtsaufsicht gegenüber der DAkkS hat. Dort werden wir unseren Standpunkt noch einmal vehement darstellen. Notfalls werden wir auch hier eine gerichtliche Klärung anstreben müssen.

Wann werden die neuen Festbeträge kommen?

Sie müssen bis Ende 2018 kommen. Anders als vielleicht oft gedacht, werden sie nicht nach Verhandlungen mit dem ZVA neu geregelt. Vielmehr werden die Festbeträge vom GKV-Spitzenverband festgelegt. Solange es keine neuen Festbeträge gibt, gelten die alten, im Zweifel hilft bei Unklarheiten bei der Abrechnung mit der Krankenkasse für Innungsbetriebe immer ein Anruf bei der Innung, dort hilft man gerne.

Wie sieht es mit der Dokumentationspflicht aus, wird es hier noch Bewegung geben?

Nein, die Pflicht, die Beratung zu dokumentieren, besteht seit April 2017. Das sieht auch das Gesetz so vor und daran wird sich nichts mehr ändern.

Strittig ist dagegen noch der Punkt, die vom Kunden entrichteten Mehrkosten an die Krankenkasse zu melden. Nicht nur der ZVA sieht unter anderem hier einen Verstoß gegen den Datenschutz.

Diese Regelung muss nun mit Beginn dieses Jahres umgesetzt werden, eine Übergangsfrist gilt bis zum 31. März. Derzeit sind wir mit dem Gesundheitsministerium in intensiven Gesprächen. Das Ministerium muss in dieser Sache entscheiden. Wenn nichts passiert, dann gehen wir dagegen an. Eine entsprechende Klage ist bereits in Vorbereitung.

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